MAINZER UNIVERSITÄTSGESPRÄCHE

Im Rahmen des Themenschwerpunktes
Johannes Gutenberg: gestern – heute – morgen
lädt das Studium generale zu folgender Veranstaltung ein:
 

Prof. Dr. Klaus Ley (Mainz)
Petrarcas »Canzoniere« und die Zensur
Die »babylonischen Sonette« als Problem der Druckgeschichte
Mittwoch, 21. Juni 2000, 17.15 Uhr
Hörsaal N3 (Muschel)

Kurz nach der Mitte des 16. Jahrhunderts wurden aus den großen rheinischen Zentren des Buchdrucks Broschüren nach Italien eingeschleust, in denen ausgewählte Texte Petrarcas eine überraschend polemische Schärfe gegen den Papst und die Kurie offenbarten. Unter ihnen drohten gerade die »babylonischen Sonette« für eine kurze Zeitspanne das humanistisch-christliche Bildungsprogramm der römischen Kirche mit unabsehbaren Folgen ins Wanken zu bringen. Drahtzieher der geschickten Inszenierung des »Klassikers« Petrarca war P. P. Vergerio, als zur Reformation übergetretener ehemaliger Bischof eine überaus effiziente und gefürchtete Instanz im Kampf der Meinungen. Nur ganz wenige Exemplare seiner Broschüren haben – außerhalb Italiens – die Gegenwehr der katholischen Institutionen überdauert. Deutlich sichtbar geblieben ist dagegen die hier erstmals praktizierte eigentümliche Zensur, die sich scheinbar als jeweils individueller Eingriff beschreiben läßt. Sie manifestiert sich besonders in einer großen Zahl von Beschädigungen im Text des »Canzoniere«. Die »babylonischen Sonette« sind in Ausgaben bis weit ins 19. Jahrhundert durchgestrichen, geschwärzt, überklebt oder entfernt.

Diese bis heute in ihrer Begründung uneindeutig gebliebene Zensur Petrarcas bietet einen aufschlußreichen Einblick in Strategien, die damals in der Kirche bereits auf eine lange Tradition zurückgingen und die über Jahrhunderte auch weiter wirksam geblieben sind. So zeigt sich, wie die Einrichtung der Inquisition im Zuge des Konzils von Trient nicht allein als späte Reaktion auf die Herausforderungen der Reformation zu begreifen ist. Sie ist zugleich die erste entschiedene und auf lange Sicht zunehmend erfolgreich durchgesetzte Antwort auf die durch den Buchdruck freigesetzten Möglichkeiten kaum mehr kontrollierbarer Meinungsbildung. Die Petrarca-Zensur macht anschaulich, wie – mit fragwürdigen Lösungen – nach Wegen der Anpassung gewohnter Argumentations- und Verfahrensmuster an die Bedingungen des neuen Mediums gesucht wird. Die Analyse der bislang nur unzureichend berücksichtigten Druckgeschichte des »Canzoniere« liefert die notwendigen Daten.

Prof. Dr. Klaus Ley lehrt französische und italienische Literaturwissenschaft am Romanischen Seminar der Universität Mainz. Zu seinen Forschungsgebieten zählt das 16. Jahrhundert mit dem Schwerpunkt Humanismus und Gegenreformation.

Veröffentlichungen: Monographien zu den Renaissance-Autoren Du Bellay (1974) und Della Casa (1984); zum Verhältnis von Oper und Roman bei Stendhal, Balzac und Flaubert (1995) sowie ein Tagungsband zu "Flauberts ‚Salammbô‘ in Musik, Malerei, Literatur und Film" (1998) und weitere Untersuchungen zu Flaubert. Studien zu Dante, zum Petrarkismus, zu Fragen der Zensur im Cinquecento, zu Formen des italienischen Theaters seit Goldoni bis in die Moderne; zum Bild Tassos im Umfeld von Goethes Drama und zur Rezeption italienischer Literatur in Deutschland. Im literaturtheoretischen Zusammenhang mit der Konzeption des Erhabenen stehen Arbeiten zum Problem von Kunst und kairós, zu Pseudo-Longin in der frühen Neuzeit sowie zum Stil der italienischen Barockdichtung.


Fragen zu den Veranstaltungen an das Sekretariat
Diese Seite wurde erstellt von Caroline Schertz Mainzer Universitätsgespräche