Im Rahmen des Themenschwerpunktes

Virtuelle Welten

lädt das Studium generale zu folgender Veranstaltung ein:

Prof. Dr. Heinrich Bülthoff (MPI Tübingen)

Virtuelle Welten:
Ein neuer Weg zur
Erforschung des Gehirns

Dienstag, 9. Juli 2002, 18.15 Uhr, Hörsaal N 3 (Muschel)

Der klassische psychophysische Ansatz zur Erforschung der Wahrnehmungsleistungen des Menschen ist reduktionistisch und versucht isolierte Aspekte der Wahrnehmung mit genau kontrollierbaren aber sehr vereinfachten Reizen in Laborexperimenten zu untersuchen. Diese „Isolationsmethode“ hat sehr erfolgreich einzelne Verarbeitungsmechanismen (z.B. für das stereoskopische Sehen und die Bewegungswahrnehmung) aufgeklärt und auch in vielen Fällen die neuronalen Korrelate aufzeigen können. Die Grenzen dieser Methode liegen aber in der vollständigen Ignoranz der starken Wechselwirkung zwischen Wahrnehmung und Handlung einerseits und der Wechselwirkung zwischen den multimodalen Sinnesreizen, die wir tagtäglich erfahren. Die natürlichen Sinnesreize sind so verschieden von den Reizen, die in der klassischen Psychophysik eingesetzt werden, dass oftmals die Übertragung von Laborergebnissen in das tägliche Leben schwierig, wenn nicht gar unmöglich ist. Am Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik verfolgen wir einen holistischen Ansatz, der sich besonders für das Studium von höheren Wahrnehmungsleistungen wie Raum- und Objektwahrnehmung eignet. Die neuen Methoden der Virtuellen Realität erlauben uns, in Verhaltensexperimenten einen sensorischen Realismus zu erzeugen, der der Erfahrung der realen Welt weitgehend entspricht. Gleichzeitig erlauben uns diese Methoden eine genaue Kontrolle der Reizparameter, die für eine psychophysische Untersuchung notwendig sind. Darüber hinaus werden Wahrnehmungsleistungen nicht isoliert betrachtet, sondern im geschlossenen Regelkreis von Wahrnehmung und Handlung untersucht. Im Vortrag werden Beispiele dieses Ansatzes aus dem Bereich Objekterkennung und Raumkognition vorgestellt.

Heinrich Bülthoff, Biologe und Psychophysiker, wissenschaftliches Mitglied der Max-Planck Gesellschaft, Direktor und Honorarprofessor an der Eberhard Karls Universität Tübingen. Von 1986–1988 Wissenschaftler am Massachusetts Institute of Technology (Cambridge, USA). 1987 Habilitation an der Eberhard Karls Universität Tübingen. 1988–1993 Assistant, Associate und Full Professor an der Brown University (Providence USA). Seit 1993 ist er Direktor am Max-Planck-Institut für biologische Kybernetik und untersucht mit einer Gruppe von 40 Biologen, Informatikern, Physikern und Psychologen höhere kognitive Leistungen des Menschen im Bereich Objekterkennung, Raumwahrnehmung und Sensomotorik. Für die Wahrnehmungsexperimente werden vorwiegend Methoden der Virtuellen Realität eingesetzt.
(http://www.kyb.tuebingen.mpg.de).
 
 
 
 
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