Im Rahmen des Themenschwerpunktes


Was ist der Mensch?


lädt das Studium generale zu folgender Veranstaltung ein:


Dr. Jürgen Bohl (Mainz)

 

Ecce Homo - Über das Menschliche eines Primatenhirns


Donnerstag, 22. Mai 2003, 17.15 Uhr, Hörsaal N 3 (Muschel)


Mehr als ihm vielleicht lieb ist, hat Homo sapiens, der jüngste der Primaten, mit seinen Ahnen gemein. Sein Genom ist nahezu identisch mit dem der nächsten Verwandten. Die phylogenetisch älteren Anteile seines Gehirns haben die gleiche Struktur und eine ähnlich zuverlässige Funktion wie bei den Bonobos z.B., den Zwergschimpansen, die uns wohl am ähnlichsten sind. Lediglich die jüngsten Anteile des Zentralnervensystems, vor allem die telencephalen Rindenareale, sind bei uns Menschen im Verhältnis zu den älteren und auch absolut betrachtet wesentlich weiter entwickelt. Diese in der Evolution rasch progrediente Entwicklung des Endhirns mit seinen ausgedehnten Assoziationsarealen hat ein weiteres Fortschreiten in der Entwicklung eines anderen, höheren Bewusstseins möglich gemacht, eine Entwicklung, welche seitdem - auch ohne eine wesentliche Änderung der biologischen Grundlagen - weiter voranschreiten kann. Der qualitative Wandel des jüngsten Primaten ist ganz wesentlich der Entfaltung einer neuen Bewusstseinsebene zuzuschreiben. Die Erkenntnis der Endlichkeit des Lebens, des unabwendbaren Todes, hat wie ein Urschock das Denken und Handeln der jüngsten Primaten radikal verändert und eine neue Gangart der Evolution eingeleitet, nämlich die rasend schnelle kulturelle Evolution.
Seltsam genug, dass sich der Mensch jetzt, da seine genetische Evolution längst abgeschlossen erscheint, für sein Genom zu interessieren beginnt. Angesichts der um ein Vielfaches beschleunigten Evolution der Kultur des Menschen, welche auch vielfach größere Gefahren in sich birgt, wäre zu empfehlen, die Prozesse und Bedingungen der Evolution des menschlichen Bewusstseins genauer zu erforschen, um dem "Menschlichen" des jüngsten Primaten auch in fernerer Zukunft ein Überleben zu ermöglichen.


Dr. med. Jürgen Rudolf Eduard Bohl, geb. 1941 in Holzhausen, ist Pathologe und Neuropathologe im Klinikum der Universität Mainz. Nach seinem Medizin-Studium in Frankfurt a. M. war er zunächst am Max-Planck-Institut für Hirnforschung in Frankfurt tätig und anschließend im Senckenbergischen Institut für Pathologie Frankfurt sowie im Institut für Pathologie Mainz. Seit mehr als 25 Jahren arbeitet er jetzt in der Abt. für Neuropathologie der Universität Mainz. Forschungsschwerpunkte: degenerative Erkrankungen des menschlichen Gehirns (insbes. Senile Demenz vom Alzheimer-Typ) und spongiforme Encephalopathien. Darüber hinaus gilt sein Interesse der Synthese von Natur- und Geisteswissenschaften im Rahmen der Neurologischen Fachgebiete, sowie der Erarbeitung philosophischer und moderner naturwissenschaftlicher Grundlagen für ärztliches Tun.


Bibliographie:
Wie gelangen Gedanken an die Macht? Über Hierarchien und Kontrollsysteme des Gehirns. In: Mehta/ Rückert (Hrsg.): Mediation und Demokratie. Heidelberg 2003; Späte Begegnung mit Dementen. Gedanken eines Pathologen. In: Bochnik/Oehl (Hrsg.): Begegnungen mit psychisch Kranken. Gelingen und Verfehlen ärztlicher Personenorientierung. Sternenfels 2000; Praising old age. In: J. Bohl (Ed.): Neuropathology - back to the roots. Aachen 2002. Der Tod und die Ethik. In: Möller (Hrsg.): Verantwortung und Ökonomie in der Heilkunde. Frankfurt a. M. 2000. Bd. 1; "We are on the eve of destruction". Strategien der Zerstörung im Alter. In: Möller (Hrsg.): Die Kunst des Alterns. Frankfurt a. M 2001. Bd. 2; Von der Würde des Designer-Hirns. In: Möller (Hrsg.): Heilkunst, Ethos und die Evidenz der Basis. Frankfurt a. M. 2002. Bd. 3


Nächste Veranstaltung in dieser Reihe:
Prof. Dr. Eberhard Schockenhoff (Freiburg i. Br.)
Der Mensch - Ein Vagabund am Rande der Schöpfung?
Zur Sonderstellung des Menschen im Kosmos

Donnerstag, 5. Juni, 17.15 Uhr, Hörsaal N 3 (Muschel)

 

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