Prof. Dr. Klaus Antoni (Tübingen)
"Kokoro" -
das Herz in der japanischen Kultur
Montag, den 21. Juli 2003, 18.15 Uhr, Hörsaal N 3 (Muschel)
In den Kulturen Ostasiens spielt die Herzmetapher eine wesentliche Rolle bei
der Formulierung emoti-onaler und intellektueller Äußerungen des
Menschen. Doch wird dabei nicht zwischen den im europäischen Denken so
wichtigen Bereichen des "Geistes" und der "Seele" unterschieden.
Der Verstand und die Gefühle stellen eine untrennbare Einheit im menschlichen
Herzen dar, beide lassen sich nicht voneinander trennen. Dieser Umstand äußert
sich auch in den mannigfaltigen Möglichkeiten, die Termini für "Herz"
im Chinesischen (xin) und Japanischen (kokoro) zu übersetzen. Die Bandbreite
reicht dabei von Gefühl über Vernunft bis hin zu Geist und Mut. Im
Japanischen läßt sich für kokoro jedoch eine Schwertpunktlegung
auf den Bedeutungsgehalt von "Essenz" bzw. "Wesen" feststellen:
Das "Herz" einer Sache ist stets auch deren innerstes Wesen. Dieser
Umstand gilt für die Alltagssprache ebenso wie für Philosophie und
Religion. Das Referat befaßt sich in diesem Zusammenhang insbesondere
mit der philosophischen Auffassung vom Herzen als Wesen der Dinge in den geistigen
Systemen des Bushidô ("Weg der Krieger") und der konfuzianischen
Shingaku ("Herzensschule"). Doch kommt der Herzmetapher in der japanischen
Geistesgeschichte stets auch eine ausgesprochen politisch-ideologische Intention
zu, so wenn in der frühen Neuzeit, als sich Japan vom übermächtigen
Einfluß Chinas zu befreien suchte, explizit zwischen den vermeintlichen
Unvereinbarkeiten von "chinesischem" (Kara-gokoro) und "japanischem
Herzen" (Yamato-gokoro) gesprochen wurde. Hier wird mit Hilfe des "Herzens"
ein kultureller Essentialismus gepredigt, der die beiden ostasiatischen Kulturen
weit auseinander gebracht hat. Heute jedoch bemüht man sich weithin wieder
um ein "einiges" Herz.
Prof. Dr. Klaus Antoni, geb.
1953, ist Japanologe mit kulturanthropologischem Schwerpunkt. Nach Anfängen
in der Rechtswissenschaft studierte er in Freiburg Japanologie, Sinologie und
Ethnologie. 1981 promovierte er und wechselte im gleichen Jahr an die Universität
München, wo 1985 die Habilitation für das Fachgebiet Japanologie erfolgte.
Nach Professuren in Hamburg (1987) und Trier (1993) übernahm er zum WS
1998 die Leitung des Seminars für Japanologie an der Universität Tübingen.
Er hat sich mehrfach in Japan aufgehalten, bereits 1969/70 als Austauschschüler,
später zu Studien- und Forschungszwecken, u. a. 1992/93 als Gastprofessor
an der Städtischen Universität Ôsaka. 1991 er-hielt er an der
Universität Wien den internationalen Forschungspreis der Tamaki-Foundation.
Antonis Forschungsschwerpunkte liegen auf dem Gebiet der Geistes- und Religionsgeschichte
Japans; insbesondere geht er der Frage nach dem Verhältnis von Religion
(Shintô) und Ideologie nach. Darüber hinaus befaßt er sich
mit Problemen der japanologischen Kulturwissenschaft (Stereotypen-Forschung)
wie auch dem Verhältnis Japans zu Asien.
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