Themenschwerpunkt


Das Herz: Organ des Körpers - Sitz der Seele

 

Dr. Tilman Spreckelsen
Frankfurt a. M.


Marmor, Stein und Wackelpudding -
Das Herz in der Literatur

Montag, 23. Juni 2003, 18.15 Uhr, Hörsaal N 3 (Muschel)

Das Herz galt schon den ersten Autoren als physisches wie emotionales Zentrum des Menschen, als Bewahrer der unverwechselbaren Eigenheiten des Individuums: Da tönt die Stimme des Herzens, wenn einer nicht mehr weiter weiß, da findet sich die Antwort auf alle Fragen wenn nicht bei Gott, so doch in der eigenen Brust, und wer sein Herz verliert, ist dem anderen auf ewig verfallen. Ein klares Weltbild mit einer klaren Metaphorik beherrscht einen Großteil jener Literatur, die das Wort "Herz" nicht scheut. Doch seit der beginnenden Industrialisierung um die Wende zum neunzehnten Jahrhundert verirrt sich ein anderer Ton in diesen Diskurs: Denn das Problem, das eigene emotionale Zentrum gegen die zunehmende, in jedem Lebensbereich wahrnehmbare Entfremdung zu verteidigen, stellt sich zu diesem Zeitpunkt in aller Dringlichkeit - und verhilft der Literatur zu einer Sprache, die der verbrauchten Herz-Metapher den Weg in die Moderne bahnt. Denn wo die Versuchung übermächtig wird, ein "kaltes Herz" gegen das ursprüngliche einzutauschen, hält die Literatur Strategien bereit, die das Lesepublikum dagegen immunisieren sollen. Daß den Autoren allerdings bewußt ist, daß sie sich auf schwierigem Terrain bewegen und nicht selten auf verlorenem Posten kämpfen, zeigen ihre Werke auch. Hartmann von Aue, Wilhelm Hauff, Hans Christian Andersen und Erich Kästner sind die Autoren, deren Texte hier als Beispiele für diese Entwicklung herangezogen werden - sie stehen für unzählige andere.


Dr. Tilman Spreckelsen, Jahrgang 1967, studierte Germanistik und Geschichte in Frei-burg. Nach der Promotion ("Das Herz als Kompaß. Androiden im Werk Karl Immermanns") arbeitete er als freier Journalist u. a. für Die Zeit und Die Welt und publizierte Anthologien und Texteditionen. Seit Mai 2001 ist er Redakteur der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. Sein Essay "Herz. Vom Umgang mit unserem liebsten Symbol" erschien 2001 im Aufbau-Verlag.


Nächster Vortrag dieser Reihe:

Prof. Dr. Werner F. Kümmel (Mainz)
"Die süßeste Melodie des Lebens."
Historische Beziehungen zwischen Pulsschlag, Herzrhythmus und Musik
Montag, 30. Juni 2003, 18.15 Uhr, Hörsaal N 3 (Muschel)

 

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