Prof. Dr. Peter Glotz (Erfurt)
Die Zukunft der deutschen Universität
Über das Verhältnis von Wissenschaft
und Politik in der Bundesrepubilk Deutschland
Dienstag, 20. April 1999, 18.15 Uhr,
Hörsaal N 3 (Muschel)
Als der jetzige britische Premierminister
Tony Blair in seinem Wahlkampf gefragt wurde, was seine drei wichtigsten
Ziele seien, antwortete er: "Education, education, education." Rhetorisch
schließt die deutsche Politik zu dieser Erkenntnis auf. Schon der
frühere Bildungsminister Rüttgers hatte Bildung und Forschung
aus dem Status von mehr oder weniger bedeutungslosen Juniorministerien
herausgeholt, die SPD hat eine Aufwertung von Forschung und Bildung versprochen.
Aber es bleibt die Frage, ob der Rhetorik in Deutschland (und darüber
hinaus in vielen anderen europäischen Ländern) Taten folgen.
Unser Bildungswesen ist, wie nicht nur die OECD-Statistiken zeigen, unterfinanziert
und wird es bleiben, wenn und solange man auf dem Postulat der durchgehend
staatlichen Finanzierung des Bildungssystems, also auf dem sozialstaatlich
gewendeten Prinzip landesherrlichen Mäzenatentums beharrt. Da die
Entwicklung moderner Industriegesellschaften zu Informations- und Wissensgesellschaften
den Bildungsprozeß aufs ganze Leben der Menschen ausdehnt und extrem
verteuert, ist diese Politik so ehrenwert wie unhaltbar. Ebenso wichtig
wie die Finanzierungsfrage aber ist die Bekämpfung einer europäischen
Krankheit, die ich das Versäulungssyndrom nenne. Hier handelt es sich
um die zu gering entwickelte Fähigkeit, Spezialistentum zu überwinden,
eindimensionale Blickrichtungen zu korrigieren und hochgezüchtete
Disziplinarität transdisziplinär zu reflektieren, anders gesagt,
ganzheitliche Denkansätze zu entwickeln; wobei der Begriff "ganzheitlich"
nicht deutsch-romantisch, anthroposophisch oder verworren metaphysisch
verstanden werden darf, sondern empirisch: Es geht um die adäquate
Erfassung der Komplexität der Welt in den Denkmodellen, die wir entwickeln,
nicht um irgendwelche Weltformeln und Heilslehren.
Prof. Dr. Peter Glotz, geboren 1939
in Eger, war von 1972-77 und 1983-96 Mitglied des Deutschen Bundestages,
von 1974-77 Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesminister für
Bildung und Wissenschaft, 1977-81 Senator für Wissenschaft und Forschung
Berlin (West), 1981 bis 1987 war er Bundesgeschäftsführer der
SPD. Im September 1996 schied er aus allen politischen Ämtern aus
und wurde im November 1996 zum Rektor der Universität Erfurt und Professor
für Kommmunikationswissenschaften berufen.
Nächster Vortrag in dieser Reihe:
Sprachnation und Staatsnation
Prof. Dr. Dr. h.c. Dieter Oberndörfer
(Freiburg i.Br.)
Dienstag, 4. Mai, 18.15 Uhr, Hörsaal
N 3 (Muschel)
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