Prof. Dr. Michael Reichel (Düsseldorf)
Formen und Funktionen autobiographischen
Schreibens in der Antike
Donnerstag, 9. November 2000, 18.15 Uhr
Hörsaal P 104 (Philosophicum)
Die rühmende oder ggf. auch apologetische
Darstellung der eigenen Leistungen traf in der Antike auf erhebliche politische
und soziale Widerstände, wie unter anderem von Plutarch und Cicero
betont wird. Zur Überwindung dieser Widerstände mußten
sich die Autoren autobiographischer Schriften einer Reihe von literarischen
Techniken bedienen bzw. diese für sich entwickeln (z.B. Pseudonymität,
Fiktion einer Verteidigung vor Gericht), wobei sie vielfach Anleihen bei
anderen Literaturgattungen machten, in erster Linie bei der Geschichtsschreibung
(z.B. Xenophon), aber auch bei der Gerichtsrede (z.B. Isokrates), der Briefliteratur
(z.B. Platon), dem historischen Epos (z.B. Cicero) u.a. So stellt autobiographi-sches
Schreiben in der Antike stets eine literarische und soziale Gratwanderung
dar. Dies soll durch die Interpretation autobiographischer Texte aus verschiedenen
Epochen (der frühgriechischen Dichtung, aus Xenophons Anabasis, aus
verschiedenen Schriften Ciceros sowie aus Aelius Aristides, Libanios u.a.)
gezeigt werden. Auch psychologische Erkenntnisse zum »autobiographischen
Gedächtnis« sind hier relevant, handelt es sich bei Autobiographie
doch um die einzige Literaturgattung, bei der schreibendes Subjekt und
beschriebenes Objekt identisch sind.
Prof. Dr. Michael Reichel, geb. 1960 in
Düsseldorf, 1979–1985 Studium der Gräzistik, Latinistik und Vergleichen-den
Indo-germanischen Sprachwissenschaft in Freiburg i. Br. und Oxford. 1985–1990
wiss. Mitarbeiter, Promotion 1990 über »Fern-be-ziehungen in
der Ilias«.1990–1997 Hochschulassistent am Seminar für Klassische
Philologie der Universität Freiburg, zusätzlich Mitarbeit am
interdisziplinären SFB »Übergänge und Spannungsfelder
zwischen Mündlich-keit und Schriftlichkeit« an der Universität
Freiburg sowie am Freiburger Arbeitskreis »Literatur und Psychoanalyse«;
zwischendurch 1992–1993 mit Habili-tandenstipendium der DFG an der University
of Michigan. Habilitation 1996 über »Xenophons Kyrupädie
und die Entstehung fiktionaler Prosa«. 1997–1999 Privatdozent, Vertretung
gräzistischer und latinistischer Professuren. Seit 1.4.1999 C4-Pro-fessor
für »Klassische Philologie, insbesondere Gräzistik«
an der Heinrich-Heine-Universität Düsseldorf. – Professor Reichel
legt besonderen Wert auf die interdisziplinäre Veranke-rung der Klassischen
Philologie nicht nur im Rahmen der Kultur-wissenschaften, sondern der Humanwissenschaften
insgesamt, einschließlich der Psychologie, der Kulturanthropologie
und der Soziobiologie.
Publikationen des Referenten (Auswahl):
Fernbeziehungen in der Ilias (ScriptOralia 62), Tübingen 1994 (Diss.).
– Xeno-phons Kyrupädie und die Entstehung fiktionaler Prosa [noch
ungedruckt]. – Xenophon´s Cyropaedia and the Hellenistic Novel, in:
Groningen Colloquia on the Novel, vol. VI, hg. von H. Hofmann, Groningen
1995, 1–20. – Eine übersehene Reaktion auf Platons Dichterkritik:
Xenophon, Kyrupädie 2,2, in: H.-C. Günther/A. Rengakos (Hgg.),
Beiträge zur antiken Philosophie (Festschrift für Wolfgang Kullmann),
Stuttgart 1997, 103–112. – Narratologische Methoden in der Homerforschung,
in: H. L. C. Tristram (Hg.), New Methods in the Research of Epic – Neue
Methoden der Epenforschung (ScriptOralia 107), Tübingen 1998, 45–61.
– How Oral Is Homer's Narrative?, PLLS 10 (ed. F. Cairns/M. Heath) 1998,
1–21. – Größenphanta-sien im literarischen Werk Xenophons, in:
Größenphantasien (Frei-burger literaturpsychologische Gespräche
– Jahrbuch für Literatur und Psychoanalyse, Bd. 18), Würz-burg
1999, 83–103. – Die homerische Helenagestalt aus motivgeschichtlicher und
motivvergleichender Sicht, in: J.N. Kazazis/A. Rengakos (Hgg.), Euphrosyne.
Studies in Ancient Epic and its Legacy in Honor of D. N. Maronitis (Stutt-gart
1999), 291–307.
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