Der Interdisziplinäre Arbeitskreis Dritte Welt,
das Studium generale,
das Zentrum für Wissenschaftliche Weiterbildung
und die Fridtjof-Nansen-Akademie Ingelheim
laden zu folgendem Symposium ein:
 

Terrorismus und Dritte Welt

Freitag, 1. Februar 2002, 9.15 Uhr – 18.15 Uhr
Samstag, 2. Februar 2002, 9.15 Uhr – 13.30 Uhr
Atrium (Alte Mensa, Forum)

Freitag, 1. Februar 2002

Prof. Dr. Günter Meyer (Vorsitzender des Interdisziplinären Arbeitskreises Dritte Welt, Universität Mainz):
Begrüßung und Einführung in die Thematik

Prof. Dr. Peter Waldmann (Lehrstuhl für Soziologie, Universität Augsburg):
Terrorismus als Kommunikationsstrategie. Das terroristische Kalkül und seine Erfolgsaussichten.

Dr. Bernt Glatzer (Deutsche Stiftung für Internationale Entwicklung, Bad Honnef):
Ethnizität und Tribalismus im Afghanistan-Konflikt

Prof. Dr. Jakob Rösel (Institut f. Politik- u. Verwaltungswissenschaften, Universität Rostock): Hintergründe und Formen des Kaschmir-Konflikts

13.15 – 14.30 Uhr   Mittagspause

Alfred Wittstock (Institut für Politikwissenschaft, Universität Mainz):
Religion und Politik im Nahost-Konflikt

Dr. Ludwig Watzal (Institut für Politikwissenschaft, Universität Bonn):
Der Nahost-Konflikt nach dem 11. September

PD Dr. Thomas Zitelmann (Zentrum Moderner Orient, Berlin):
Somalia und das Gerücht vom Einfluß Usama Bin Ladens

Samstag, 2. Februar 2002

Dr. Ulrike Dufner (Berlin)
Radikal-islamistische Gruppierungen in Ägypten: innergesellschaftliche, regionale und internationale Entstehungsbedingungen

Dr. Linda Helfrich-Bernal (Institut f. vergleichende Politikwissenschaft, Frankfurt/M.)
Terrorismus in Kolumbien? Zur Konstruktion eines Begriffs und den Ursachen des kolumbianischen Gewaltkonfliktes

Abschlussdiskussion aller Referenten.
Moderation: Andreas Thimm (Studium generale, Universität Mainz)

Anmeldung an: Zentrum für Wissenschaftliche Weiterbildung, Johannes Gutenberg-Universität Mainz, 55099 Mainz, Tel.: 06131/39-22901, Fax: 06131/39-24714, E-mail: zww@verwaltung.uni-mainz.de

Prof. Dr. Peter Waldmann
Terrorismus als Kommunikationsstrategie. Das terroristische Kalkül und seine Erfolgsaussichten.
Ausgehend von der Definition des Terrorismus als Kommunikationsstrategie werden die Stufen des terroristischen Kalküls entwickelt; dabei wird aufgezeigt, dass es sich im Grunde um eine Form der Provokation handelt. Anschließend wird geprüft, inwieweit das Kalkül realisierbar ist: ob die terroristische „Botschaft“ gehört wird, der anvisierte Feind im Schrecken überreagiert und die potentiellen Anhänger zum massiven Widerstand mobilisiert werden können. Die Schlußfolgerung lautet, dass die Terroristen mit ihrer Strategie zwar nur ausnahmsweise Erfolg haben, doch als Droh- und Störenfriede andererseits nur sehr schwer auszuschalten sind.

Dr. Bernt Glatzer
Ethnizität und Tribalismus im Afghanistan-Konflikt.
Weder Ethnien, noch unilineare Deszendenzgruppen ("Stämme", "Clans") sind in Afghanistan korporative Gruppen, die als politisch agierende Kollektive auftreten könnten. Sie besitzen auch keine politischen Institutionen, die die Gruppen politisch repräsentieren. Dennoch ist ein interessantes Wechselverhältnis zwischen politischen Akteuren und ihrem ethnischen und tribalen Hintergrund festzustellen: Eher sind ethnische und tribale Gruppen als soziale Orientierungs- und Rekrutierungs-Kategorien zu verstehen und als Foren politischer Aktion. Bei der politischen Mobilisierung der Bevölkerung und bei gewaltsamen Aktionen nach aussen haben auch immer wieder Fremde eine prominente Rolle gespielt, deren Stärke es war, NICHT dem tribalen System anzugehören.
Mangelnde Kenntnis der politischen Bedeutung von Ethnien und "Stämmen" in Afghanistan hat bei internationalen Friedens- und Schlichtungsmissionen, wie auch bei der jüngsten Petersberg-Konferenz und bei der sog. "Terrorismusbekämfung" in Afghanistan zu schiefen Analysen geführt und damit zu einer fehlerhaften Einschätzung der politischen Realitäten mit gefährlichen Folgen.

Prof. Dr. Jakob Rösel
Hintergründe und Formen des Kaschmir-Konflikts
Der Kaschmirkonflikt ist in Folge der Unabhängigkeit und Teilung Britisch-Indiens entstanden und hat sich sowohl als ethnischer wie als geo-strategischer Konflikt seit mehr als 50 Jahren einer Lösung entzogen. Der Vortrag geht den Ursachen und dem gegenwärtigen Bedrohungspotential nach.

Alfred Wittstock
Religion und Politik im Nahost-Konflikt
Der derzeitige israelisch-palästinensische Konflikt ist gekennzeichnet  durch den ‚Stillstand’ von Politik als der Möglichkeit nach Lösungen auf dem Verhandlungsweg zwischen den Konfliktparteien zu suchen. Solche Ansätze zwischen Israelis und Palästinensern waren vorhanden. Mit dem Ausbleiben verhandlungsbereiter politischer Ansätze allerdings scheinen identitätspolitische Ansätze und Erklärungsmuster auf beiden Seiten zuzunehmen, in denen in beiden Kollektiven religiöse Symbole und Narrative, die weit in die kollektiven Gedächtnisse zurückgreifen, den politischen Konflikt überlagern, seine Lösungsversuche allerdings dadurch mit beeinflussen.

Dr. Ludwig Watzal:
Der Nahost-Konflikt nach dem 11. September
Der 11. September scheint das allgemeine Bewusstsein der Menschen geradezu verhext zu haben. Man hat sich angewöhnt, alle Konflikte unter diesem Ereignis zu sehen. Davon bleibt auch der Nahostkonflikt nicht unberührt. Eine solche Sichtweise führt jedoch zu einer völligen Fehlwahrnehmung, weil dadurch die wahren Ursachen in den Hintergrund treten. Der Beitrag will in historischer Perspektive aufzeigen, wo die ideengeschichtlichen und politischen Ursachen des Konfliktes liegen und welche Seite die Hauptverantwortung für das entstandene Desaster trägt. Des Weiteren wird auf die Konsequenzen der militärischen Besatzung Israels und den sogenannten Friedensprozess eingegangen. Dieser hat keinen Frieden gebracht, sondern nur einen Prozess, der die Existenzgrundlagen des palästinensischen Volkes fast völlig zerstört hat. Führen nicht diese menschenverachtenden Maßnahmen unweigerlich zum Widerstand? Legitimiert nicht das Natur- und Völkerrecht Widerstand gegen eine militärische Besatzung? Auswege aus den nahöstlichen Dilemmata werden ebenso aufgezeigt.

PD Dr. Thomas Zitelmann:
Somalia und das Gerücht vom Einfluß Usama Bin Ladens
Für das unter zahlreiche Klan-Fraktionen und Kriegsherren aufgeteilte Somalia haben die Ereignisse vom 11. September eine paradoxe Folge. Potentieller Terror wird zur Ressource für den Anspruch auf globale Bedeutung. Lokale und regionale Gerüchte über Bin Ladens Einfluss, die lange vor dem 11. September kursierten und zu denen auch aus dem Nachbarstaat Äthiopien heftig beigetragen wird, werden nun in den Status gesicherter Nachrichten erhoben. Vor diesem Hintergrund bieten sich lokale Kriegsherren der internationalen "Allianz gegen den Terror" als Verbündete an und weisen mit dem Finger auf jeweilige Nachbarn und Gegner. Als potentieller Ausgangsort für terroristische Aktionen, gekenzeichnet durch strukturelle Merkmale wie Staatszerfall, Kriegsherren, Gewaltmärkte und verbunden mit dem Generalverdacht eines Einflusses von Usama Bin Laden, versuchen lokale und regionale politische Akteure (einschließlich Äthiopiens) eine strategische Bedeutung, und damit verbundene Subsidien ("Drohrenten"), zurückzuerlangen, die sie mit dem Ende des Kalten Krieges verloren hatten.

Dr. Ulrike Dufner (Berlin):
Radikal-islamistische Gruppierungen in Ägypten: innergesellschaftliche, regionale und internationale Entstehungsbedingungen
Seit dem 11. September werden auf der Suche nach den Ursachen von radikal-islamistischen Gruppierungen zahlreiche Frage aufgeworfen: Sind diese Gruppierungen auf die entfesselte Globalisierung mit ihren in Teilen dramatischen Verelendungsprozessen zurückzuführen? Sind sie Ausdruck eines sozialen Protestes der Marginalisierten oder werden diese Organisationen zumindest als deren Fürsprecher perzipiert? Welche Rolle spielen der sich zuspitzende israelisch-palästinensische Konflikt und andere regionale Konflikte für die Herausbildung und Unterstützung dieser Gruppierungen? In welchem Verhältnis stehen diese Gruppierungen zu innergesellschaftlichen Prozessen in den einzelnen muslimisch geprägten Ländern? Wie ist die soziale Zusammensetzung radikal-islamistischer Gruppen? Was ist ihre soziale Basis?
Schließlich erleben wir eine Neuauflage der Debatte, ob "der Islam" eine Legitimationsbasis für derartige Anschläge bietet. Erneut wird die These aufgestellt, daß eine unvollkommene Trennung von Islam und Politik, also die fehlende Säkularisierung westlicher Prägung, ursächlich für das Fortbestehen dieser Gruppierungen und ihren Rückhalt in der (arabisch-) muslimischen Welt ist. Islamistische Organisationen, also Gruppierungen mit islamisch-politischem Profil, werden erneut unter einen Generalverdacht gestellt, unabhängig davon, ob sie Gewalt als legitimes Mittel der Interessensdurchsetzung für sich proklamieren oder nicht. Radikal-islamistische Gruppen werden als das Extrem eines Grundübels aufgefasst, der Verbindung von Religion und Politik.
Spuren der "arabischen Afghanen" führen auch nach Ägypten. Ägypten wird daher als eine Wiege der radikal-islamistischen Gruppierungen gesehen. Erinnert wird an die Ermordung Sadats, an die Anschläge auf ägyptische Kopten in den 80er Jahren und auf Touristen in den 90er Jahren. Immer wieder wird auch auf die Muslimbruderschaft verwiesen, die 1928 in Ägypten gegründet wurde und in zahlreichen Ländern der arabischen Welt sowie in euro-päischen Gesellschaften wie Deutschland oder Frankreich organisiert ist.
In dem Beitrag werden die Ursprünge radikal-islamistischer Gruppierungen in Ägypten und ihre ideologischen Wurzeln sowie Ausprägungen dargestellt. Hierbei werden innergesellschaftliche, regionale sowie internationale Faktoren aufgezeigt, die für die Herausbildung wie auch den Fortbestand dieser Organisationen von entscheidender Bedeutung sind. Schließlich wird auch deutlich gemacht, welche Faktoren das Verhältnis zwischen moderat islamistischen Organisationen und den Radikalen prägen.

Dr. Linda Helfrich-Bernal
Terrorismus in Kolumbien? Zur Konstruktion eines Begriffs und den Ursachen des kolumbianischen Gewaltkonfliktes
Die Verwendung des Begriffs Terrorismus für (politische) Gewaltphänomene ist nicht erst seit den Attentaten in den USA am 11. September üblich – auch wenn der Terminus ein Comeback unter neuen Vorzeichen erfahren hat. In der einschlägigen (vor allem der US-amerikanischen) Literatur werden unter diesem Oberbegriff die verschiedensten Formen der Gewalt unterschiedlichster Organisationen subsumiert.  Eine solche Zuschreibung verwischt die Ursachen und Hintergründe zum Teil noch schwelender Konflikte. Das wohl imposanteste Beispiel einer solch violenten „Dauerkrise“ ist sicherlich Kolumbien. In meinem Vortrag werde ich mich mit den unterschiedlichen Ursachen des Gewaltkonfliktes und dem strategischen Gebrauch des Begriffs Terrorismus von Seiten verschiedenster externer (USA) und interner Akteure (Regierung, Militär, Paramilitärs, Guerilla) beschäftigen.



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