MAINZER UNIVERSITÄTSGESPRÄCHE

 

Im Rahmen des Themenschwerpunktes


Medizin - im Widerspruch mit Ethik und Recht?


lädt das Studium generale zu folgender Veranstaltung ein
:

Prof. Dr. med. Hans Ulrich Bucher (Zürich)

Medizinisch-ethische Entscheidungen in der Intensivbehandlung von Neugeborenen


Mittwoch, 22. Januar 2003, 17.15 Uhr Hörsaal N 3 (Muschel)

In den industrialisierten Ländern ist in den letzten zwanzig Jahren dank verbesserter technischer Möglichkeiten die Neugeborenen-Mortalität stetig gesunken. Gleichzeitig ist jedoch die Zahl der behinderten und vor allem der schwerstbehinderten Kinder gestiegen. Diese Veränderungen betreffen in erster Linie extrem kleine Frühgeborene. Je kleiner und unreifer ein Kind bei der Geburt ist, desto geringer sind seine Aussichten auf ein Überleben mit guter Lebensqualität und desto eher wird es nach langer Leidenszeit doch noch sterben oder lebenslang schwer geschädigt bleiben. Aus diesem Grund ist unter Neonatologen der Ruf nach Grenzen für den Einsatz von Intensivmassnahmen, vor allem der maschinellen Beatmung, immer lauter geworden. Die Meinungen darüber, wo solche Grenzen zu ziehen sind, gehen jedoch weit auseinander.
Um einen Ausweg aus diesem Dilemma zu finden, hat sich eine Zürcher Arbeitsgruppe bestehend aus Ärzten, Pflegenden, Ethikern und Theologen mit den Hintergründen auseinandergesetzt. Darf extremen Frühgeborenen eine Intensivbehandlung vorenthalten werden? Wenn ja, wer soll entscheiden und nach welchen Kriterien? Wie ist die Meinung der Eltern zu berücksichtigen? Die Gruppe entwickelte ein strukturiertes Verfahren zur Entscheidungsfindung. Dieses sieht eine individuelle Güterabwägung vor und erlaubt, unter bestimmten Voraussetzungen Intensivmassnahmen einzuschränken oder abzubrechen. Dieses Verfahren wurde während drei Jahren bei über 80 Kindern angewandt hat nachweisbar die Entscheidungsqualität, die emotionale Belastung des Personals und die Elternbetreuung verbessert.

Prof. Dr. med. Hans Ulrich Bucher, geb. 1948, ist Facharzt für Kinderheilkunde, speziell Neonatologie und Intensivmedizin. Er ist Schweizer und hat in Lausanne, Paris und Zürich Medizin studiert. Er doktorierte 1975 an der Universität Zürich über die transcutane Sauerstoffmessung beim Neugeborenen und war anschliessend Max Planck-Stipendiat in Marburg an der Lahn auf dem Gebiet der Perinatalphysiologie. Das Rüstzeug zum Kinderarzt und Neonatologen holte er sich am Kinderspital Zürich. Sein Forschungsgebiet ist die nicht-invasive Überwachung von Lungen-, Herz- und Hirnfunktionen bei Neugeborenen. Er habilitierte sich 1986 mit einer Arbeit über Atemregulationsstörungen bei Frühgeborenen. Längere Forschungsaufenhalte verbrachte er in Groningen (NL), London und Sydney. Als Ordinarius für Neonatologie leitet er seit 1997 die Klinik für Neonatologie am Perinatalzentrum des UniversitätsSpitals in Zürich und ist Konsiliarius am Kinderspital Zürich. In dieser Funktion beschäftigt er sich zunehmend mit ökonomischen, gesellschaftlichen und ethischen Aspekten der modernen Medizin.


Nächste Veranstaltung in dieser Reihe:
Prof. Dr. Hartmut Kreß (Bonn)
Der moralische Status des Embryos. Eine heutige Streitfrage zwischen religiöser Tradition und medizinischem Fortschritt
Mittwoch, 29. Januar 2003, 17.15 Uhr, Hörsaal N 3 (Muschel)

 

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