MAINZER UNIVERSITÄTSGESPRÄCHE

Im Rahmen des Themenschwerpunktes


Medizin - im Widerspruch mit Ethik und Recht?


lädt das Studium generale zu folgender Veranstaltung ein:

Prof. Dr. Bruno Müller-Oerlinghausen (Berlin)

Künftige Finanzierung moderner Arzneitherapie
unter Berücksichtigung von Lifestyle-Medikamenten


Mittwoch, 15. Januar 2003, 17.15 Uhr Hörsaal N 3 (Muschel)

Die Arzneimittelausgaben innerhalb der gesetzlichen Krankenversicherung sind nach Abschaffung der Praxisbudgets im vergangenen Jahr um über 10% angestiegen. Dieser Anstieg geht fast ausschließlich auf die stärkere Verordnung neuer, teilweise ungemein teurer Arzneimittel zurück. Es lässt sich wahrscheinlich machen, dass in verschiedenen wichtigen Anwendungsgebieten die Qualität der Arzneiversorgung zugenommen hat, während in anderen noch Nachholbedarf besteht. Dennoch ist zu befürchten, dass in Zukunft der Fortschritt der Arzneitherapie, wie er sich z.B. in den wissenschaftlich belegten Aussagen der Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft reflektiert, nicht mehr allen Versicherten zuteil wird, da sich die Schere zwischen Anspruch/Erwartungen und vorhandenen Finanzmitteln dramatisch öffnet. Die Politik versucht, in Anlehnung an von Ärztevertretern selbst gemachte Vorschläge Einsparpotenziale zu realisieren (Festbetragsregelung; Aut-idem-Substitution; Positivliste; Versandhandel etc.). Sie ist bisher jedoch nicht zu einer umfassenden Reform der kassenärztlichen Versorgung mit Rückführung nicht mehr umsetzbarer Luxusforderungen auf das unbedingt Notwendige willens und fähig gewesen. Statt dessen konfrontiert sie die Ärzteschaft mit "ethisch" begründeten Forderungen, die schon jetzt nicht mehr erfüllbar sind. Im Vortrag sollen begründete Einsparmöglichkeiten und ihre Konsequenzen diskutiert werden. Es werden aber auch die demographischen Entwicklungen skizziert, die zur gegenwärtigen Situation geführt haben und diese in Zukunft noch verschärfen werden. Im Zusammenhang mit der sehr viel längeren Lebenserwartung spielen Veränderungen und Verfeinerungen des "Lifestyles" eine zunehmend größere Rolle. Die Entwicklung von Mitteln gegen Übergewicht, Sexualstörungen, Haarausfall, Hautalterung etc. eröffnen der Industrie riesige neue Märkte - zumindest in den hochindustrialisierten Ländern. Jedoch wird es im Sinne sozialer Gerechtigkeit zunehmend schwerer, für die Erstattungsfähigkeit ärztlicher Maßnahmen und Medikamente in diesem Bereich Konsens zu finden, bedingt durch die unklaren Grenzflächen zu "Wellness", "Kosmetik" und "Lebensqualität". Es entsteht hier ein Tummelplatz von "Disease Mongering", d.h. der Pharmaindustrie ins Portemonnaie arbeitende chronische Angst vor realistischen und erfundenen Krankheitsrisiken. Zudem macht die vor allem von Horst Baier vorgetragene Kritik am modernen Sozialstaat mit seiner bizarren Regulationsdichte und der "Körperschaftsstarre" es zunehmend unwahrscheinlich, dass sogenannte Reformen, die schlussendlich doch dem sozialen Herrschaftsanspruch des Staates und dem Postulat einer den Zwangsversicherten auferlegten Totalfürsorge verpflichtet sind, den Erwartungen einer neuen hedonistischen Generation an "Gesundheit als Lebensqualität" entsprechen werden.

Prof. Dr. Bruno Müller-Oerlinghausen, geb. 1936, Arzt für Pharmakologie/Toxikologie und Klinische Pharmakologie, studierte Chemie, Psychologie und Medizin und habilitierte sich in Experimenteller Pharmakologie und Toxikologie an der Universität Göttingen. Von 1969 bis 1971 war er für die Bundesregierung in einem Entwicklungshilfeprojekt zur Erforschung der traditionellen Pflanzenmedizin in Thailand tätig. Von 1975 bis 2001 bekleidete er den neu geschaffenen Lehrstuhl für Klinische Psychopharmakologie an der Psychiatrischen Klinik der Freien Universität Berlin und begründete dort u.a. eine Spezialambulanz für Depressionsbehandlung und -prävention. Er publizierte über 500 Arbeiten und ist Herausgeber und Mitherausgeber zahlreicher Fachzeitschriften; 1985 bis 1995 war er Vorsitzender der Aufbereitungskommission B3 am seinerzeitigen Bundesgesundheitsamt. Seit 1994 ist er Vorstandsvorsitzender der 1952 neu begründeten Arzneimittelkommission der deutschen Ärzteschaft.

Nächste Veranstaltung in dieser Reihe:
Prof. Dr. Hans Ulrich Bucher (Zürich)
Medizinische ethische Entscheidungen in der Intensivbehandlung von Neugeborenen
Mittwoch, 22. Januar 2003, 17.15 Uhr, Hörsaal N 3 (Muschel)

 

 

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