lädt das Studium generale zu folgendem Vortrag ein:
Prof.
Dr. Jürgen Blänsdorf (Mainz)
Schwierigkeiten
mit dem Glück – Seneca
Dienstag,
14. Januar 2003, 18.15 Uhr, Hörsaal N 3 (Muschel)
Wenn
der römische Philosoph, Dichter, Prinzenerzieher und Staatsmann L. Annaeus
Seneca (4 v. Chr. – 65 n. Chr.) über Schwierigkeiten mit
dem Glück schrieb, standen hinter seinen Gedanken zur Bewältigung von
Lebenskrisen eigene leidvolle Erfahrungen. Sein von chronischen Krankheiten
beeinträchtigtes Leben schwankte zwischen den Polen glückhafter Lebenserfüllung
als Philosoph und Staatsmann und dem Absturz in Machtlosigkeit und Verbannung.
Als Stoiker hatte er kein Problem mit der Definition dessen, was Glück ist oder
sein soll. Sein Denken kreiste vielmehr um die vielfältigen Ursachen der
Unfähigkeit, Glück zu erlangen und zu bewahren. Wenn der Mensch durch Erziehung
und Umwelt auf den Besitz und die soziale Zurschaustellung materiellen
Reichtums konditioniert ist und darin vorläufig Erfolg hat, kommt er kaum
anders als durch Katastrophen zu der Einsicht, dass nur eine auf Rationalität
und geistige Autarkie gegründete Lebenseinstellung das einzig stabile Fundament
sinnvollen Lebens sein kann. Doch er lässt auch erkennen, dass stoischer
Verstandes-Heroismus angesichts des Verlustes der Familienangehörigen und der
eigenen Existenz außer der Besinnung auf den gottgewollten Lauf der Welt kaum
einen wahren Trost zu spenden vermag. In letzter Konsequenz beschränkt Seneca
die Erfahrung des Glücks auf die Gegenwart, deren – mathematisch gesehen –
punktförmige Dimension nicht noch zusätzlich durch das Denken an Vergangenheit
und Zukunft beeinträchtigt werden darf.
Prof.
Dr. Jürgen Blänsdorf, geb. 1936 in Braunschweig, seit 1971 o.
Professor für Klassische Philologie/Latinistik in Mainz. Spezialgebiete:
Römisches Drama, Cicero und Seneca, römische Geschichtsschreibung, lateinische
Sprachwissenschaft, lateinische Dichtung des Mittelalters und der Renaissance.
– Veröffentlichungen zu Seneca: Römische Philosophie. Selbsterkenntnis – Recht
und Staat – Philosophie und Leben (zus. mit E. Breckel), Freiburg 1978. – Das
Paradoxon der Zeit. Zeitbesitz und Zeitverlust in Senecas Epistulae morales und
De brevitate vitae, Freiburg 1983, 1–71. – Seneca über Macht und
Menschlichkeit, Humanistische Bildung 7, Stuttgart 1983, 103–151. – Seneca über
Lebenskrisen und ihre philosophische Therapie, Paideia 52, 1997, 71–91. –
Senecas Kritik am Menschenbild des Horaz, in: Festschr. W. Wimmel,
Stuttgart 1998, 35–46. – Seneca und R. von Weizsäcker über Geschichte und
Zukunft, Gymnasium 107, 2000, 229–246.
Literatur
zum Thema: Pierre Grimal, Seneca. Macht und Ohnmacht des
Geistes, Darmstadt 1978. – Christoph Horn, Antike Lebenskunst. Glück und Moral
von Sokrates bis zu den Neuplatonikern, München 1998. – Malte Hossenfelder, Die
Philosophie der Antike Bd. 3: Stoa, Epikureismus und Skepsis, München 1985 (zum
Glück S. 44–63). – Gerhard Krüger, Epikur und die Stoa über das Glück,
Heidelberg 1998. – Gregor Maurach, Seneca. Leben und Werk, Darmstadt 1991. –
Villy Sørensen, Seneca. Ein Humanist an Neros Hof, München 1984 (zu den Ep.
mor. S. 174–198).
Nächster Vortrag in dieser Reihe:
Dr. Johann Hinrich Claussen (Hamburg)
»Mit sich selbst im
reinen sein und Gott zum Freund haben« – Das Glück des aufgeklärten
Protestantismus
Dienstag, 21. Januar
2003, 18.15 Uhr, Hörsaal N 3 (Muschel)