MAINZER UNIVERSITÄTSGESPRÄCHE WS 2003/04

 

Im Rahmen des Themenschwerpunktes

Bücher der Weisheit – Lehren fürs Leben

lädt das Studium generale zu folgender Veranstaltung ein:

 

Prof. Dr. Ludger Schwienhorst-Schönberger (Passau)

Das Buch Kohelet

Gott und die Suche nach dem Glück

Mittwoch, 3. Dezember 2003, 18.15 Uhr, Hörsaal N 3 (Muschel)

Nicht wenige verstehen das alttestamentliche Buch Kohelet als Ausdruck einer Philosophie des Absurden. In seinem Motto- und Rahmenvers »Alles ist Windhauch« scheint sich ein tiefer Pessimismus zu artikulieren. An­dererseits ruft Kohelet zur Freude auf, einer Freude, die als Gabe und möglicherweise sogar als Antwort Got­tes verstanden wird. Wie geht beides zusammen? Das Buch gehört in jene altorientalische und antike Tra­di­tion, die die Frage nach dem Inhalt und der Bedingung der Möglichkeit menschlichen Glücks (Eudaimo­nie) in das Zentrum ihrer Reflexionen stellt. Die sogenannten pessimistischen Aussagen des Buches haben in die­sem eudaimonologischen Diskurs die Funktion, falsche aber verbreitete Glücksvorstellungen zu destruieren. Sie heben den verborgenen Nihilismus einer (oberflächlich‑)optimistischen Lebenskonzeption ans Licht, um den Weg freizumachen, der zum »wahren Glück« führt. In der literarischen Figur des Kohelet wird dieser Pro­zess durchgespielt. Vor allem jener Teil des Buches, in denen Kohelet als König in Erscheinung tritt (»Kö­nigs­travestie« 1,12–2,26), zeigen, dass ein äußerlich glanzvolles Leben, dem es an Lust und Freude nicht mangelt (2,16), angesichts der Erfahrung des Todes (2,16) in die Verzweiflung führt (2,17; 2,22f). Überwunden wird ein derartiger Lebensentwurf in der Erfahrung jener Freude, die »aus der Hand Gottes stammt« (2,24; vgl. 3,13). Anthropologisch wird diese Art der Freude als ein spezifischer Modus der Erfahrung (»essen, trinken, lieben«; 5,17–19; 9,7–10) näher bestimmt (»carpe diem«) – in Absetzung von einer Haltung des Habens, die sich darin erschöpft, die Gaben des Lebens zu sammeln und zu horten, die aber nicht mehr in der Lage ist, dieselben auch zu genießen (2,26; 5,12–16; 6,1–6).

Prof. Dr. Ludger Schwienhorst-Schönberger, Studium der Philosophie und Theologie in München, Münster und Jerusalem. Seit 1993 Professor für Alttestamentliche Exegese und Hebräische Sprache an der Katholisch-Theo­logischen Fakultät der Uni­versität Passau.

Veröffentlichungen (Auswahl): Die Eroberung Jerichos. Exegetische Untersuchung zu Josua 6 (Stuttgarter Bibel­studien 122), Stuttgart 1986. – Das Bundesbuch (Ex 20,22–23,33). Studien zu seiner Entstehung und Theologie (Beiheft zur Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft 188), Berlin-New York 1990. – »Nicht im Menschen gründet das Glück« (Koh 2,24). Kohelet im Spannungsfeld jüdischer Weisheit und hellenistischer Philosophie (Her­ders Biblische Studien 2), Freiburg u.a. 1994, 21996.

 

 

Nächste Veranstaltung in dieser Reihe:

Prof. Dr. Florian C. Reiter (Professor für vormoderne chinesische Kultur, Humboldt-Universität zu Berlin)

Das chinesische Weisheitsbuch »Daodejing« – und die Facette seiner kulturgeschichtlichen Bedeutung

Mittwoch, 10. Dezember 2003, 18.15 Uhr, N 3 (Muschel)