MAINZER UNIVERSITÄTSGESPRÄCHE WS 2003/04
Im Rahmen des
Themenschwerpunktes
Bücher der Weisheit – Lehren fürs Leben
lädt das Studium generale
zu folgender Veranstaltung ein:
Prof.
Dr. Ludger Schwienhorst-Schönberger (Passau)
Nicht wenige
verstehen das alttestamentliche Buch Kohelet als
Ausdruck einer Philosophie des Absurden. In seinem Motto- und Rahmenvers »Alles
ist Windhauch« scheint sich ein tiefer Pessimismus zu artikulieren. Andererseits
ruft Kohelet zur Freude auf, einer Freude, die als
Gabe und möglicherweise sogar als Antwort Gottes verstanden wird. Wie geht
beides zusammen? Das Buch gehört in jene altorientalische und antike Tradition,
die die Frage nach dem Inhalt und der Bedingung der Möglichkeit menschlichen
Glücks (Eudaimonie) in das Zentrum ihrer Reflexionen
stellt. Die sogenannten pessimistischen Aussagen des Buches haben in diesem eudaimonologischen Diskurs die Funktion, falsche aber
verbreitete Glücksvorstellungen zu destruieren. Sie heben den verborgenen
Nihilismus einer (oberflächlich‑)optimistischen Lebenskonzeption ans
Licht, um den Weg freizumachen, der zum »wahren
Glück« führt. In der literarischen Figur des Kohelet
wird dieser Prozess durchgespielt. Vor allem jener Teil des Buches, in denen Kohelet als König in Erscheinung tritt (»Königstravestie«
1,12–2,26), zeigen, dass ein äußerlich glanzvolles Leben, dem es an Lust und
Freude nicht mangelt (2,16), angesichts der Erfahrung des Todes (2,16) in die
Verzweiflung führt (2,17; 2,22f). Überwunden wird ein derartiger Lebensentwurf
in der Erfahrung jener Freude, die »aus der Hand Gottes stammt« (2,24; vgl.
3,13). Anthropologisch wird diese Art der Freude als ein spezifischer Modus der
Erfahrung (»essen, trinken, lieben«;
5,17–19; 9,7–10) näher bestimmt (»carpe diem«) – in Absetzung von einer Haltung
des Habens, die sich darin erschöpft, die Gaben des Lebens zu sammeln und zu
horten, die aber nicht mehr in der Lage ist, dieselben auch zu genießen (2,26;
5,12–16; 6,1–6).
Prof. Dr. Ludger Schwienhorst-Schönberger, Studium der Philosophie und Theologie in München,
Münster und Jerusalem. Seit 1993 Professor für Alttestamentliche Exegese und
Hebräische Sprache an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität
Passau.
Veröffentlichungen
(Auswahl): Die Eroberung Jerichos. Exegetische Untersuchung zu
Josua 6 (Stuttgarter Bibelstudien 122), Stuttgart 1986. – Das Bundesbuch (Ex
20,22–23,33). Studien zu seiner Entstehung und Theologie (Beiheft zur
Zeitschrift für die alttestamentliche Wissenschaft 188), Berlin-New York
1990. – »Nicht im Menschen gründet das Glück« (Koh 2,24).
Kohelet im Spannungsfeld jüdischer Weisheit und
hellenistischer Philosophie (Herders Biblische Studien 2), Freiburg u.a.
1994, 21996.
Nächste
Veranstaltung in dieser Reihe:
Prof. Dr. Florian
C. Reiter (Professor für vormoderne chinesische Kultur, Humboldt-Universität zu
Berlin)
Mittwoch, 10. Dezember 2003, 18.15 Uhr, N 3
(Muschel)