Themenschwerpunkt des
Studium generale
Angst: Leben schützend, Leben bedrohend
Prof. Dr.
Dipl.-Psych. Sven Olaf Hoffmann (Mainz)
Angst
zwischen Gesundheit und Krankheit:
Die
Klinik der Angststörungen
Dienstag, 6. Januar 2004, 18.15 Uhr, Hörsaal N 3 (Muschel)
Ängste sind beim Menschen so verbreitet, dass der
große Erforscher kindlicher Ängste John Bowlby von
ihnen als einer "natürlichen Konstitution des Menschen" sprach. Wenn
wir von Angstkrankheiten oder, wie es heute heißt, von Angststörungen sprechen,
kann es nur um das Ausmaß gehen, in dem Ängste bei einzelnen Individuen
variieren. Ein zuwenig an Angst ist klinisch allerdings kaum einmal beklagt
worden, obwohl man sich über den seelischen Gesundheitszustand solcher Menschen
durchaus Gedanken machen könnte. Das zuviel an Angst jedoch ist in
Psychiatrie, Psychotherapie und Psychosomatischer Medizin neben den
depressiven Verstimmungen eine der am häufigsten vorgetragenen Beschwerden.
Etwa 10 % aller Menschen in den westlichen Kulturen leiden an so ausgeprägten
Ängsten, dass sich eine klinische Diagnose für sie stellen lässt. Unterscheiden
lassen sich zum einen gerichtete Ängste (Phobien) sowie ungerichtete Ängste
(gehäufte Angstanfälle, so genannte Panikstörungen). Neben diesen gibt es als
Kriterium einer dritten großen Gruppe das Vorhandensein eines durchgängig
erhöhten Angstniveaus, was heute als generalisierte Angststörung bezeichnet
wird. Diese Typologie ist zwar hinsichtlich ihrer Nomenklatur modern, klinisch
aber schon seit gut 100 Jahren bekannt. 1895 beschrieb Sigmund Freud das, was
heute Panikstörung genannt wird, so vollständig, dass bis heute zum klinischen
Bild so gut wie kein Detail hinzugefügt werden konnte. Wir wissen mittlerweile,
dass er seine eigene Krankheit beschrieb und für dieses Bild den Namen
"Angstneurose", der heute verlassen ist, vorschlug. Das Problem der
modernen Typologien, die in Diagnose-Glossaren operational definiert werden,
liegt in der Willkürlichkeit, mit der da Gesundheit von Krankheit abgegrenzt
wird, wo ein dimensionales Verständnis klinisch besser, aber für die Forschung
natürlich unbefriedigender wäre.
Prof. Dr. med. Dipl.-Psych.
Sven Olaf Hoffmann, geboren 1939 in Hamburg. Studium der Medizin
an den Universitäten Hamburg, Heidelberg und Paris sowie der Psychologie an
der FU Berlin. 1978 Habilitation für das Fach Psychosomatische Medizin und
Psychotherapie an der Universität Freiburg, seit 1982 Direktor der Klinik und
Poliklinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie der Universität
Mainz. Vorsitzender des Wissenschaftlichen Beirats Psychotherapie (zusammen
mit J. Margraf) von 1998 bis 2003. Arbeitsgebiete:
Persönlichkeitsstörungen, Angststörungen, Somatoforme
Störungen; methodologische Probleme der Klassifikation und Nosologie;
Psychotherapieforschung.
Wichtige Publikationen des
Referenten:
Neurosenlehre, Psychotherapeutische und Psychosomatische Medizin. CompactLehrbuch. 6. Auflage 1999 (zusammen mit G.
Hochapfel). – Handbuch Chronischer Schmerz, 2003 (zusammen mit U. T. Egle, K. A. Lehmann und W. A. Nix). – Sexueller Missbrauch,
Misshandlung, Vernachlässigung, 2. Auflage 2000 (zusammen mit U. T. Egle und P. Joraschky). – Dissoziative Störungen des Bewusstseins (erscheint Anfang
2004) (zusammen mit A. Eckhardt-Henn).
Nächster Vortrag in dieser Reihe:
Prof. Dr. Andreas Lüthi
(Professor für Neurophysiologie, Friedrich Miescher Institut Basel, Biozentrum der Universität Basel)
Die Angst im Gehirn: Aspekte aus der Hirnforschung
Dienstag, 13. Januar 2004, 18.15 Uhr, Hörsaal N 3 (Muschel)