Professor Dr. Nikolai N. Stuloff (Mainz)
Die Mathematikgeschichte als Zugang
zur modernen Strukturforschung
Dienstag, 10. November 1998, 18.15 Uhr,
Hörsaal N 3 (Muschel)
Das um 325 v.Chr. verfaßte Werk von Euklid wurde für Jahrhunderte zum Vorbild der beweisenden Wissenschaft. Es war das die Geometrie mit ihren Grundbegriffen Punkt, Gerade, Ebene usw., über deren Sein der Philosoph zu entscheiden und was der Mathematiker von ihm zu übernehmen hatte. Dies fand einen Niederschlag in der genannten Geometrie Euklids als Definitionen jener Grundbegriffe, den sog. Realdefinitionen. Die Philosophie verlangte von der an sie gebundenen reinen Mathematik das Wissen um das Objekt, um das die Beweisführung ging.
Das Werk Euklids hatte einen enormen, bis in unsere Tage reichenden Einfluß ausgeübt. Die genannten Realdefinitionen hatten in der Folgezeit auf Euklid, bereits in der Antike und dann im Abendland didaktische wie auch erkenntnistheoretische Schwierigkeiten ausgelöst. Das führte im Abendland zu einer Jahrhunderte dauernden Problematik des Objektes der theoretischen Geometrie, was durch verschiedene Autoren immer mehr den Beweisgang, d.h. die Kette von logischen Schlüssen – also das Strukurelle – in den Vordergrund treten ließ und dabei zur Absonderung des ursprünglichen Objektes tendierte. Das ging schließlich im 19./20. Jh. – die Mathematik hatte sich von der Philosophie getrennt und war stark verästelt – über in eine Geometrie, die mit inhaltsleeren Elementen vorgeht, d.h. sich vom herkömmlichen Objekt getrennt hat; eine Haltung, die jetzt auch in anderen Zweigen der Mathematik auftrat. Dies ergab nun die moderne Strukurforschung.
Prof. Dr. Nikolai N. Stuloff, geb. 1914 in Moskau, Schulbesuch und Studium in Berlin, Promotion in Göttingen, Habilitation in München, Professur für Mathematik , insbesondere Geschichte der Mathematik und der exakten Naturwissenschaften in Mainz.
Veröffentlichungen des Referenten u.a.: "Mathematische Tradition in Byzanz und ihr Fortleben bei Nikolaus von Kues", Mainz 1964; "Über den Wissenschaftsbegriff der Mathematik in der ersten Hälfte des 19. Jhs.", Meisenheim a. Glan 1968; "Die Entstehung der Elemente der Mathematik bei Nikolaus von Kues im Lichte neuzeitlicher Forschung", Mainz 1967; "Die Mathematik in philosophischer Kritik zu Beginn des 19. Jahrhunderts", Paris 1968; "Johann Joachim Becher (1635-1682). Wege zur neuzeitlichen Chemie", Mainz 1976/77; "Mathematik in Byzanz", München 1988
Gehaltene öffentliche Vorträge:
Die Mathematik im Göttingen des 19. Jhs. Skizze einer Glanzzeit in
wissenschaftstheoretischer Sicht – Der Mensch und die Zahl. Eine Entwicklung
im Lichte der Technisierung – C.F. Gauss: Tradition und epochale Ideen
in der Mathematik – Die Kreisquadratur: Ringen um ein mathematisches Problem
vom 19. vorchristl. bis zum 19. nachchristl. Jahrhundert – Die Rolle der
Mathematik in Oswald Spenglers ‚Der Untergang des Abendlandes‘ – 500 Jahre
Adam Riese. Das Rechnen in der Renaissance. Die Lehre im Vordergrund –
Goethe über die Mathematik.
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