Dr. Hermann Josef Roth (Köln)
900 Jahre Zisterzienser
Dienstag, 5. Januar 1999, 18.15 Uhr
Landesmuseum Mainz (Große Bleiche
49)
"On the roots" würde man heute wohl
eine Bewegung bezeichnen, wie sie seit dem 11. Jahrhundert Europas Jugend,
und nicht nur sie, in ihren Bann schlug. Mehr oder weniger spontan bildeten
sich vor allem im heutigen Italien und Frankreich Kommunen, die "zurück
zur Natur" wollten und Sinnsuche betrieben. Allerdings, und da liegt ein
fundamentaler Unterschied zu heute, erwartete man damals die Antwort ausschließlich
vom Evangelium. Nur wenigen dieser Experimente war Dauer beschieden, darunter
der Gemeinde von Cîteaux (lat. Cistercium, gegr. 1098) bei Dijon
in Burgund, deren Mitglieder sich bald Zisterzienser nannten und eine neue
Form des Mönchtums darstellten. Aufnahmeprozedur und Leitung eines
Zisterzienser-Konventes werden beschrieben und die Gründe genannt,
warum Cîteaux seine Anfangsprobleme in den Griff bekam. Der Person
des Bernhard von Clairvaux gilt dabei besondere Aufmerksamkeit, zumal dieser
auch im Rheinland unübersehbare Spuren hinterlassen hat. Das bauliche
Konzept einer Zisterzienser-Abtei liefert ein Musterbeispiel für funktionale
Architektur mit hoher ästhetischer Wirkung. Mystische Innigkeit und
rationale Ökonomie begründeten den atemberaubenden Erfolg des
Zisterzienser-Ordens, der hundert Jahre nach seiner Gründung ungefähr
700 Männer- und 900 Frauengemeinschaften in ganz Europa zählte.
Auflagen der Ordenssatzung, Bedürfnisse des klösterlichen Alltags
und landschaftliche Einflüsse brachten eine unverwechselbare Kunstrichtung
hervor, die in Werken der Plastik und Malerei die architektonische Formensprache
abgewandelt wiederholt. Dennoch verebbte der Elan der Gründerzeit.
Auf die kritischen Fragen der Reformatoren wußte der Orden keine
Antwort. Luther heiratete eine Zisterzienserin. Im Barock aber erlebten
die Zisterzienser eine neue Blüte, bis Aufklärung, Revolution
und Säkularisation den alten Orden praktisch auslöschten. Der
Neubeginn im 19. Jahrhundert blieb nicht frei von romantischem Mißverstehen
des Mittelalters. Die Nachwirkungen zwingen heute zu einer völligen
Neuorientierung, deren Zukunft höchst ungewiß ist. Entscheidend
wird sein, ob die tradierte Spiritualität klar erkannt und vom modernen
Menschen nachvollzogen werden kann.
Dr. Hermann Josef Roth, Ordenshistoriker,
Redakteur der Fachzeitschrift "Cistercienser-Chronik. Forum für Geschichte
und Spiritualität des Mönchtums" (1973–1995). Forschungen zur
gotischen Bauplastik, Siedlungsgeographie rheinischer Klöster und
Klosterorte, Pflege der Naturwissenschaften und Technik bei den Zisterziensern.
Verfaßte kunstgeschichtliche Monographien zu Marienstatt und Altenberg.
Mitarbeit am Ausstellungskatalog.
Grundlegendes Schrifttum:
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