Im Rahmen des Themenschwerpunktes

Evolution

lädt das Studium generale zu folgendem Vortrag ein:

 

Prof. Dr. Ulrich Witt (Jena)

Ökonomik und Darwinismus – vermeintliche und tatsächliche Berührungspunkte


Dienstag, 15. Dezember 1998, 18.15 Uhr,
Hörsaal N 3 (Muschel)

Sowohl in den Natur- wie in den Sozialwissenschaften hat Darwins Evolutionstheorie – seine Abstammungslehre und die Theorie der natürlichen Auslese – im vorigen Jahrhundert zu tiefgreifenden Umorientierungen geführt, einer "Darwinschen Revolution" um mit Ernst Mayr zu sprechen. In den Naturwissenschaften wurde das deterministische, Newtonsche Weltbild und Wissenschaftsideal in Frage gestellt. In den Sozialwissenschaften führte die vorschnelle Übertragung der Prinzipien auf den Menschen und seine Gesellschaft in den Sozialdarwinismus mit all seinen verhängnisvollen, geschichtlichen Folgen. Was auf der einen Seite einen fruchtbaren Paradigmawechsel anstieß, der den ungeahnten Aufschwung der Lebenswissenschaften in unserem Jahrhundert ermöglichte, führte auf der anderen Seite also in eine politische und moralische Katastrophe.

Wenn man sich heute in den Sozialwissenschaften wieder vorsichtig an eine Darwinsche Weltsicht annähert – die moderne Ökonomik spielt hierbei eine Vorreiterrolle – so geschieht das in dem Spannungsfeld zwischen dem beeindruckenden Erfolg der von Darwin inspirierten Evolutionsforschung einerseits und den katastrophalen Verstrickungen des Sozialdarwinismus andererseits. Diesen Konflikt gilt es im Auge zu behalten, sollen aus einer evolutionären Re-Interpretation der wirtschaftlichen und gesellschaftlichen Entwicklung neue wissenschaftliche Einsichten gewonnen werden. Der Vortrag diskutiert drei miteinander verbundene Problemkreise, in denen jeweils unterschiedliche Aspekte des Darwinismus für die Ökonomik relevant werden: die Darwinsche Revolution als Modell für einen Paradigmawechsel in den heutigen Wirtschaftswissenschaften; die (neo-)darwinistische Evolutionstheorie als Prototyp für die Erklärung evolutionären Wandels schlechthin (also auch kulturellen Wandels); die Möglichkeiten einer Darwinschen Sicht auf den Menschen und die Entwicklung von Wirtschaft und Gesellschaft unter Vermeidung einer Neuauflage sozialdarwinistischer Spekulationen.

Prof. Dr. Ulrich Witt ist Geschäftsführender Direktor des Max-Planck-Instituts zur Erforschung von Wirtschaftssystemen in Jena und leitet dort die Abteilung für Evolutionsökonomik.


Nächster Vortrag in dieser Reihe:
Prof. Dr. Christa Neumeyer (Mainz)
Evolution des Farbensehens
Dienstag, 12. Januar 1999, 18.15 Uhr, N 3 (Muschel)