Ethnische Konflikte in der Dritten Welt
Ursachen und Konsequenzen
Tagung des Interdisziplinären Arbeitskreises
Dritte Welt
Freitag, 28. Januar, 9.1520.00 Uhr
Samstag, 29. Januar, 9.0014.00 Uhr
Atrium maximum (Alte Mensa)
Freitag, Beginn 9.15 Uhr
Freitag, 28. Januar 2000
Begrüßung durch den Vorsitzenden
des Interdisziplinären Arbeitskreises Dritte Welt, Prof. Dr. Günter
MEYER
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9.15 Uhr | Prof. Dr. Siegmar SCHMIDT (Landau)
Ethnische Konflikte in der Dritten Welt Einige Thesen zu Ursachen und Verlauf |
10.30 Uhr | Dr. habil. Susanne SCHRÖTER (Mainz)
Nationale oder lokale Identität? Zur Ethnisierung sozialer und politischer Konflikte in Indonesien |
12.00 Uhr | Dr. Christian WAGNER (Rostock)
Demokratie und Ethnizität: Der Fall Sri Lanka |
Mittagspause | |
14.00 Uhr | Dr. Erhard FRANZ (Hamburg)
Unregierbares Volk ohne Staat die Kurden: Das Beispiel Nordirak |
15.30 Uhr | Dr. Anna-Maria BRANDSTETTER (Mainz)
Hamiten gegen Bantu. Die Ethnisierung von Konflikten in Zentralafrika |
17.00 Uhr | Dr. Richard ROTTENBURG (Frankfurt/Oder)
Krieg und die Konstruktion ethnischer Identität in den Nuba-Bergen (Sudan) |
Samstag, 29. Januar 2000
9.00 Uhr | Prof. Dr. Jörg STADELBAUER (Freiburg
i.B.)
Krisenregion Kaukasien: Ethnogeographische Differenzierung, politische Konfliktpotentiale und wirtschaftliche Entwicklungschancen |
10.30 Uhr | Andreas THIMM (Mainz)
Ethnisch-politische Probleme der Modernisierung in den peruanischen Anden |
12.00 Uhr | Dr. Martin TRAINE (Köln)
Zur Instrumentalisierung von Ethnizität: Der Fall Chiapas |
Schlußdiskussion aller Referenten
Moderation: Andreas THIMM |
Vorangestellt werden zunächst Arbeitsdefinitionen zentraler Begriffe. Der Schwerpunkt des Vortrages liegt dann auf der kritischen Präsentation der von der sozialwissenschaft- lichen Forschung herausgearbeiteten Ursachen für ethnische Konflikte. Hier bietet sich eine generelle Unterscheidung in strukturelle Ursachen (z.B. sozio-ökonomische Ungleichgewichte) und akteurspezifische Ursachen (u.a. beteiligte Akteure und ihre jeweiligen Ziele) an. Zu fragen ist in diesem Zusammenhang u. a. nach den Faktoren, die einen latenten Konflikt in einen Bürgerkrieg, der im Extremfall sogar bis hin zum völligen Zerfall staatlicher Strukturen führen kann, verwandeln können.
Im Anschluß daran werden einige Charakteristika
ethnischer Konflikte - u. a. das hohe Maß an Gewalt, die Konfliktdynamik
- skizziert. Abschließend soll nach Möglichkeiten der Bearbeitung
ethnischer Konflikte gefragt werden.
Seit dem Sturz Suhartos im Jahre 1998
wird Indonesien von Unruhen erschüttert, die das Projekt einer auf
unterschiedlichen Lokal- und Regionalkulturen aufbauenden Nation und damit
auch den Fortbestand des Staates ernsthaft gefährden.
Osttimor hat mit Hilfe internationaler
Unterstützung seine Unabhängigkeit gewonnen und ist zum Vorbild
für Sezessionisten in West-Papua, Aceh und Riau geworden, eine Koalition
aus Dajak und Malaien bedroht auf Kalimantan Zuwanderer aus Madura, und
auf den Molukken herrscht ein blutiger Krig zwischen einheimischen Christen
und mehrheitlich neu angesiedelten Moslems. Von Seiten der Aufständischen
bemüht man eine ethnisierende Rhetorik, wobei sozial motivierte Proteste
gegen Korruption in der Vergangenheit häufig zu anti-chinesischen
Progromen führten, während sich politische Aufstände meist
gegen die "Javaner" richten; ein Begriff, der, je nach Kontext, die Regierung,
das sich aus Angehörigen unterschiedlicher ethnischer Gruppen konstituierende
Militär und Binnenmigranten bezeichnet. In einigen Regionen werden
diese Interpretationen zunehmend von religiös motivierten Deutungen
kontrapunktiert, die bei radikalen Moslemgruppen jüngst die Forderung
nach einem "heiligen Krieg" gegen die Christen ausgelöst hatten.
Dr. Erhard FRANZ (Hamburg)
Unregierbares Volk ohne Staat die Kurden: Das Beispiel Nordirak
Angesichts des Flüchtlingsdramas
1991 richteten die westlichen Alliierten des Zweiten Golfkrieges im Nordirak
eine Schutzzone für die Kurden ein. 1992 wählten die Kurden in
ihrer Schutzzone, in der die irakische Zentralregierung keine Autorität
besaß, ein Parlament, und die beiden Führer der stärksten
Parteien, Barzani und Talabani, verständigten sich auf Zusammenarbeit.
Zwei Jahre später brach der große "Bruderkrieg" im Nordirak
aus. Dabei suchte Barzani zeitweilig die Unterstützung der irakischen
Zentralregierung unter Saddam Hussein und Talabani die der Mulla-Regierung
im Iran. Die persönlichen Hegemoniekämpfe der beiden Parteiführer
und die von ihnen eingegangenen Koalitionen zur Durchsetzung von Eigeninteressen
überlagerten den auf den ersten Blick "ethnischen" Konflikt zwischen
Kurden auf der einen und Arabern, Türken und Iranern auf der anderen
Seite. Das Experiment von Demokratie und Selbstverwaltung unter den Kurden
im Nordirak scheiterte an archaischen Gesellschaftsstrukturen, traditionellen
politischen Führungs- und Verhaltensmustern, historischen Rivalitätskämpfen
sowie auch an sozialen und ideologischen Auseinandersetzungen. Die Nachbarstaaten
Türkei und Iran, die sich bei aller sonstigen Uneinigkeit einig sind,
das Entstehen eines kurdischen Staates im Nordirak schon im Keim zu ersticken,
trugen ihrerseits zum Scheitern bei. Fremddetermination und ein bisher
nur schwach ausgeprägtes gesamtkurdisches politisches Gruppenbewußtsein
verhinderten, daß die Kurden ihrem Ziel, einen eigenen Staat zu gründen,
einen Schritt näher kamen.
Als eine der zentralen Ursachen für die vielfältigen Konflikte werden die tiefsitzenden ethnischen Gegensätze gesehen, die sich über Jahrhunderte aufgebaut haben. Diese Ethnisierung zeigte sich zunächst in Rwanda (und Burundi), wo der Krieg und Genozid als Folge des ethnischen Konflikts zwischen Hutu und Tutsi interpretiert wurde. Dieses Deutungsmuster breitete sich innerhalb weniger Jahre auf den Kongo aus und erfuhr gleichzeitig eine noch stärkere Essentialisierung: die Hutu als Repräsentanten der autochthonen Bantu gegen die Tutsi, die zu den fremden Eindringlingen der Hamiten oder Niloten gehören.
Der Vortrag will diesem Prozeß der
Ethnisierung nachgehen und untersuchen, aus welchen Vorstellungen er sich
speist und welche Auswirkungen er auf die Bildung von Identitäten
und auf politisches Handeln hat.
Der kaukasische Raum hat in der zweiten
Hälfte der 90er Jahre in doppelter Weise Schlagzeilen in der internationalen
Presse gemacht: Einerseits verwiesen die russisch-tschetschenischen Kriege
von 19941996 und 1999 darauf, daß das ethnische Konfliktpotential
fortbesteht, welches sich aus einer extremen ethnischen Zersplitterung
und historisch angelegten Problemfeldern ergibt, andererseits erhoffte
man sich zeitweilig von neuen Erdölfunden im Kaspischen Meer vor Baku
Reichtum aus der Region. Die mit dem Zerfall der Sowjetunion vor rund zehn
Jahren deutlich gewordenen Spannungen zwischen den einzelnen Völkern
Kaukasiens, die jedoch oft stellvertretend für politische Konfliktpotentiale
stehen, konnten im zurückliegenden Jahrzehnt nicht bereinigt werden.
Zwar wurden in Südkaukasien Waffenstillstände geschlossen, doch
ist die Ruhe nach wie vor trügerisch. Das Beispiel Tschetscheniens
zeigt, daß der Freiheitswille, insbesondere der kaukasischen Bergvölker,
nur mit brutaler Machtausübung unterdrückt werden kann. Ein Ende
der Auseinandersetzungen ist derzeit nicht absehbar, sondern es muß
mit weiteren, allerdings wohl meist regional begrenzten Konflikten gerechnet
werden. Der erhoffte Ölreichtum trug nicht zur Beruhigung der Region
bei, sondern ließ auch regionale Hoffnungen auf eine Beteiligung
am künftigen Reichtum entstehen. Die Diskussion um die Trassenführung
der Hauptpipeline, mit der Erdöl von Baku aus dem Weltmarkt zugeführt
werden soll, verdeutlich, in welchem Maße sich unternehmerische und
politische Interessen durchmischen. Der Vortrag versucht, den Zusammenhang
zwischen ethnopolitischen Konflikten und wirtschaftlichen Interessen auf
regionaler Ebene zu analysieren und dabei zugleich den Einfluß des
Globalisierungsprozesses herauszuarbeiten.
Andreas THIMM (Mainz)
Ethnisch-politische Probleme der Modernisierung in den peruanischen Anden
Im südlichen Hochland von Peru
stoßen die traditionalen Kulturen der indianischen Landbevölkerung
und die weiße Kultur der modernen Sektoren von der Küste wenig
vermittelt aufeinander. Daraus ergeben sich Konflikte, die dauerhaft und
strukturell die Entwicklungsmöglichkeiten der Region und ihrer Bewohner
behindern und zeitweilig zu schwerwiegenden gewaltsamen Ausbrüchen
führen. Ausgehend von einem besonders dramatischen Vorfall, versucht
der Vortrag, die strukturellen Probleme der hochandinen Regionen zu analysieren.
Dr. Martin TRAINE (Köln)
Zur Instrumentalisierung von Ethnizität: Der Fall Chiapas
Das Aufkommen des EZLN war sowohl für
die nationale und internationale Öffentlichkeit als auch für
die meisten Sozialwissenschaftler ein unerwartetes und überraschendes
Ereignis. Nach 70 Jahren politischer Monotonie in Mexiko, als das Land
vor der Tür seines unumkehrbaren Eintritts ins Zeitalter der Globalisierung
stand, erwartete niemand, daß noch ein politischer Akteur auftreten
konnte, der in der Lage wäre, so erfolgreich das Erbe der "Revolution"
für sich in Anspruch zu nehmen. Eine nähere Betrachtung des Falls
Chiapas läßt vermuten, daß der Erfolg des EZLN vor allem
in seiner geschickten symbol-politischen Handlung bestand, durch die die
Bewegung sich die grundlegenden politischen Symbole der mexikanischen politischen
Gesellschaft aneignen konnte: der Mythos der Revolution, des bewaffneten
Bauers, des unsiegbaren Indios, der mexikanischen Nation.
Ohne im einzelnen auf die erwähnten Figuren einzugehen, die sich im Selbstverständnis der EZLN exemplarisch in dem "Zapata"-Symbol verkörpern, ist die Tatsache nicht uninteressant, daß der neue Akteur sich vor der Öffentlichkeit als Vertreter der neuen indigenistischen Bewegung darstellt.
Es ist jedoch darauf aufmerksam zu machen, daß sich gerade in diesem Profil, durch das der EZLN als Vorkämpfer der Indio-Rechte erscheint, das größte Dilemma seiner politischen Zukunft als politische Bewegung verbirgt.
Zweifelsohne ist es dem EZLN gelungen, zur Anziehungskraft der neuen indianistischen Bewegungen zu werden, die immer mehr vom klassischen integrationistischen Indigenismus Abstand nehmen. Die Ambivalenz seiner Politik allerdings, die sich gleichzeitig auf die indigenen Traditionen und die Kontinuität der Mexikanischen Revolution beruft, wird den EZLN früher oder später in einen inneren Konflikt seiner ethnischen Wahrnehmungen führen. Der Beitrag behandelt das Thema in vier Kapiteln:
i) EZLN und das Erbe der Revolution, ii)
Die Indio-Frage in Mexiko, iii) Vom Indigenismus zum Indianismus, und iv)
Chiapas als ethnischer Konflikt?
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