Prof. Dr. Stefan H. Dürr (Mainz)
Gebirgsbildung/Orogenese – orogene
und an-orogene Zeiten der Erde
Dienstag, 7. Dezember 1999, 18.15 Uhr
Hörsaal N 2 (Muschel)
Die Geologie unterscheidet Berge (griech.: "oros") bzw. Gebirge nach Bau und Entstehung. Die meisten sind Skulpturen, von der Erosion aus dem Anstehenden herauspräpariert, was leicht geschieht, wenn ein Krustenblock sich hebt. Vulkangebirge stellen Aufschüttungen dar.
Die mächtigen Kettengebirge hingegen, von den Geologen "Orogene" genannt, bezeichnen die Stauch- und Knautsch- (Faltungs- und Überschiebungs-) Zonen der gegeneinander beweglichen Platten, aus denen die (halb-)feste Haut der Erde besteht. Diese ("Lithosphaeren"-)Platten umfassen die Kruste (unter den Ozeanen 6–10, im Bereich der Kontinente 25–40 km dick) und einige Zehner km des darunterliegenden festen Mantelmaterials; sie treiben cm/Jahr-langsam auf und mit den (Konvektions-)Strömungen des tieferen Mantels, teils auseinander (an den mittelozeanischen Rücken), teils seitlich aneinander vorbei (wie z.B. an der nordanatolischen Bebenlinie), teils aufeinander zu, wobei ozeanisches Lithosphaeren-Material wieder in den Mantel absinkt ("subduziert" wird) und dort verschwindet. Die Kollisionszonen-Orogene reichen Zehner km tief in den Mantel hinein; ihre oberflächlich als Gebirge aufragenden Teile werden meist rasch eingeebnet.
Der Vortrag behandelt einen (scheinbaren) Widerspruch: Das viskose Material des Erdmantels kriecht, und die Platten auf ihm bewegen sich und kollidieren kontinuierlich; großräumige "Phasen" der Gebirgsbildung jedoch stellen – erdgeschichtlich gesehen – episodische Ereignisse dar.
Dies hat mit der Kontinent/Ozean-Dualität der irdischen Kruste (bzw. Lithosphaere) zu tun. Geburtsstätten der Kontinente sind die intra-ozeanischen Kollisionszonen, in denen Inselbögen (die aus einem "Akkretionskeil" und einer magmatischen bzw. Vulkan-Zone bestehen) zu Proto-Kontinenten auswachsen. Was derart auf engem Raum geologisch stetig abläuft, kann als "Orogenese niederer Ordnung" bezeichnet werden.
Kollisionen von Inselbögen führen zur Bildung der Kontinente. Die Lithosphaere aller Kontinente ist zur Gänze orogener Natur, d.h. sie besteht aus aneinandergeschweißten Orogen-Strängen. Einmal geschaffene kontinentale Kruste stellt eine Anomalie dar, vor allem ihrer geringeren Dichte wegen. Kontinent/Kontinent-Kollisionen lassen das Strömungsgeschehen im Mantel örtlich-zeitlich unstet werden; dessen (letztlich globale) Umstellungen entsprechen den großräumig wirksamen Haupt-Phasen der Orogenese.
Der im einzelnen sehr komplexe Bau der lebenden Erde ist nur historisch-geologisch zu verstehen, durch die Analyse also ihrer jahrmilliarden-langen Entwicklung, die ein "chaotisches" Geschehen war, ist und weiterhin sein wird – auch ohne Zutun der ephemeren Menschheit.
Prof. Dr. Stefan H. Dürr, geb. 1935, Studium in Bonn, München und Clermont-Ferrand; Assistent und Dozent in Marburg/L., Lehrstuhlvertretungen in Izmir/Türkei und Kiel, Gastforscher des CNRS in Brest/Frankreich; in Mainz seit 1980 tätig. Hauptarbeitsgebiete: die inneren Zonen der alpidischen Gebirge des ostmediterranen Raumes.
Literatur zum Thema: Hölder,
H. (1989): Kurze Geschichte der Geologie und Paläontologie (Springer).
– Moores, E.M. & Twiss, R.J. (1995): Tectonics (Freeman). – Ziegler,
P.A. (19902) Geological Atlas of Western and Central Europe
(Shell). – Blundell, D & al. (ed.) (1992): A continent revealed – The
European Geotraverse (Cambridge Univ. Press).
Nächster Vortrag in dieser Reihe:
Prof. Dr. Lukas Baumgartner (Mainz)
Geysire und Hydrothermal-Systeme –
geologisch kurze Episoden intensiver Gesteinsumwandlung
Dienstag, 14. Dezember 1999, 18.15 Uhr,
N 2 (Muschel)
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