Themenschwerpunkt "Zeit und Zeitlichkeit"
Der Fachbereich 22 und das Studium generale
laden im Rahmen der Vortragsreihe
"Zeit und Zeitlichkeit in den Geowissenschaften"
zu folgendem Vortrag ein:
 

Prof. Dr. K.-Ingo O. Keesmann (Mainz)
Metallgewinnung und Metallurgie
"vor unserer Zeit"
Dienstag, 18. Januar 2000, 18.15 Uhr
Hörsaal N 2 (Muschel)
 

In Zeiten stürmischer technischer Entwicklung bleibt der Fortschritt nur für eine kurze Zeit von vielleicht ein bis zwei Generationen überschaubar. Industrieanlagen, Maschinen und Verfahren von gestern werden modernisiert und verschwinden. Das technische Wissen unserer Großeltern ist in neue Technologien eingegangen, in den Einzelheiten aber bereits teilweise wieder in Vergessenheit geraten. Schriftliche Überlieferung kann nur einen Teil dessen erhellen, was in einer langen Folge immer wieder vom Vater auf den Sohn an Erfahrung weitergegeben wurde. Diese Verdrängung aus unserem "technischen Gedächtnis" hat zur Folge, daß uns die Grundlagen der technischen Entwicklung und unserer materiellen Kultur weitgehend nicht bekannt und nicht bewußt sind. Blicken wir zurück, dann sind wir sehr schnell in dem langen zeitlichen Bereich, der vor unserem Bewußtsein der historischen technischen Entwicklungen liegt.

Es ist die Zeit, in der alle die metalltechnisch wichtigen Grundlagen geschaffen wurden, ohne die der Fortschritt unserer Tage nicht denkbar wäre, auch nicht das Werk eines Johannes Gutenberg. Wir haben damit ein Aufgabenfeld, das im 19. Jahrhundert beginnt und bis in die frühesten Perioden in der Anwendung technischer Verfahren zurückreicht. Nicht selten nahm die Produktion von Verbrauchsgütern bereits in der Antike Ausmaße an, die mit denen moderner Industrie durchaus vergleichbar sind. Aber wie kann man vergessene Techniken wieder erkennen und verstehen? Materialgewinnung und technische Verfahren erschließen sich meist nur aus unscheinbaren Abfällen, die zuweilen im Bereich der ehemaligen Werkstätten oder im antiken Müll erhalten blieben. Es ist eine erst junge Entwicklung, in deren Verlauf sich Naturwissenschaftler mit den ihnen zur Verfügung stehenden Methoden an der Lösung archäologischer Fragestellungen zu beteiligen lernen. Es bedarf in der Tat einer längeren Lehrzeit, die Abfälle aus vergangenen Zeiten in produktionstechnisch sinnvolle Zusammenhänge zu bringen. Archäometallurgie ist der Versuch, in multidisziplinärer Zusammenarbeit zwischen Archäologen und den verschiedensten naturwissenschaftlichen Fachrichtungen alte metallurgische Verfahren zu rekonstituieren. Dabei den Schöpfern der materiellen Kultur der Vergangenheit noch einmal bei der Arbeit zuzusehen, macht deutlich, daß metallurgische Technik immer Hochtechnologie war – jeweils gemessen am technischen Stand der Zeit und Kultur. Methoden der Geowissenschaften, die für die Untersuchung geochemischer Systeme, von Mineralen und Gesteinen entwickelt wurden, sind hervorragend für die Lösung archäometallurgischer Fragestellungen geeignet. Räumlich liegen Erze und ihre Verwendung umso enger zusammen, je weiter wir in die Vergangenheit zurückgehen. Wir beobachten technische Entwicklungen. Die pyrotechnischen Verfahren in den einzelnen Metall-Technologieketten haben sich dabei im Prinzip nur wenig verändert.

K.-Ingo O. Keesmann, Universitätsprofessor, Dr. rer. nat, Diplom-Chemiker, geb. 1937. Studium der Chemie an der Universität Würzburg, mit gleichzeitigem Interesse für Geowissenschaften, Vor- und Frühgeschichte. Promotion 1968. Wissenschaftlicher Assistent bei S. Matthes, Würzburg. Ab 1969 fünf Jahre Entwicklungshelfer in Zentralafrika als Dozent für Mineralogie, Geochemie und Kristallograpie an der Universität Lovanium, Kinshasa, Kongo. 1974 Berufung an das Institut für Mineralogie der Universität Mainz als Abteilungsvorsteher und Professor für den Arbeitsbereich Petrographie und Lagerstättenkunde. – Altertümliche kupferne Kleinmünzen sowie Eisenschlacken im Umzugsgepäck und die Erfahrung aus einer technisch weniger hoch entwickelten Umwelt gaben den Anreiz, geschichtliche und technologische Fragen mit chemischen und mineralogischen Untersuchungsmethoden zu verbinden. Daraus wurde Archäometallurgie als ein eigenes Arbeitsgebiet. Schwerpunkte: Pyrometallurgische Verfahren der Antike und des Mittelalters auf der Grundlage oberflächennaher Erzlagerstätten von Eisen, Kupfer, Blei und Silber – an vielen Stellen in Europa, Afrika und Asien.

Allgemeine Literatur zum Thema: I. Keesmann (1989): Archäometallurgie. Ein multidisziplinäres Forschungsgebiet. Forschungsmagazin Universität Mainz, Heft 1/89, 6–19. – Ders. (1993): Metalle in der Geschichte – Methoden und Ergebnisse der Archäometallurgie. Forschungsmagazin Universität Mainz, Sonderausgabe März/April 1993, 45–52.

Nächster Vortrag in dieser Reihe:
Prof. Dr. Dr. h. c. Arno Semmel (Hofheim/Ts.)
Eiszeitalter und Gegenwart in der Rhein-Main-Landschaft
Dienstag, 25. Januar 2000, 18.15 Uhr, N 2 (Muschel)


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