Prof. Dr. Boris Groys (Köln)
Der Umgang der modernen Kunst mit der
Massenkultur. Künstlerstrategien zwischen Kritik und Faszination
Dienstag, 30. November 1999, 18.15 Uhr,
Hörsaal N 3 (Muschel)
Die Kunst steht heute nicht mehr am Ursprung des Kunstwerks, sondern an seinem Ende. Sie ist nicht mehr die Schaffung der Dinge, sondern ihre exklusive Verwendung – wobei eine solche Verwendung eventuelle künstlerische Bearbeitung und Umgestaltung der Dinge sicherlich mit einschließt. Gerade die erfolgreichsten Künstler unserer Zeit verwenden das allgemein zugängliche, mediale Bildergut, das vor allen Augen anonym entsteht. Der Künstler demonstriert damit, wenn er erfolgreich ist, die Möglichkeit, den Verlust der Autorenschaft zu verkraften, indem er die serielle, anonyme, unpersönliche Bild- und Dingproduktion so gebraucht, daß dieser Gebrauch von der Gesellschaft als individuell, persönlich, originell anerkannt wird. Die Signatur eines Künstlers bedeutet nicht mehr, daß der Künstler einen bestimmten Gegenstand produziert hat, sondern daß er diesen Gegenstand verwendet hat – und zwar auf besonders interessante Art und Weise.
Indem der Künstler auf diese Weise
die Position des vorbildlichen Konsumenten einnimmt, kompensiert er das
tiefste Trauma der Moderne, nämlich den Verlust der Aristokratie.
Man besucht heute eine große Ausstellung oder eine Installation,
wie man früher einen aristokratischen Palast besucht hat. Der Besucher
wird zur Kunst vorgelassen – aber er ist nicht ihr eigentlicher Konsument.
Vielmehr nimmt er sich eine bestimmte Art von Konsum, die der Künstler
in seiner Ausstellung demonstriert, zum Vorbild, wie man früher die
aristokratische Lebensweise zum Vorbild genommen hat. Der heutige Kunstbetrachter
konsumiert nicht mehr die Arbeit des Künstler. Vielmehr steckt er
seine eigene Arbeit dahinein, wie ein Künstler zu konsumieren.
Publikationen zum Thema: 1. Gesamtkunstwerk
Stalin. Hanser. München 1988; russ. Version: in: Utopia i obmen. Moskau
1993; franz. Übers.: Staline. Oeuvre d'art totale. Nîmes 1990;
ital. Übers.: Lo stalinismo ovvero l'opera d'arte totale. Milano 1992;
amerik. Übers.: The Total Art of Stalinism. Princeton Univ. Press
1992. – 2. Dnevnik filosofa (russ.) (Tagebuch eines Philosophen). Paris
1989. – 3. (mit I. Kabakov). Die Kunst des Fliehens. Hanser. München
1991.– 4. Zeitgenössische Kunst aus Moskau. Von der Neo-Avantgarde
zum Post-Stalinismus. München 1991. – 5. Über das Neue. Versuch
einer Kulturökonomie. Hanser. München 1992. Franz. Übers.:
Du Nouveau. Nîmes 1995. – 6. Utopia i obmen. (russ.) (Utopie und
Austausch). Moskau 1993. – 7. (Hrsg.) Fluchtpunkt Moskau. Cantz Verlag.
Stuttgart 1994. – 8. Die Erfindung Rußlands. Hanser. München
1995. – 9. (mit I. Kabakov). Die Kunst der Installation. Hanser. München
1996.– 10. (Hrsg.) Kierkegaard. Schriften. Diederichs. München 1996.
– 11. Logik der Sammlung. Hanser. München 1997. – 12. Kunst-Kommentare.
Passagen. Wien 1997.
Prof. Dr. Boris Groys ist Professor
für Ästhetik und Medientheorie an der Hochschule für Gestaltung,
Karlsruhe.
Nächster Vortrag in dieser Reihe:
Dr. Dietmar Gensicke (Hannover)
Zwischen Videoclip und Love Parade.
Jugend – Pop – Massenkultur
Dienstag, 14. Dezember 1999, 18.15 Uhr,
Hörsaal N 3 (Muschel)
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