Prof. Dr. Emil Angehrn (Basel)
Chaos und Ordnung
Zur Philosophie des Mythos
Mittwoch, 9. Juni 1999, 17.15 Uhr
Hörsaal N 3 (Muschel)
Nach einem verbreiteten Verständnis ist der Übergang vom Mythos zum Logos ein Übergang von ungeordneten und phantastischen Erzählungen zur systematischen Ordnung der Vernunft. Doch hat bereits der Mythos wesentlich mit der Aufdeckung und Schaffung von Ordnung zu tun. In Ursprungsmythen vergewissert sich eine Gesellschaft des Gründungsgeschehens, in dem ihre Ordnung gestiftet wurde und von dem her sie ihre Legitimität erhält. Schöpfungsmythen erzählen vom Herausgehen aus dem ursprünglichen Chaos und der Bildung der Welt; die Entstehung des "Kosmos" ist Genese von Ordnung. Allerdings gehört es zum Spezifischen mythischer Ursprungsbesinnung, daß sie zugleich die Erinnerung an das Überwundene, das Bewußtsein der Bedrohung wachhält: Schöpfungsriten inszenieren die periodische Wiederkehr des Chaos und begehen aufs neue den Kampf gegen die Mächte der Unterwelt. Philosophische Ordnungsvorstellungen hingegen haben jene Erinnerung aus sich verbannt. In der Reflexion auf ihre mythische Vorgeschichte wird sich die Vernunft der verdrängten Negativität und der Labilität ihrer Ordnungen bewußt.
Prof. Dr. Emil Angehrn, geb. 1946, Studium der Philosophie, Soziologie und Volkswirtschaftslehre in Löwen und Heidelberg, Dr. phil. 1976 in Heidelberg, Habilitation 1983 an der Freien Universität Berlin, 1989 Professor für Philosophie in Frankfurt, seit 1991 Professor für Philosophie an der Universität Basel.
Forschungsschwerpunkte: Metaphysik, Geschichtsphilosophie, Hermeneutik, Politik.
Publikationen des Referenten (Auswahl):
Freiheit und System bei Hegel, Berlin/New
York 1977.
Geschichte und Identität, Berlin/New-York
1985.
Geschichtsphilosophie, Stuttgart/Berlin/Köln
1991.
Die Überwindung des Chaos. Zur Philosophie
des Mythos, Frankfurt am Main 1996.
Nächster Vortrag in dieser Reihe:
Mittwoch, 23. Juni 1999, 17.15 Uhr, N 3
(Muschel)
Prof. Dr. Friedrich Beißer (Mainz):
Zur Frage der Entmythologisierung
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