Im
Rahmen des Themenschwerpunktes
Erinnern und Vergessen
lädt das Studium generale zu folgendem
Vortrag ein:
Dagmar Schroeder-Hildebrand (Washington
D.C.)
»Ich sterbe vor Hunger«.
Evas Kochphantasien im KZ.
Leben einer fast Hundertjährigen
nach dem Überleben
Montag, 19. April 1999, 18.15 Uhr,
Hörsaal N 3 (Muschel)
Mehr als ein halbes Jahrhundert nach ihrer
Flucht aus dem Konzentrationslager Ravensbrück nimmt eine in den USA
lebende deutsche Jüdin vergilbte Kochrezepte in die Hand. Die brüchigen
Blätter dokumentieren den Widerstand verhungernder Frauen gegen ihre
Peiniger im Lager. Täglich den Tod vor Augen phantasierten sich die
Frauen in eine bessere Welt. Die geschundenen Frauen tauschten Rezepte
ihrer Kindertage aus, sie kochten im Kopf, sie bildeten sich ein Schwelgen
im Überfluß ein und träumten sich über den quälenden
Hunger hinweg.
Zusammen mit einer in den USA lebenden
deutschen Journalistin findet die 96jährige nach all den Jahren die
Kraft, ein Versprechen einzulösen: Nicht länger in der KZ-Phantasie,
sondern am eigenen Herd in der Freiheit will sie Rezepte aus dem Konzentrationslager
zubereiten und damit sich selbst und der ganzen Welt beweisen, daß
Hoffnungen auch der dunkelsten Stunden in Erfüllung gehen können.
Die beiden Frauen kochen und genießen gemeinsam ein in Ravensbrück
aufgezeichnetes Festmenü.
Die 1943 geborene nichtjüdische Autorin
erkennt bei der Begegnung mit der Holocaust-Überlebenden, wie schmal
der Grat zwischen Vergessen-wollen und dem Einholen durch Erinnerungen
ist. Bis auf den heutigen Tag ist die längst amerikanische Staatsbürgerin
gewordene deutsche Jüdin auf der Hut vor Antisemitismus. Sie ist auf
der Flucht vor den Alpträumen und dem Hunger der KZ-Vergangenheit.
Das Buch ist auch der Versuch zur Beantwortung
der Frage, wie Menschen traumatische Erlebnisse verarbeiten und ihr ganzes
Leben wohl doch von den letztlich unerträglichen Schrecken geprägt
wird. Wie Katastrophen sich aus der Verkettung oft unscheinbarster Ereignisse
und Taten entwickeln können.
„Das Wunder der Kochrezepte aus dem Konzentrationslager
wird mit mir sterben“, glaubt Eva Ostwalt. Das Buch ist auch der Versuch
zur Rettung dieses Wunders.
Dagmar Schroeder-Hildebrand lebt
als White House Correspondent in Washington, D.C. Auf der Basis langer
Gespräche hat sie die Biographie der Eva Ostwalt geschrieben..
Nächster Vortrag in dieser Reihe:
Montag, 26. April 1999, 18.15 Uhr, Hörsaal
N 3 (Muschel)
Lore Walb (München):
Lesung: »Ich, die Alte – Ich, die
Junge«. Konfrontation mit meinen Tagebüchern 1933–1945