Das Wort Geschichte ist doppeldeutig. Es meint das, was erzählt werden kann, und das, was geschehen ist. Das Werk des portugiesischen Schriftstellers und letztjährigen Nobelpreisträgers José Saramago kreist um diese Doppeldeutigkeit: wie das Untergegangene in der Erzählung greifbar gemacht, bewahrt, erinnert, ja gerettet werden kann, wie es vielleicht gerade dadurch aber auch entstellt und verfälscht wird. Nur durch die Erzählung ist uns das Verlorene gegeben, nie reicht die Erzählung aber an ihren Gegenstand heran. Das Problem der Geschichtsschreibung ist auch ein Problem des Romans.
Saramago hat mit dem Memorial do Convento (dtsch. Das Memorial) und der História do Cerco de Lisboa (dtsch. Geschichte der Belagerung von Lissabon) die Fiktionen der Erinnerung problematisiert. Seine Bücher sind Romane über die Geschichte und die Gegenwart, auch Romane über das Schreiben und die Literatur. "Es ist noch nicht endgültig ermittelt, ob der Roman es verhindert, daß der Mensch sich vergißt, oder ob das Vermögen zu vergessen den Menschen veranlaßt, Romane zu schreiben" (Geschichte der Belagerung von Lissabon).
Prof. Dr. Hans T. Siepe, geb. 1947,
hat in Mainz seit dem WS 1996/97 eine Professur für Romanische Philologie
mit dem Aufgabengebiet "Neuere französische Literatur unter Berücksichtigung
der Frankophonie", bleibt aber weiterhin interessiert auch an portugiesischer
Gegenwartsliteratur. Promotion über den Leser des Surrealismus, Habilitation
über Mythen und Strukturen des Populärromans.
Publikationen des Referenten zum Thema:
außer Rezensionen zu (fast allen) Romanen von José Saramago in der Neuen Zürcher Zeitung (NZZ):
Montag, 28. Juni 1999, 18.15 Uhr, Hörsaal
N 3 (Muschel)
Prof. Dr. Claus Leggewie (Gießen)
Die Zukunft in der Vergangenheit
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