Prof. Dr. Dr. h. c. Spiros Simitis (Frankfurt/M.)
Datenschutz als Recht auf Vergessen
Montag, 31. Mai 1999, 18.15 Uhr
Hörsaal N 3 (Muschel)
Mangelnde zeitliche Schranken bei der Verarbeitung personenbezogener Daten gefährden die Grundrechte der Betroffenen genauso wie fehlendes Wissen darüber, wer welche ihrer Daten in welchem Zusammenhang und für welche Zwecke verwendet. Partizipations- und Kommunikationsfähigkeit hängen daher gleichermaßen von klaren Zeitvorgaben und präzisen Zugangsgrenzen ab.
Datenschutzgesetze richten deshalb inhaltliche und zeitliche Barrieren auf. Auch und erst recht, weil in einer Gesellschaft, in der sich eine Informations- und Kommunikationstechnologie immer fester etabliert, die den einzelnen zwingt, Spuren zu hinterlassen und zugleich die Mittel liefert, sie zu registrieren, Reflexionen über die informationelle Selbstbestimmung solange ein rein akademischer Diskurs bleiben wie Anonymität und Nichtwissen nicht verläßlich garantiert sind.
Datenschutz ist trotzdem nicht programmiertes
Vergessen, sondern reflektiertes Bewahren. Eine Alternative zu einer zeitlich
offenen Verarbeitung gibt es jedenfalls dort nicht, wo Informations- und
Kommunikationsfähigkeit Erinnerung und nicht Vergessen voraussetzen.
Ganz in diesem Sinn manifestieren die Archivgesetze die Unverzichtbarkeit
der Erinnerung für das Selbstverständnis einer Gesellschaft.
Historische Forschung und wissenschaftliche Forschung überhaupt illustrieren
zudem tagtäglich, daß es sorgfältig zwischen der Notwendigkeit
zeitlicher Barrieren und einer rechtlich sanktionierten Löschung der
Daten zu unterscheiden gilt. Beide Beispiele zeigen aber auch, daß
Erinnerung an die Bereitschaft gekoppelt werden muß, eine verlängerte
Verarbeitung durch schärfere Verwertungsbeschränkungen der jeweils
in Betracht kommenden Daten zu kompensieren, sie also an Bedingungen zu
knüpfen, die den Respekt vor dem Grundrecht der Betroffenen auf informationelle
Selbstbestimmung sicherstellen.
Prof. Dr. Dr. h. c. Spiros Simitis
ist Professor für Arbeitsrecht, Bürgerliches Recht und Rechtsinformatik
an der Universität Frankfurt; Hessischer Datenschutzbeauftragter 1975–1991;
Vorsitzender der Expertenkommission des Europarates für Datenschutzfragen
1982–1986; Ständiger Berater der EG-Kommission in Datenschutzfragen
seit 1988; Mitglied des Forums Informationsgesellschaft der EG-Kommission.
Veröffentlichung des Referenten zum Thema:
Prof. Dr. Dr. h. c. mult. Fritz Stern (New
York)
Antisemitismus und die Dynamik des Kapitalismus
im späteren 19. Jahrhundert
Dienstag, 1. Juni 1999, 18.15 Uhr,
Hörsaal N 3 (Muschel)
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