Der Interdisziplinäre Arbeitskreis »Drama und Theater«

und das Studium generale

laden zu folgender Vortragsreihe ein:

Mythos Orpheus

Montag, 22. Januar 2001, 15.15 Uhr, Hörsaal 16, Forum (Eingang Becherweg 4)
 

    Prof. Dr. Jürgen Blänsdorf (Seminar für Klassische Philologie, Mainz)
    Orpheus in der Dichtung
    Ovids ‚Metamorphosen‘ und Vergils ‚Georgica‘
    (Rezitation: Prof. J. Blänsdorf, Heiko Schneider, Yvonne Wiedemann)
In Vergils Georgica und Ovids Metamorphosen lesen wir nicht die ältesten, aber die umfassendsten und wirkungsmächtigsten Versionen der Sage von Orpheus und Eurydike, deren Sinn immer neue Interpretationen und Neuschöpfungen zu erschließen suchen. Trotz ihrer verschiedenen Konzeption – Vergils von dichterischen Bildern untermalte Klage um den Tod der beiden Liebenden enthält weniger Schilderung als Ovid, der außerdem das Ringen des Menschen mit dem Tod betont – enthalten beide Sagenfassungen ein breites Motivspektrum, das unsere Rezitationen vor Eintritt in die wissenschaftlichen Debatten vergegenwärtigen wollen: Liebe und Treue über den Tod hinaus und vernichtende Gier, Schuld, Tod und Opfermut, Macht und Ohnmacht von Gesang und Dichtung, wahre und falsche Musik, Einklang mit der Natur und tödliche Gewalten. Aber der Orpheus der Mysterienreligion ist in diese Versionen nicht eingegangen.
Textsammlung zum Thema: Mythos Orpheus. Texte von Vergil bis Ingeborg Bachmann, hg. v. W. Storch, Leipzig 1997.
 
Dr. Udo Reinhardt (Seminar für Klassische Philologie, Mainz)
Orpheus in der Bildenden Kunst
(mit Lichtbildern)
Im begrenzten zeitlichen Rahmen präsentiert der Beitrag einige highlights aus der reichen Bildtradition zum Thema ‚Orpheus und Eurydike‘: von dem antiken Dreifiguren-Relief über Bildbelege aus Spätgotik und Frührenaissance, von Tiepolo, Canova, Rodin und Ker Xavier Roussel bis zum Holzschnitt-Zyklus von Gerhard Marcks. Im Mittelpunkt der Interpretation steht (neben der Frage der literarischen Vorgabe: Vergil, Georgica 4 / Ovid, Metamor-phosen 10) der künstlrische Aspekt des jeweils gewählten ‚fruchtbaren Augenblicks‘.
Publikationen zum Thema: U. Reinhardt, ‚Orpheus und Eurydike‘. Bilder zum Text, in: Der Altsprachliche Unterricht 40, 1997, 80–96; ders., Ovids Metamorphosen in der modernen Kunst, Bamberg 2001 (im Druck).
 
Prof. Dr. Dieter Zeller (Religionswissenschaft des Hellenismus, Mainz)
Orpheus in der griechischen Antike
Gestalt und Gestaltungen, Garant von Geheimlehren
Außer vom Abstieg in die Unterwelt, dessen religionsgeschichtlicher Hintergrund zu untersuchen ist, weiß die griechische Literatur und Kunst noch von anderen eher unbekannten Aspekten des thrakischen Sängers: z. B. seiner Teilnahme an der Argonautenfahrt, seiner Stiftung von Mysterienkulten. Er gilt als Autor von esoterischen Schriften, die für eine Richtung von Dionysosverehrern den Weg zum Heil weisen. Manches davon kann mit Dias veranschaulicht werden.
 
Prof. Dr. Elisabeth Schröter (Institut für Kunstgeschichte, Mainz)
Orpheus in der Kunst der Renaissance
Die in Mittelalter und Renaissance immer bekannte tragische Geschichte des Orpheus hat als Bildthema im 15. und 16. Jahrhundert erstaunlicherweise keine so große Rolle gespielt. Dennoch gibt es in der italienischen und nordalpinen Kunst, vor allem in der Buchmalerei und Graphik sowie vereinzelt in der Monumentalmalerei und Skulptur, wichtige Beispiele, die einerseits Hauptszenen des Orpheusmythos, andererseits ihn allein als Repräsentanten der Musik und der Poesie darstellen. Zentren der humanistischen Beschäftigung mit dem Orpheusthema waren zum Beispiel Florenz und Mantua, im Norden Nürnberg und Basel.
 
Prof. Dr. Andreas Solbach (Deutsches Institut, Mainz)
Liaisons dangereuses: Kontamination durch Musik im deutschen Barockroman
Der Vortrag beschäftigt sich mit der gefährdeten und gefährdenden Rolle des Musikers in der frühen Neuzeit; Musiker gelten oftmals als „Unehrliche“, die von der Gesellschaft schnell und nachhaltig marginalisiert werden. An verschiedenen Texten von Johann Beer, der selbst ausübender Musiker und Musiktheoretiker ist, und Grimmelshausen soll exemplarisch dargestellt werden, welche komplexe Rolle der Musiker in der frühen Neuzeit einnimmt.
 

Mythos Orpheus

Montag, 29. Januar 2001, 15.15 Uhr Hörsaal 16, Forum (Eingang Becherweg 4)
 

Prof. Dr. Jörg Zimmermann (Kunsttheorie und Philosophie, FB Bildende Kunst, Mainz)
Orpheus – ein Musiker-Philosoph als Wanderer zwischen den Künsten
Orpheus wurde noch von Schopenhauer zu den „alten Philosophen“ gezählt. Seine besondere Rolle besteht darin, daß er den philosophischen Logos einerseits mit dem dichterischen Mythos, andererseits mit der affektiven Gewalt der Musik verbindet. Die Spannung zwischen rationaler Orientierung und irrationalem „Urgrund“ zeigt sich in Divergenzen der neuzeitlichen Auslegung, die zunächst – z.B. bei Ficino oder Francis Bacon – eher „apollinisch“ ist, dann aber – präludiert von Rousseaus und Herders Musikphilosophie – in der Romantik die „dionysische“ Seite hervorkehrt. Inbegriff des Musiker-Philosophen im Zeichen von Orpheus-Dionysos wird dann Friedrich Nietzsche, der mit Recht behauptet hat: „Vielleicht hat es nie einen Philosophen gegeben, der in dem Grade im Grund so sehr Musiker war, wie ich es bin.“ – Dies allerdings vor allem deshalb, weil der Philosophen-Musiker Richard Wagner entscheidende Hilfestellung leistete.
 
Prof. Dr. Thomas Koebner (Filmwissenschaft, Mainz)
»Wanderer zwischen den Welten«
Orpheus im Film
Nicht primär als Sänger, sondern als Jenseitswanderer interessiert die Orpheusfigur in der Filmgeschichte – und natürlich die melodra-matische Konstellation: Ein Liebender sucht die Geliebte, die vom Tod geraubt wird, wieder aus dem Hades heraufzubeschwören. Orpheus ist daher ein Sinnbild für die Liebe, die sich mit der vom Schicksal gefügten Trennung nicht einverstanden erklärt – fast eine prometheische Figur, die gegen den ‚Ratschluß der Götter‘ aufbegehrt. Daß Filme bei der erzählerischen Variation dieses mythischen Musters nicht nur kammerspielartig und psy-chologisch verfahren, sondern durchaus Bilder existentieller Not und Grenzüberschreitung hervorzubringen imstande sind, wird an einigen Beispielen deutlich zu machen sein. Es gibt zwar etliche Filme (auch Satiren), die sich mit dem Orpheus-Thema beschäftigen, doch nur wenige Meisterwerke. Über die jedoch lohnt es sich, länger nachzudenken: Jean Cocteau Orphée (1949), Cocteau Le Testament d’Orphée (1960), Marcel Camus Orfeu Negro (1959).
 
Die Attraktivität des Mythos
Beispiele der Rezeptionsgeschichte

Prof. Dr. Klaus Ley (Romanisches Seminar, Mainz)
»Lust und Lieb zum Ding/macht alle Mühe gering«
Zur Auslegung eines apokryphen Orpheus-Textes
im protestantischen Humanismus

Der Titel des Vortrags entstammt dem Kommentar zu einem anti-ken „Orpheus“-Fragment, den Nathan Chytraeus im Jahre 1585 veröffentlichte. Zu diesem Zeitpunkt war längst bekannt, daß es sich bei dem Fragment um eine Fälschung handelte. Daß Chytraeus dennoch an diesem Beispiel seine Ansichten über die Grundlagen einer humanistischen Erziehung darlegte, verweist auf den hohen kulturtheoretischen Anspruch, der in dem Text vertreten wird; es geht um die Bestimmung eines Menschenbilds im Zeichen einer neuen Psychologie und Ästhetik. Die hier geführte Diskussion fügt sich ein in die Vorstellung vom Erhabenen, wie sie in dieser frühen Phase der Longin-Rezeption gefaßt wurde.
 
Prof. Dr. Brigitte Schultze (Institut für Slavistik, Mainz)
Orpheus – russisch
Facetten der Bedeutungsbildung aus dem 18. und 20. Jahrhundert
Russische ‚Arbeit an Orpheus‘ liegt in je einem Melodrama und einem Ballett, zahlreichen Gedichten, auch Rollengedichten unterschiedlicher Länge, sowie in künstlerischer Essayistik vor. Die Fallbeispiele, die mit Namen wie Knjaznin, Ivanov, Mandel’štam, Stravinskij und Brodskij verbunden sind, bieten sowohl transkulturell zugängliche Bedeutungsbildung als auch verdeckte Botschaften, die sich auf das imperiale Rußland oder das Leben im ‚realen Kommunismus‘ beziehen.

Die Vortragsreihe wird fortgesetzt am Donnerstag, 8. Februar 2001, 16.15 Uhr, Audimax (Alte Mensa):

Prof. Dr. Reinhard Wiesend (Musikwissenschaftliches Institut, Mainz)
Der gesungene Gesang. Implikationen und Wandlungen eines Orpheus-Motivs in der Oper (Antrittsvorlesung)
 
 
 
 
 
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