Prof. Dr. Marianne Gronemeyer (Wiesbaden)
Das Leben als letzte Gelegenheit
Montag, 22. November 1999, 18.15 Uhr,
Hörsaal N 3 (Muschel)
Als der moderne Mensch die Bühne der Neuzeit betrat, tat er es mit großer Geste: erhobenen Hauptes, taten- und erkenntnisdurstig. Im Erwachen aus seiner vormodernen Existenz hatte ihm zu dämmern begonnen, wozu er fähig war: zur Umgestaltung der Welt nach seinen Plänen und nach seinem Willen.
So sind wir es gewohnt, uns den Beginn der Moderne vorzustellen. Wie nun aber, wenn alles ganz anders war?
Am Ende des Mittelalters, mit dem Niedergang der Ewigkeitshoffnung, wird das Leben als biologische Lebensspanne entdeckt. Das Leben wird buchstäblich zur einzigen und letzten Gelegenheit, zum Schauplatz der Anhäufung von Lebenskapital. Sicherheit und Beschleunigung werden zur vordringlichen Aufgabe der Weltverbesserung. Sicherheit, um dem Einzelleben wenigstens seine durchschnittliche Lebensspanne zu garantieren, und Beschleunigung, um die unerträgliche Kluft zwischen den unendlichen Möglichkeiten, die die Welt da draußen bereithält, und der kläglichen Zeit, die dem einzelnen zu deren Ausschöpfung zur Verfügung steht, wenigstens zu verringern. Der Mensch gerät in Panik. Neben den Tod tritt ein beinah noch ärgerer Widersacher des Lebens: die Angst etwas zu versäumen.
Prof. Dr. Marianne Gronemeyer, geb. 1941 in Hamburg. Nach Lehramtstätigkeit Zweitstudium der Sozialwissenschaften in Hamburg, Mainz und Bochum. Dissertation: "Motivation und politisches Handeln" (Hamburg 1976). Von 1971-77 Friedensforschung an der Universität Bochum. Habilitationsschrift: "Die Macht der Bedürfnisse" (Reinbek 1988). Zur Zeit Professorin für Erziehungs- und Sozialwissenschaften an der FH Wiesbaden.
Publikationen der Referentin zum Thema:
Das Leben als letzte Gelegenheit, Darmstadt
1993
Lernen mit beschränkter Haftung,
Berlin 1996
Nächster Vortrag in dieser Reihe:
Montag, 29. November 1999, 18.15 Uhr, Hörsaal
N 3 (Muschel)
Dr. Dr. Daniel Schäfer (Köln)
»Ach Tod, mein Freund, willst
Du mich länger leben lassen...«
Todesbilder in spätmittelalterlicher
Literatur und Medizin
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