Offene Fragen und AusblickFragen nach der Fruchtbarkeit und der Schärfe des Begriffs "segmentäre Gesellschaften" waren zwar in der vergangenen Antragsperiode präsent, sollen aber in Zukunft expliziter thematisiert werden. Dabei kann eine vergleichende westafrikanische Perspektive helfen, die Spezifika der untersuchten Gesellschaften im Südwesten Burkina Fasos deutlicher herauszuarbeiten. Unsere bisherigen Forschungen lassen vermuten, daß die Struktur segmentärer Gesellschaften auch den Migrations- und Siedlungsprozeß deutlich prägt. Es gilt aber noch intensiver zu klären und zwischen den verschiedenen Bevölkerungsgruppen der Region zu vergleichen, welche Rolle jeweils die verwandtschaftlichen Beziehungen für die Siedlungsdynamik spielen. Der Stellenwert von Matri- und Patrilineages ist noch nicht hinreichend thematisiert worden. Dabei ist auch zu hinterfragen, inwieweit Beziehungen sehr unterschiedlicher Art in verwandtschaftlichen Terminologien ausgedrückt werden (z.B. Abhängigkeits- und Machtverhältnisse als Mutterbruder-Neffe-Beziehung verschlüsselt). Außerdem scheinen, wie das Projekt A8 gezeigt hat, religiöse Netzwerke eine große Bedeutung für die materielle und symbolische Aneignung des Raums zu haben - Aspekte, die in der neuen Antragsperiode in A9 vertieft werden sollen. Die interethnischen Beziehungen wurden bislang vorwiegend aus der Perspektive der Dagara wahrgenommen. Obwohl sich das Projekt von Anfang an einer "überethnischen" Herangehensweise verschrieben hat, wird es in der kommenden Antragsperiode verstärkt notwendig sein, die Landnahme der Dagara aus der Sichtweise der jeweiligen Gegenseite zu betrachten. Über Gruppen wie die Dyan, Pwo und Sisala gibt es bislang nur wenige oder sogar keine Arbeiten; darum bedürfen weiterführende Aussagen zur Siedlungsgeschichte dieser Gruppen zunächst auch eines gewissen Maßes an Grundlagenforschung. Darüber hinaus soll vergleichend und die Einzelerkenntnisse zusammenfassend die Frage verfolgt werden, in welchem Verhältnis lokale Identitäten bzw. Dorfbewußtsein zu regionalen bzw. überregionalen Identitäten stehen. Auch der Frage des traditionellen Bodenrechts und seinen Veränderungen wird weiter nachzugehen sein. Das Konzept des Erdschreins, des Erdschreingebiets und das Amt des Erdherren bedarf noch genauerer Klärung, insbesondere in Bezug auf Veränderungen in der Kolonial- und Nachkolonialzeit. Schon jetzt zeigen sich beträchtliche Unterschiede darin, wie die Dagara und wie andere Gruppen der Region mit diesen Konzepten umgehen. Ein wichtiger Untersuchungskomplex werden die rezenten Veränderungen im traditionellen Bodenrecht bzw. die Retraditionalisierung von Bodenrecht sein. Diese Prozesse können insbesondere am Beispiel des im ehemaligen A.V.V.-Projektdorfes V3 im Mai 1998 entdeckten Goldes und des den Südwesten Burkina Fasos inzwischen erfassenden regelrechten Goldrauschs gut erforscht werden. Während nämlich die Bewohner von V3 den Zustrom der Goldgräber passiv hinnahmen, stoßen die Goldsucher in anderen Gegenden auf Widerstand, was sich vermutlich aus unterschiedlichen bodenrechtlichen Ausgangskonstellationen erklärt. Die unterschiedlichen Strategien der lokalen Bevölkerung, mit rezenter Zuwanderung umzugehen, soll auch am Beispiel von Mossi-Bauern und Fulbe-Rinderhirten untersucht werden. |
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