Projekt Homepage > Projektphase 1997-1999: Einleitung

Dyan-Gehöft in Ouan (Dept. Bondigui, Prov. Bougouriba)In der vergangenen Antragsperiode befasste sich das Projekt A9 mit der Transformation der politischen Geographie und ihren Wechselbeziehungen mit dem Naturraum in den süd-burkinischen Provinzen Bougouriba und Ioba. Im Zentrum des Interesses standen die Dagara, welche die Bevölkerungsmehrheit in den beiden Provinzen stellen. Dabei war aber von vornherein klar, daß für die siedlungsgeschichtlich relevanten Netzwerke der einzelnen Akteure ethnische Grenzen nur bedingt eine Rolle spielen. Einer der Gründe dafür ist, daß die in der Kolonialzeit verfestigte ethnische Nomenklatur der ausgeprägten Mobilität der Bevölkerung in der Region nicht hinreichend Rechnung trägt. Hinter der Fassade scheinbar klar abgegrenzter "Ethnien" der Kolonialzeit verbergen sich komplexe Prozesse der Assimilation und Abgrenzung und der interethnischen Beziehungen. Die Untersuchungseinheiten wurden darum mit Bedacht räumlich, entlang der handlungsrelevanten Netzwerke, und nicht in erster Linie ethnisch definiert. Diese Entscheidung hat sich durchweg bewährt. Im Lauf der Untersuchung wurde immer deutlicher, daß für ein umfassendes Verständnis der Siedlungsgeschichte Südwest-Burkinas in der Tat alle beteiligten Gruppen einbezogen und ihre wechselseitigen Beziehungen thematisiert werden müssen. Darum richtete sich der Blick über die Dagara hinaus auch auf die Sisala, Pwo und Dyan (sowie im Kontext rezenter Siedlungsprozesse auf die Mossi). Interviews wurden nicht nur in den Provinzen Bougouriba und Ioba geführt, sondern auch in Siedlungen im angrenzenden Sisili, Tuy und Poni sowie in Nordwest-Ghana.

Die Dagara und ihre Nachbarn, allesamt segmentär organisierte Gruppen, haben in den letzten zwei- bis dreihundert Jahren ausgehend vom heutigen Nordwest-Ghana weite Gebiete im Südwesten Burkina Fasos besiedelt. Im Mittelpunkt unserer Untersuchungen stand diese historische und in einigen Randgebieten bis heute andauernde landwirtschaftliche Expansion der Dagara. Dabei ging es vor allem um die soziale Organisation der Mobilität, die Strategien der Landnahme und die Muster der Gemeinschaftsbildung sowie der ethnischen Grenzziehung, die mit dieser Landnahme einhergingen und -gehen. Besonders gut zu erforschen waren die Landnahmeprozesse und ihre bodenrechtlichen und identitätspolitischen Aspekte an der Siedlungsgrenze der Dagara, an der "front pionnier", wie Savonnet in seiner Studie über eine Dagara-Siedlung östlich des Volta diese landwirtschaftlichen Expansionszonen treffend benannt hat (Pina - étude d'un terroir de front pionnier en pays Dagari, Paris, 1970). Daraus leiteten sich unsere räumlichen Untersuchungsschwerpunkte ab - an der nordwestlichen und der östlichen front pionnier des Dagara-Siedlungsgebiets, wo die Ansiedlung der Dagara in Auseinandersetzung mit Pwo und Bwaba bzw. Sisala und Nouni erfolgte, die einst das Land kontrollierten (und teilweise noch kontrollieren). Gleichwohl gibt es unter den Dagara selbst kaum weniger divergierende Ansprüche auf Land, und das Verhältnis zwischen Erstsiedlern und Immigranten mußte und muß immer wieder neu ausgehandelt werden. An der front pionnier, wo eine Bevölkerungsgruppe auf eine andere trifft, kann es einerseits zur Konfrontation von Wertesystemen und zur Verhärtung von ethnischen Grenzen kommen, andererseits aber auch zu Klankonversionen und kulturelllinguistischer Assimilation. Beiden Prozessen und der Frage, in welchem historischen Kontext sie auftreten, sind wir in unseren Untersuchungen nachgegangen.

Der Institution des Erdschreins, der die Kommunikation mit den spirituellen Kräften der Erde ermöglicht, kommt in diesem Zusammenhang zentrale Bedeutung zu. Erdschreine regeln nicht nur die Beziehung zum Naturraum, sondern auch zwischen den verschiedenen Siedlungsgruppen. Die Geschichte der Erdschreingebiete, deren Beziehungen untereinander oftmals umstritten sind, wirft darum auch Licht auf den Zusammenhang zwischen der Ziehung räumlicher Grenzen und der Bildung von kollektiven Identitäten. Im Zuge ihrer Expansion trafen die Dagara in der Regel auf eine Vorbevölkerung. Es galt folglich die Frage zu untersuchen, wie die Erdschreine entweder von dieser Vorbevölkerung erworben oder aber autonom installiert wurden. Außerdem sollten mögliche Veränderungen solcher Prozesse der Übernahme oder autonomen Installation von Erdschreinen während der Kolonialzeit erforscht werden, nach der Einführung eines administrativen Häuptlingstums mit neuen Konzepten von Territorialität und Ethnizität. Von der vorkolonialen und kolonialen Epoche reichte - wie im Antrag vorgesehen - der untersuchte Zeitraum bis in die jüngste Zeit hinein, in der sich die Dagara an staatlichen Umsiedlungsprogrammen beteiligt haben und sich dabei mit einer ebenfalls expansiven Bevölkerungsgruppe, den Mossi, konfrontiert sahen und sehen. Untersucht wurden hier die nachkolonialen Veränderungen der Strategien, wie Erstsiedler als Inhaber älterer Landrechte mit neuen Immigranten umgehen, und die Frage, wie heute Rechte auf Land und andere Ressourcen verhandelt werden.

Eine erste gemeinsame Surveyreise der Projektmitarbeiter im März 1997 ergab, daß es für die künftigen Untersuchungen sinnvoll sein würde, die relativ breit gefächerten Fragestellungen des ursprünglichen Antrags auf die Siedlungsgeschichte und die aktuellen Prozesse der Landnahme zu fokussieren. Die katholische Infrastruktur und ihr Verhältnis zu Häuptlingstümern und Erdschreingebieten zu thematisieren, ging ebenso über den Rahmen des im Antragszeitraum Machbaren hinaus wie eine genauere Erforschung der Organisationsformen und der Raum und Entwicklungsvorstellungen der städtischen Eliten und Arbeitsmigranten. Auch die Untersuchung der regionalen Herrschaftsgeschichte trat in den Hintergrund. Dafür waren zwei Gründe maßgeblich: Zum einen hätte eine gründliche Erforschung einen Arbeitsaufwand bedeutet, der mit den zur Verfügung stehenden Mitarbeitern nicht zu bewältigen war; zum anderen zeichnete sich bald ab, daß die in der Kolonialzeit geschaffenen administrativen Häuptlingstümer zwar durch Machtmißbrauch gelegentlich Migrationen auslösten, also durchaus von siedlungsgeschichtlicher Relevanz waren, aber doch nur begrenzten Einfluß auf bodenrechtliche Fragen und kollektive Identitäten hatten. Im Unterschied zur Situation bei den Dagara in Ghana scheint den in der Kolonialzeit geschaffenen administrativen Häuptlingstümern in Burkina Faso heute weit weniger Bedeutung zuzukommen als den Erdschreingebieten und den damit verbundenen Institutionen. Eine Ausnahme von dieser lokalen "Mißachtung" kolonialer und postkolonialer Verwaltungsgrenzen bildet allerdings die internationale Grenze zwischen Ghana und Burkina Faso entlang des elften Breitengrades, die besonders in jüngster Zeit als bodenrechtlich relevante Ressource erkannt und genutzt wird (zu dieser Seite). Einen weiteren Sonderfall stellen die A.V.V. (Aménagement des Vallées des Voltas)-Dörfer dar, die in den 1970er Jahren im Rahmen staatlicher Umsiedlungs- und Entwicklungsprojekte geschaffen wurden und in denen verschiedene Bodenrechtsdiskurse miteinander konkurrieren (zu dieser Seite). Den Fragen nach der Interaktion von Erdschreingebieten und kolonialen Häuptlingstümern soll, das sei bereits hier angemerkt, in der neuen Antragsperiode (2000-2002) nachgegangen werden (vgl. auch den 'Ausblick').

Einleitung
Forschung und Methoden
Arbeitsergebnisse und ihre Bedeutung
Mobilitätsmuster und Landnahmestrategien
Fallstudien
Gemeinschaftsbildung
Bodenrecht
Teilprojekt A 8: Politik und Geschichte mobiler Kulte
Offene Fragen und Ausblick

Sonderforschungsbereich 268 "Kulturentwicklung und Sprachgeschichte im Naturraum Westafrikanische Savanne", Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main. Verwendung von Texten, Bildern oder Karten (außer für private Zwecke) nur mit schriftlicher Zustimmung der Autoren.
Kontakt: Dr. Richard Kuba, Institut für historische Ethnologie, Grüneburgplatz 1, D - 60323 Frankfurt am Main, Tel. +49-69-79833066
Web-Design von Volker Linz/Karstkunst Webdienste Berlin.
Webmistress:Julia Weinmann
Letzte Aktualisierung 05/2002.