Die "Re-Traditionalisierung" des Bodenrechts: Der Erdherr im A.V.V.-Dorf (Katja Werthmann)Entgegen der Intention der A.V.V.-Planer, "traditionelle" Siedlungs- und Bodenrechtsordnungen aufzubrechen, orientiert sich die heutige sozialräumliche Gliederung der Projektdörfer an Kriterien von Zugehörigkeit, die durch die administrative Verteilung von Land nicht aufgehoben wurden (vgl. 3.3). Ein Teil der Dagara-Projektbauern hat sich nur deshalb in das Projekt eingliedern lassen, um nicht den Anspruch auf Landreserven und Brachen zu verlieren, die nach der Demarkierung innerhalb des Projektperimeters lagen, obwohl sie vorher zu angrenzenden Dorfgebieten gehört hatten. Die sich im Projektgebiet überlappenden Ränder verschiedener Erdschreingebiete (z.B. Gueguere, Libiele, Doumole) sind nach wie vor für bestimmte rituelle Belange (z.B. unnatürliche Todesursachen, Opferzeremonien) relevant. So existiert, obwohl die A.V.V.-Gebiete Staatseigentum sind und die Landnutzungsrechte staatlicherseits vergeben wurden, in V3 (Dioumouon) ein Dagara-Erdherr, der erst 1998 von dem ihm übergeordneten Erdherren in Gueguere durch die Übergabe eines Schreinsteins offiziell in seinem Amt bestätigt wurde. Ganz in der Tradition der vorkolonialen Migrationsgeschichten begründet dieser Erdherr seinen Anspruch damit, daß er schon vor der Etablierung der A.V.V. in diesem Gebiet Felder bebaute, was von anderen Bewohnern des Dorfes bestätigt wird. Die Aufgaben dieses neuen Erdherren beschränken sich darauf, neuen Siedlern einen Platz für den Gehöftbau zuzuweisen sowie anläßlich der Aussaat und der Ernte bestimmte Opferzeremonien durchzuführen. Der Erdherr vergibt keine Landnutzungsrechte, denn alle Feldparzellen wurden zu A.V.V.-Zeiten verteilt; er bestätigt aber die "Leihe" von Feldern an Neuankömmlinge. Darüber hinaus beansprucht er das Vergaberecht für vormalig ungenutzte Flächen wie Landreserven oder Schutzzonen (z.B. Hügel), während die Mossi-Siedler die Ansicht vertreten, dass hierfür das Comité de Gestion des Terroirs zuständig ist. Diese unterschiedlichen Auffassungen kamen vor einigen Jahren in einem Konflikt zum Ausdruck, bei dem der Erdherr einem Dagara-Spontansiedler gestattete, eine Dorf-Reserve zu roden. Dies führte zu einer offenen Auseinandersetzung mit den Mossi, die bis zur nationalen Forstbehörde gingen, um die Rodung zu verhindern, was ihnen schließlich auch gelang. Der Status des Erdherren ist auch innerhalb des Dagara-Viertels nicht unumstritten. Er repräsentiert in erster Linie eine kleine Gruppe von Bauern, die aus Gueguere stammen und schon vor der Gründung der A.V.V.-Dörfer im Gebiet von V3 Felder hatten. Die überwiegende Mehrheit der Bauern in V3 stammt aus Dahore. Es handelt sich um eine Gruppe, die in Abgrenzung zu den "traditionell" legitimierten Ansprüchen des Erdherren ihre Zugehörigkeit zum katholischen Glauben betont und deren Angehörige sich beispielsweise weigern, an Opferzeremonien, die der Erdherr durchführt, teilzunehmen. Dabei spielen auch verwandtschaftliche Bindungen eine Rolle: alle Bauern aus Dahore gehören einem bestimmten Patriklan (Dafiele) als der Erdherr (Kpiele) an. Die Opposition zwischen den Bauern aus Dahore und Gueguere drückt sich auch in der Existenz von zwei Märkten aus, die wenige Jahre nach der Gründung des Dorfes eingerichtet wurden. Kurz nachdem der Erdherr einen Markt eröffnet hatte, gründete ein Bauer aus Dahore einen zweiten Markt, der an einem anderen Wochentag stattfindet. Mit diesem "Konkurrenz-Unternehmen" wurden unter anderem Zweifel an der spirituellen Kompetenz des Erdherren ausgedrückt. Mossi- und Dagara-Bauern wurden in den A.V.V.-Dörfern staatlicherseits angesiedelt. Bei der Vergabe von Landnutzungsrechten wurden vorher existierende Ansprüche nicht berücksichtigt. Seit der Beendigung der A.V.V. berufen sich Dagara-Bauern zunehmend auf ihre "angestammten" Rechte als vormalige Bewohner der Region, während den Mossi ihr Status als Fremde bewußt gemacht wird. Heute erscheint die rechtliche Situation der Mossi in den Projektdörfern ungesichert. Da ihre Landnutzungsrechte mangels eines Besitztitels weder durch den Staat noch durch eine traditionelle Autorität abgesichert sind, ist ihre Situation prekär. Zwar werden den Mossi-Bauern (noch) nicht die von der A.V.V. zugewiesenen Feldparzellen streitig gemacht, aber anders als die Dagara-Projektbauern und -Spontansiedler, die damit begonnen haben, vormalige Schutzzonen und Reserven zu roden, wird den Mossi diese Möglichkeit der Ausweitung ihrer Anbauflächen verwehrt. Konsequenterweise haben etliche Mossi-Bauern Parzellen in der Provinzhauptstadt Diébougou erworben, um dort "Altersruhesitze" zu errichten. Viele Söhne von Projektbauern sind als Arbeitsmigranten in die angrenzenden Länder gegangen, und etliche kommen nicht wieder zurück ins Dorf. Zehn Jahre nach Beendigung der A.V.V. finden in den Projektdörfern intra- und interethnische Veränderungsprozesse statt. Auf der einen Seite kann man beobachten, daß sich seit dem Wegfall der Projektkontrolle dorfinterne soziale und politische Differenzen entwickelt haben, die zum Teil anhand von ethnischer oder regionaler Herkunft, Generations- oder Geschlechtszugehörigkeit artikuliert werden. Auf der anderen Seite haben beispielsweise die Gerüchte über einen geplanten Staudamm sowie die "Invasion" von etwa 5.000 Goldgräbern im Mai 1998 dazu geführt, daß sich die Bewohner von V3 gegenüber den Eindringlingen stärker als zuvor als eine Dorfgemeinschaft definieren. Dies führte unter anderem dazu, daß der umstrittene Erdherr erstmals auch von Mossi als eine relevante Instanz in Bodenrechtsfragen benannt wurde. |
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