Bodenrechtskonflikte entlang der internationalen Grenze (Carola Lentz)Im Jahr 1898 legten Briten und Franzosen die Grenze zwischen ihren Kolonien in der Voltaregion vertraglich fest, nach fast einem Jahrzehnt von Auseinandersetzungen über die Reichweite ihrer Einflußsphären. Die Grenze wurde zum einen entlang einer Landschaftsmarke, dem Schwarzen Volta, gezogen, zum anderen aber auch gewissermaßen auf dem Reißbrett definiert, nämlich entlang des 11. Breitengrads. Diese zweite Grenze wurde 1900 und 1904 kartographiert und demarkiert. Die britisch-französischen Grenzkommissionen bemühten sich, die Grenze an verschiedenen Stellen so zu verändern, daß keine Ortschaften geteilt würden, aber Erdschreingebiete wurden durchaus durchschnitten. Ein 1924-25 unternommener Versuch, mit Ent-schädigungszahlungen Bauern dazu zu bewegen, ihre Felder und Weiden auf der anderen Seite der Grenze nicht mehr zu nutzen, scheiterte, und bis in die 1970er Jahre (und teilweise bis heute) blieb die grenzüberschreitende Ressourcennutzung gängige Praxis. Der exakte lineare Grenzverlauf scheint für die lokale Bevölkerung keine große Bedeutung gehabt zu haben, und erst zu Beginn der 1970er Jahre wurden die alten Grenzmarken, meist Einkerbungen an Bäumen, durch in Abständen von etwa eintausend Metern aufgestellte Betonpfeiler ersetzt. Dennoch war die Existenz der Grenze spätestens seit den 1920er Jahren den Grenzanrainern durchaus bewußt, und jedem war klar, welches Gehöft zu welcher Kolonie gehörte. Mit der Einführung des administrativen Häuptlingstums wurde die Grenze nämlich zu einer wichtigen politischen Ressource. Insbesondere die Bewohner der französischen Kolonie entzogen sich oft den drückenden Steuer- und Arbeitspflichten durch Flucht auf britisches Territorium, wo die kolonialen Anforderungen weniger hart waren. In unserer Untersuchungsregion kamen solche Umsiedler insbesondere aus dem Gebiet von Ouessa und Niego, wo sie unter dem tyrannischen Regime des Kantonschefs Denyuu litten. In bodenrechtlicher Hinsicht kam es in einigen Fällen zur Anpassung der Erdschreingebiete an die internationale Grenze. So wurden etwa in Hamile während des zweiten Weltkriegs die Rechte der "französischen" Sisala-Erdherren an Abgaben der Siedler, die auf dem britischen Teil ihres Erdschreingebiets lebten, einem verwandten Sisala-Erdherren in der britischen Kolonie übertragen. In anderen Fällen blieben die Erdschreingebiete grenzüberschreitend, und die heute in Burkina Faso lebenden Sisala-Erdherren beanspruchen nach wie vor, daß die in Ghana auf ihrem Erdschreingebiet siedelnden Dagara-Bauern beispielsweise die Erlaubnis für Beerdigungen und Hausbau einholen. Das traditionelle Bodenrecht hat hier also eindeutig Vorrang. In den letzten Jahren kam es aber wiederholt zu Konflikten zwischen Sisala-Erdherren in Burkina Faso und Dagara-Siedlern in Ghana, bei denen die Dagara-Siedler ganz gezielt auf die Existenz der internationalen Grenze verwiesen, um ihre Ansprüche durchzusetzen. Ein für die Interaktion von traditionalistischen und modernen Begründungen des Bodenrechts besonders aufschlußreicher Fall entwickelte sich in Kyetuu (siehe Karte). Seit den 1920er Jahren hatten hier die auf der französischen Seite der Grenze lebenden Sisala-Erdherren Dagara auf ihren jenseits der Grenze liegenden Ländereien angesiedelt - in Kuuziegang, Nyourgang und Tuolegang. Während die Dagara von Kuuziegang behaupten, einen Schreinstein von den Sisala erworben zu haben und damit rituell unabhängig geworden zu sein, erkennen zumindest die älteren nicht-christlichen Dagara in Tuolegang nach wie vor die rituelle Kontrolle der burkinischen Erdherren an. Christliche Familien aus allen Ortsteilen haben sich dagegen bereits seit den 1930er Jahren der rituellen Kontrolle der Erdherren entzogen, ohne daß diese das wirksam sanktionieren konnten. Die latenten Spannungen entwickelten sich jedoch erst vor einigen Jahren zu einem offenen Konflikt, der sich an der Nutzung des in Tuolegang auf ghanaischem Territorium gelegenen Fischteichs entzündete. Traditionell muß die Fischfangsaison von den Erdherren mit einer Opferzeremonie eröffnet werden. Junge Dagara-Migranten aus Kyetuu hatten sich aber mit modernen Netzen ausgerüstet und fischten zu jeder ihnen genehmen Zeit individuell - eine lukrative Aktivität, weil der früher regelmäßig austrocknende Teich von der Gemeinde ausgebaggert worden war und nun das ganze Jahr lang Wasser führte und reichlich Fisch bot. Während nun die Sisala-Erdherren auf ihren traditionellen Rechten beharrten, führten die Dagara-Fischer die internationale Grenze ins Feld: Die Sisala seien Staatsbürger Burkina Fasos und hätten keinerlei Recht, auf ghanaischem Territorium irgendwelche Rechte zu beanspruchen. Anders als in Burkina Faso ist in Ghana nicht der Staat Eigentümer des Bodens, sondern die sogenannten "traditional landowners" - im Fall der Sisala und Dagara die Erdherren. Doch unterliegt die Kontrolle der Nutzung von Wasserressourcen letztlich der kommunalen Verwaltung, den District Assemblies. Um dieser Argumentation mit Kommunalverwaltung und internationaler Grenze die Spitze zu nehmen, schlug der für die betroffene ghanaische Dagara-Siedlung zuständige Sisala paramount chief vor, daß die burkinischen Erdherren ihre Rechte an einen benachbarten Sisala-Erdherren auf der ghanaischen Seite übertragen sollten - ähnlich wie schon viel früher in Hamile. Die Erdherren von Kyetuu stimmten diesem Vorschlag im Kern zu, aber nur, wie sie betonten, weil die neuen Erdherren ihre Neffen waren. Deutlich wird, daß traditionelle, christliche und modern-staatsbürgerliche bodenrechtliche Diskurse nebeneinander bestehen und je nach Kontext von den verschiedenen Akteuren mobilisiert werden können. |
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