Die Pwo und ihre Nachbarn (Arbeitsschwerpunkt R. Kuba)In der kommenden Antragsperiode soll die Untersuchung der Landnahmestrategien vom Blickpunkt der von den Dagara verdrängten Pwo-Bevölkerung im Vordergrund stehen. Erste Forschungen bei den Pwo jenseits der "front pionnier" der Dagara zeigen, daß deren Versionen die Geschichten der Dagara in erstaunlichem Maße zu bestätigen scheinen. Läßt sich die These von der hohen Übereinstimmung zwischen den "Gewinner-" und "Verlierer-" Versionen erhärten, so ergibt sich hier ein Testfall für die Bewertung oraler Traditionen, die häufig ausschließlich unter dem Blickwinkel der Interessenbesetztheit betrachtet werden. In Bezug auf die Landnahme selbst zeigen Dagara und Pwo sehr unterschiedliche Strategien. Gilt bei ersteren - zumindest auf der normativen Ebene - der Erdherr als Nachkomme des Siedlungsgründers, ist diese rituelle Spezialität bei den Pwo einigen wenigen Lineages, unabhängig von den siedlungsgeschichtlichen Gegebenheiten, vorbehalten. Fast jede Pwo-Lineage ist in ritueller Hinsicht spezialisiert. Gewisse Kulte werden von verschiedenen Lineages geteilt, eine strenge Hierarchie regelt jedoch die Vormachtstellung bestimmter Verwandtschaftsgruppen. Gleichzeitig gibt es vielfältige Klientel- und Allianzsysteme, Heiratsverbote, rituelle Obligationen und Scherzbeziehungen zwischen den einzelnen Lineagesegmenten. Ob sich in diesen komplexen intraethnischen Beziehungen Siedlungs- und Migrationsgeschichte in sedimentierter Form erkennen läßt, wird zu untersuchen sein. Handelt es sich um Strukturen, die aktuelle oder vormalige territoriale Nähe abbilden, um Allianzen, die konkreten historischen Kontexten entspringen, oder sind derartige Beziehungen vielmehr Ausdruck der Teilung einer Lineage in Sublineages? Auf vielfältige Weise sind die Pwo mit den Nachbargruppen vernetzt, insbesondere verfügen sie über beträchtlichen Einfluß auf deren religiöse Angelegenheiten. So verdanken die wichtigsten Erdschreine der Dagara-Wiile ihre Macht einer offiziellen Übergabe durch die Pwo, und bis heute sind eine Reihe von Dagara-Dörfern in religiöser Hinsicht von einem Pwo-Erdherren abhängig. Es stellt sich die Frage, wie weit solche Netzwerke reichen und ob sie in Landnahmeprozessen eine Rolle spielen. Auf der anderen Seite behauptet über die Hälfte der Pwo-Lineages, von Dagara, Sisala, Bwaba, Bobo-Fing, Dafing oder muslimischen Mande-Dyula-Ahnen abzustammen und durch Mechanismen, die es im einzelnen noch zu klären gilt, eine Pwo-Identität angenommen zu haben. Die Pwo stellen somit einen weiteren Testfall zur Frage der Ethnogenese in der Region dar. Die bislang von niemandem untersuchten Pwo sind eine vergleichsweise überschaubare Gruppe, die in etwa 25 Dörfern die Bevölkerungsmehrheit stellt. Über sie soll eine Ethnographie zumindest in Grundzügen erstellt werden, wobei der Schwerpunkt auf der Bildung lokaler Gemeinschaften und der Aneignung des Naturraums liegt. Dazu wird das Beziehungsgeflecht zwischen einzelnen Verwandtschaftsgruppen systematisch aufgenommen und mit Hilfe des vorhandenen digitalisierten Kartenmaterials räumlich dargestellt. Ausgehend von solch einer Visualisierung kann die Funktion der Netzwerke in Bezug auf Migrations- und Siedlungsgeschichte erfasst werden. In einer zweiten Phase sollen Fallstudien bei bestimmten Lineages zum Verwandtschaftssystem sowie zu rituellen Aspekten (z.B. Wahrsagesystem) mehr in die Tiefe gehen. Zudem sollen Aspekte des Bodenrechts anhand ausgesuchter Siedlungen untersucht werden. Zum Ende der Antragsperiode werden die Ergebnisse in einen regionalen und überregionalen Rahmen gestellt, durch Vergleiche mit den bereits bei den Dagara festgestellten Strukturen der Expansion und Landnahme, mit den Resultaten der Forschungen von M. Oberhofer zur Siedlungsgeschichte der Dyan und denen von C. Lentz zu den sprachlich wie kulturell mit den Pwo verwandten Sisala sowie mit den Forschungsergebnissen zu anderen segmentären Gesellschaften Westafrikas. |
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