Projekt Homepage > Projektphase 1997-1999 > Teilprojekt A 8: Einleitung

Fragestellungen
Arbeitsgebiete und Methoden
Ergebnisse
Religiöse Netzwerke
Der Djoro von Nako
Untersuchungsregion
Ökonomische Aspekte
Popularität von Kulten
Neues zu den Birifor
Literatur
Allgemeines
Stellung im SFB 268
Der Forscher

Das Projekt A8, welches von Januar 2000 an im Projekt A9 aufging, widmete sich der historischen, regional vergleichenden Erforschung institutionalisierter Kulte im Südwesten Burkina Fasos. Im Zentrum des Interesses stand der Gesichtspunkt der vielfältigen Wechselbeziehungen von Kulten mit der Siedlungsgeschichte und den damit einher gehenden Prozessen von Raumaneignung und Herrschaftsbildung.

Als Arbeitskonzept für den Untersuchungsgegenstand des Projekts wurde zu Beginn der Antragsperiode, d.h. Anfang 1997, der Begriff "mobile Kulte" geprägt und für "territorial, ethnisch, sozialstrukturell und linguistisch grenzüberschreitende, per Definition veräußerliche sozialreligiöse Institutionen unterschiedlicher Reichweite" verwendet. Mit dieser allgemeinen Definition sollte vermieden werden, einem von mehreren gleichberechtigten Aspekten mobiler Kulte a priori den Vorzug zu geben, so wie es bei den geläufigeren Begriffen wie "Geheimbünde", "Initiationsgesellschaften", "Maskenbünde" u.ä. der Fall ist.

Lobi-Schrein in einem Pwo-Gehöft in Bonfasso (Dept. Bondigui, Prov. Bougouriba)

Wie die folgenden Ausführungen deutlich machen werden, war aber selbst der Begriff "mobile Kulte" letztlich zu eng definiert. Die vielfältigen Beziehungen zwischen religiösen Institutionen und Praktiken, rituellen Topographien etc. einerseits und dem facettenreichen Prozeß der Besiedlung des Untersuchungsgebietes andererseits ließen sich letztlich nur unter einem noch weiter gefaßten Begriff erforschen, nämlich dem der religiösen Netzwerke. Dieser Terminus steht - in Anlehnung an das Vokabular der ethnologischen Netzwerkanalyse (vgl. Schweitzer 1989) - für die Gesamtheit aller auf religiös motivierten Handlungen beruhenden Beziehungen zwischen Individuen und Kollektiven in einem gegebenen Untersuchungsraum. Er umfaßt neben den im engeren Sinne religiösen Institutionen auch beispielsweise politische Allianzen, die sich über den gemeinsamen Besitz von Kultwissen herstellen, und kollektive Raumwahrnehmungsmuster, die durch das periodische Beschreiten ritueller Wege vergegenwärtigt werden.

 

Die Untersuchungen konnten geographisch und thematisch an einige bereits im SFB durchgeführten Projekte (A1/Haberland 1988-93 zur materiellen Kultur, B3/Miehe 1988-93 zur Sprachenverteilung und D1/Fricke 1991-93 zur kulturgeographischen Struktur) anknüpfen, wenngleich die vorliegenden Ergebnisse hier nur grobe Anhaltspunkte lieferten. In diesem Zusammenhang sind auch einige Beiträge zum Kolloquium im Dezember 1990 in Ouagadougou zu nennen, an dem WissenschaftlerInnen aus den genannten Projekten beteiligt waren (Fiéloux/Lombard/Kambou-Ferrand 1993).

Recht konkrete Vorinformationen fanden sich in der Literatur zu den Initiationskulten des Baghr der Dagara und des Djoro der Lobi, Birifor und Dyan. Zu diesen und einigen anderen Initiationskulten sowie zu den zahlreichen kleineren Kulten und rituellen Praktiken in der Untersuchungsregion konnte außerdem auf die einschlägigen Kompendien aus der Kolonialzeit bzw. auf einige Überblicksdarstellungen aus jüngerer Zeit zurückgegriffen werden: Anstelle einer Wiederholung der im ursprünglichen Antrag diskutierten Literatur sei hier auf die kompakte Darstellung des bisherigen Wissensstandes zur Besiedlungsgeschichte Südwest-Burkina Fasos in der Arbeit von Madeleine Père (1988: 73-108) verwiesen, in der auch die Ausdehnung religiöser Institutionen behandelt wird. In derselben Studie findet sich auch eine ausführliche Analyse des Djoro-Initiationskultes von Batié-Nord in all seinen historischen, religiösen, politischen und ökonomischen Dimensionen nebst Darstellung und Klassifikation der vielen kleineren Kulte auf familiärer und verwandtschaftlicher Ebene (ebd.: 203-265, 275-335). Diese Arbeit war für die geplanten Untersuchungen im Projekt A8 insbesondere auch methodisch von Interesse. Zum Baghr der Dagara siehe Goody (1972, 1996) und Goody/Gandah (1981). Zu den Kulten wie auch zur Siedlungsgeschichte anderer ethnischer Gruppen im Südwesten Burkina Fasos lagen dagegen - abgesehen von kleineren Passagen in den Überblicksdarstellungen aus der Kolonialzeit - kaum nennenswerte Grundlagen vor.

Ursprünglich sollte sich die Untersuchungsregion über den größten Teil des Südwestens von Burkina Faso - vom Schwarzen Volta im Osten bis zur Falaise de Banfora im Westen - erstrecken. Im Bereich der Dagara, Birifor, Lobi, Pwo und Dyan im Osten sowie der Dorhossié, Komono und einiger mandesprachiger Gruppen im Westen war geplant, die wichtigsten Kulte zu untersuchen, in ihren regionalspezifischen Ausprägungen vergleichend darzustellen und die Ergebnisse schließlich in einen größeren historischen, geographischen und theoretischen Rahmen einzufügen. Aufgrund der begrenzten personellen Ausstattung mußte jedoch - zumindest, was den geographischen Rahmen der Feldforschungen betraf - von einem derart weit gefaßten Vorhaben abgerückt und der Schwerpunkt der Untersuchungen auf die bereits besser dokumentierte Region entlang des Schwarzen Volta verlegt werden. Diese Entscheidung hat sich schon recht bald als sinnvoll herausgestellt, denn die Komplexität der religiösen Netzwerke ist am besten in einer engeren Region zu erfassen, deren Grenzen durch die tatsächlich beobachtbaren oder mitgeteilten Interaktionen abgesteckt sind.

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Letzte Aktualisierung 05/2002.