Projekt Homepage > Projektphase 1997-1999 > Teilprojekt A 8: Methoden

Fragestellungen
Arbeitsgebiete und Methoden
Ergebnisse
Religiöse Netzwerke
Der Djoro von Nako
Untersuchungsregion
Ökonomische Aspekte
Popularität von Kulten
Neues zu den Birifor
Literatur
Allgemeines
Stellung im SFB 268
Der Forscher

Arbeitsgebiete und Methoden

Insgesamt absolvierten die Mitarbeiter des Projekts A8 im zurückliegenden Bewilligungszeitraum fünf Forschungsaufenthalte in Südwest-Burkina Faso und Nordwest-Ghana von insgesamt etwa 17 Monaten Dauer. An 26 Orten und in der jeweiligen Umgebung konnten etliche Einzel- und Gruppeninterviews mit Lineage-Ältesten, rituellen Spezialisten, Kultpriestern und Initiatoren durchgeführt werden. Zum Zwecke eines späteren systematischen Vergleichs kamen auch standardisierte Erhebungsverfahren zur Anwendung, doch mußte man sich wegen der brisanten Thematik in vielen Fällen spontan auf informelle Gespräche verlegen, die auf Wunsch der Beteiligten zudem nicht aufgenommen werden durften. Der standardisierte Teil der Befragungen erfolgte nach einem vorgegebenen Fragekatalog, welcher folgende Punkte umfaßte:

Personen, Spezialisierungen, Familiengeschichte, Migrationswege Flußüberquerungspunkte, Gründe für die Migration, Kontakte bzw. Konflikte mit anderen Gruppen, heutige Kooperation mit anderen Klans usw.
Praktizierte Kulte, lokale Charakteristika, historische Transformationen: Welche Kulte, welche Hierarchien spiritueller Entitäten liegen vor? Wie sieht die praktische Durchführung von rituellen Handlungen aus, wer kooperiert mit wem, welchen ökonomischen Nutzen ziehen die Initiatoren aus der Durchführung, welchen Nutzen die Initianden? Welcher Typ einer bestimmten Initiation wird praktiziert, welche anderen gibt es? Wodurch wird die Durchführung und Periodizität gesteuert? Woher stammt der jeweilige Kult? Welches ist sein Sinn und Zweck im Hinblick auf die gesamte Gruppe? Welches sind die historischen und aktuellen Erfahrungen mit der katholischen Kirche bzw. mit den Repräsentanten des Staates? Welche Veränderungen hat es auf dem Niveau der religiösen Netzwerke in Ihrer Region gegeben? Wie sieht die Zukunft der hier praktizierten Kulte aus?
Pilgerrouten, rituelle Geographie: Welche Orte, vor allem auf der ghanaischen Seite, werden zu welchen rituellen Angelegenheiten aufgesucht, mit welchen Familien bzw. Klans wird dort kooperiert? Welche Routen werden beschritten, und was geschieht unterwegs? Welcher Zusammenhang besteht zwischen diesen Wegstrecken und den Migrationsrouten der Vorfahren? Bis wohin erstreckt sich der Radius der rituellen Beziehungen?

Während eines ersten gemeinsamen Surveys im April 1997 wurden grundlegende Vorinformationen eingeholt, die notwendige Infrastruktur hergestellt und ein verbindliches Untersuchungsprogramm festgelegt. Volker Linz führte seine Forschungen von den Orten Diébougou auf der burkinischen Seite und Lawra auf der ghanaischen Seite, also von den Rändern der Untersuchungsregion aus durch. Entsprechend der geplanten Kombination von vergleichend-systematischen Untersuchungen und einzelnen Fallstudien mußte zunächst eine inhaltliche und örtliche Vorauswahl getroffen werden. Die Ausdehnung auf die Region um Lawra und Babile im Nordwesten Ghanas hat sich dabei als äußerst lohnend erwiesen. So hat sich bereits während des ersten Aufenthaltes herausgestellt, daß nicht nur die Einbeziehung des "alten Landes" (tengkor), wie es von vielen der nach Burkina Faso migrierten Klans bezeichnet wird, sondern auch eine Annäherung an die Flußüberquerungspunkte von beiden Seiten her für ein Verständnis der auf der burkinischen Seite entstandenen religiösen Netzwerke unerläßlich sind.

Die rituellen Verwalter der Erde im Bereich der Flußüberquerungspunkte und in den historischen Ursprungsorten der nach Burkina emigrierter Klans - im Untersuchungsgebiet durchweg Dagara-Familien - sitzen sozusagen an den Nahtstellen grenzüberschreitender ritueller Beziehungsnetze und genießen daher große Autorität. Die mit dieser besonderen Rolle verbundene Kompetenz in bezug auf die orale Tradition und die rituelle Praxis war in der ersten Phase der Untersuchungen von großem Nutzen. In Interviews und informellen Gesprächen konnten detaillierte Informationen über rituell kooperierende Familien bzw. über Wege- und Beziehungsnetze auf der burkinischen Seite gewonnen werden, aus denen dann das weitere Untersuchungsprogramm entwickelt wurde.

Beim zweiten Aufenthalt von Volker Linz um die Jahreswende 1997/98 konnten dann konkrete Leitfäden für teilstandardisierte Interviews erarbeitet und zahlreiche informelle Gespräche mit rituellen Spezialisten geführt werden. Der sensiblen Thematik des Projekts entsprechend erschien es notwendig, zunächst vorbereitende Gespräche zu führen, um dann zur Durchführung formaler Interviews an die betreffenden Orte zurückzukehren. Es erwies sich ferner als sinnvoll, bei einigen der Befragungen gar nicht persönlich anwesend zu sein, sondern die Befragungen durch einen Assistenten, Joël Somé, durchführen zu lassen. Herr Somé ist aufgrund seiner Tätigkeiten als Journalist und langjähriger formateur des jeunes agriculteurs mit der Durchführung von Einzel- und Gruppeninterviews bestens vertraut und - nicht zuletzt aufgrund seines Alters - in der gesamten Region bekannt und respektiert. Die teilstandardisierten Interviews wurden von Herrn Somé auch in der Zeit bis zum dritten Forschungsaufenthalt von Volker Linz fortgeführt.

Während dieses dritten Aufenthaltes von Oktober bis Dezember 1998 schließlich konnte Volker Linz auf dem Hintergrund des mittlerweile vorliegenden Materials gezielte Nachforschungen zur Gestalt und Funktionsweise religiöser Netzwerke in der größeren Region anstellen. Dabei wurde jeweils den rituellen Verbindungslinien im Raum gefolgt, d.h. die Auskünfte einer beteiligten Gruppe zu ihren rituellen Bezugspunkten wurden in Interviews mit der anderen Gruppe überprüft und umgekehrt. Noch innerhalb dieses Zeitraumes konnten einige Untersuchungen ausgewertet und die vorläufigen Ergebnisse mit den Beteiligten gemeinsam beurteilt werden. Zu diesem Zweck wurde zum Ende der dritten Forschungsreise der Bogen wieder zurück zum Ausgangspunkt gespannt und nochmals Informanten aus den auf der ghanaischen Seite liegenden Herkunftsregionen interviewt.

Im Rahmen seiner Forschungsaufenthalte verschaffte sich Volker Linz in verschiedenen Archiven (CNRST Ouagadougou, CESAO Bobo-Dioulasso, Archiv am Bischofssitz Diébougou) einen Überblick über nicht veröffentlichte Studien und Dokumente zur Politik und Geschichte religiöser Netzwerke. Die Nachforschungen in Diébougou gestalteten sich aufgrund des großen Mißtrauens seitens der Vertreter der katholischen Mission recht schwierig, und ausgerechnet die in den Inventarbüchern verzeichneten Dokumente zur kirchlichen Politik gegenüber den traditionellen Religionen blieben unauffindbar.

Kerstin Pinthers vergleichende Untersuchungen zu Dagara- und Mande-Kulten im städtischen Raum von Bobo-Dioulasso konnten vor allem aufgrund spürbaren Mißtrauens einiger Untersuchungsgruppen nicht im geplanten Umfang realisiert werden. Dieses Mißtrauen - vor allem bei den lokalen Bobo - hatte seine Ursprünge nicht zuletzt in der rezenten touristischen Vermarktung von Teilen der Kultpraktiken bei gleichzeitiger Abschirmung anderer Teile gegen alle Außenstehenden. Diese Vermarktungsphänomene genauer zu untersuchen, hätte jedoch den Rahmen unseres Projeks gesprengt. Dagegen konnte Michaela Oberhofer während ihres sechsmonatigen Forschungsaufenthaltes bei den Dyan im Ort Ouan südwestlich von Diébougou (vgl. dazu den Bericht des Projekts A9) intensive Einblicke in lokale religiöse Netzwerke erhalten, die mit in die Auswertungen der Forschungen von Volker Linz eingeflossen sind.

Sonderforschungsbereich 268 "Kulturentwicklung und Sprachgeschichte im Naturraum Westafrikanische Savanne", Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main. Verwendung von Texten, Bildern oder Karten (außer für private Zwecke) nur mit schriftlicher Zustimmung der Autoren.
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Letzte Aktualisierung 05/2002.