Projekt Homepage > Projektphase 1997-1999 > Teilprojekt A 8: Ergebnisse

Fragestellungen
Arbeitsgebiete und Methoden
Ergebnisse
Religiöse Netzwerke
Der Djoro von Nako
Untersuchungsregion
Ökonomische Aspekte
Popularität von Kulten
Neues zu den Birifor
Literatur
Allgemeines
Stellung im SFB 268
Der Forscher

Ergebnisse und ihre Bedeutung

Die im ursprünglichen Antrag formulierte Annahme, daß "mitgebrachte" wie auch neu entstandene Kulte und die sich darauf aufbauenden religiösen Netzwerke im Südwesten Burkina Fasos eine wichtige Rolle für die Gruppenidentitäten und interethnischen Beziehungen sowie die Muster der Raumwahrnehmungen spielten, hat sich im Verlauf unserer Forschungen bestätigt. Sowohl auf der Mikroebene (Fallstudien zu einzelnen Klans) als auch auf der Makroebene (Regionalstudien unter historischem und systematischem Aspekt) konnten wertvolle Aufschlüsse über die Genese und die Funktionsweise religiöser Netzwerke gewonnen werden. Darüber hinaus führten uns die vorliegenden Forschungsergebnisse zu allgemeineren methodologischen Aussagen und Hypothesen, welche für zukünftige Forschungen dieser Art von Nutzen sein dürften.

Insbesondere hat sich einmal mehr bestätigt, daß eine essentialistische Konzeption von "Ethnien" - als Gebilden mit eindeutigen sprachlichen, soziologischen und territorialen Attribute - der Erforschung von Prozessen der Gemeinschaftsbildung und Raumaneignung eher im Wege steht. Dies gilt, wie sich gezeigt hat, erst recht für die Untersuchung religiöser Institutionen, die ihrem Wesen nach vor allem der Gemeinschafts- und Netzwerkbildung dienen. Sie tragen vielmehr zur Überwindung und Überbrückung ethnischer und linguistischer Grenzen bei.

Statt einer katalogartigen Auflistung sämtlicher kollektiv praktizierter Kulte und der mit ihnen zusammenhängenden Beziehungsnetze (wie sie in der Literatur zur Genüge vorliegen) werden auf den vorliegenden Seiten die Forschungsergebnisse in verallgemeinerter Art und Weise vorgestellt.  

Daß von ethnischen, linguistischen und territorialen Gesichtspunkten weitestgehend unabhängige Faktoren für die Entstehung und Funktionsweise religiöser Netzwerke bestimmt werden konnten, ist bereits für sich genommen ein wichtiges Forschungsergebnis. Daraus läßt sich ein mehrschichtiges analytisches Modell ableiten, das sowohl für die synchrone Untersuchung religiöser Netzwerke als auch für eine historische Rekonstruktion im Rahmen der allgemeinen Siedlungsgeschichte verwendet werden kann.

Es hat sich im Verlauf unserer Forschungen gezeigt, daß die Bevölkerungsgruppen im Untersuchungsgebiet trotz ihrer linguistischen und sozialstrukturellen Unterschiedlichkeit relativ konstante kulturelle Eigenschaften aufweisen, ganz besonders in der religiösen Sphäre. Die in der Region auffallende Mobilität und Multilokalität, die soziale Flexibilität und die Anpassungsfähigkeit einzelner Familien werden durch die gemeinsamen, ethnisch und linguistisch Differenzen übergreifenden Grundlagen der Kosmologie der verschiedenen Gruppen ermöglicht - allen voran die Verehrung der Ahnen und der Erde.

Beiträge zur Methodologie

Neben den bereits erwähnten Beiträgen, die das Projekt A8 zur methodologischen Diskussion geleistet hat, erwies es sich grundsätzlich als hilfreich, nicht-narrative Quellen für die Rekonstruktion von Siedlungsgeschichte, Gemeinschaftsbildung und Raumaneignung zu Rate zu ziehen. So stand von Anfang der Versuch, rituelle Wegstrecken, Kooperationsnetze und die Verteilung von Kulten und den beteiligten Gruppen im Raum in Form von Karten und Skizzen zu visualisieren, im Mittelpunkt unseres Interesses. Es hat sich gezeigt, daß diese Veranschaulichuung einen entscheidenden Beitrag zur systematischen Erforschung religiöser Netzwerke in ihrem Zusammenwirken mit dem Besiedlungsprozess leisten konnte. Das wechselseitige Abgleichen von Daten aus der oralen Tradition mit den Daten der kartographierten räumlichen Netzwerke bot bereits während der Forschungsaufenthalte einen idealen Zugang zu unserer Thematik.

Weitere Ergebnisse

Durch die zahlreichen Befragungen zur Siedlungsgeschichte und zu religiösen Netzwerken verschiedenster Dagara- und Birifor-Klans konnten, in Zusammenarbeit mit dem Projekt A9, linguistisch und ethnisch übergreifende Äquivalenzen zwischen einzelnen Klans ausfindig gemacht werden. Hierzu wurden umfassende Konkordanztabellen angelegt, die als Grundlage weiterer Forschungen dienen können. So stellten sich für zahlreiche Klans trotz ihrer heute unterschiedlichen Bezeichnungen und sprachlichen bzw. ethnischen Zugehörigkeiten ursprüngliche Gemeinsamkeiten heraus, die sich in gleichen rituellen Verboten, Preisformeln oder Exogamiegeboten äußern. Damit liegt nun eine weitere nicht-narrative Quelle zur Rekonstruktion der Geschichte des Südwestens von Burkina Faso vor, und es dürfte möglich sein, die Gesamtheit des Besiedlungsprozesses unter Einbeziehung von Ausdifferenzierungen und "ethnischen Konversionen" einzelner Klans besser zu verstehen.

Zusammenfassung & Ausblick

Es hat sich gezeigt, dass sich religiöse Netzwerke aus Elementen verschiedener der in dem vorgeschlagenen Modell vorkommenden Ebenen zusammensetzen: der kollektiven Bewußtmachung der Gemeinschaft, der Vergegenwärtigung der Erschließung des Raumes, der Entstehung institutionalisierter Kulte und dem Zusammenwirken mit interethnischen Beziehungen;
Religiöse Netzwerke entwickeln sich im Austausch verschiedener Gruppen, allerdings vor einem gemeinsamen kulturellen Hintergrund - im vorliegenden Fall eine ähnliche Sozialstruktur, ähnliche Glaubensvorstellungen, die Betonung der Lineage, die gemeinsame Erfahrung der Flußüberquerung etc.; sie dienen eher der Mobilität und dem Austausch, also nicht-offensiven und nicht-destruktiven Formen interethnischer Beziehungen;
Es wurde deutlich, dass sich Kultpraktiken stets aus einem ganzen Arsenal von Elementen speisen und es den Akteuren weniger wichtig ist, woher diese stammen als wozu sie aktuell und in Zukunft dienen können; analog zu oralen Traditionen können einzelne Elemente im Laufe der Zeit weggelassen oder hinzugenommnen werden, je nach aktueller Interesselage;
Es erscheint uns deshalb eher irreführend, die Praxis einzelner Kulte zu "ethnischen" Traditionen hochzustilisieren bzw. vermeintlich homogene Gruppen als Untersuchungsrahmen für die Erforschung religiöser Netzwerke zu wählen;
Durch die Hinzunahme nicht-narrativer Quellen - wie z.B. Visualisierung von räumlichen Verteilungen einzelner Gruppen und Praktiken oder Konkordanzen zu ethnisch und linguistisch übergreifenden Bezeichnungen und Praktiken - kann ohne Zweifel ein besseres Verständnis über historische Prozesse gewonnen werden, als dies auf der Grundlage der oralen Traditionen allein möglich wäre (vgl. Person 1993).

Sonderforschungsbereich 268 "Kulturentwicklung und Sprachgeschichte im Naturraum Westafrikanische Savanne", Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main. Verwendung von Texten, Bildern oder Karten (außer für private Zwecke) nur mit schriftlicher Zustimmung der Autoren.
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Letzte Aktualisierung 05/2002.