Projekt Homepage > Projektphase 1997-1999 > Teilprojekt A 8: Weitere Ergebnisse

Fragestellungen
Arbeitsgebiete und Methoden
Ergebnisse
Religiöse Netzwerke
Der Djoro von Nako
Untersuchungsregion
Ökonomische Aspekte
Popularität von Kulten
Neues zu den Birifor
Literatur
Allgemeines
Stellung im SFB 268
Der Forscher

Zur ökonomischen Bedeutung von Kulten

Hier stellte sich im Verlauf der Untersuchungen heraus, daß die ursprünglich angenommene ökonomische Bedeutung der Durchführung von Initiationen zu hoch eingeschätzt war. Bei den Befragungen zum Baghr der Dagara wurde z.B. deutlich, daß dieser Kult zwar nach wie vor von zentraler Bedeutung für die beteiligten Klans ist und seine Durchführung noch immer als Grundbedingung der eigenen Existenz und des Fortbestandes der Gruppe angesehen wird. Der Umfang der ökonomischen Transaktionen hat sich jedoch vor allem in den vergangenen drei Jahrzehnten erheblich verringert. Während es für die Väter und Großväter der Informanten noch ein äußerst lukratives Geschäft war, möglichst viele Personen aus den beteiligten Klans zu initiieren, so geht es heute eher um das soziale Prestige der eigenen Gruppe. Die Geschenke und Gaben der Familien der Initianden fließen nach wie vor in den Haushalt der Initiatoren, doch sind durch die steigende Teilnehmerzahl an den Initiationen (vgl. unten) auch die Aufwendungen zur Durchführung der Zeremonien am und im Haus der Initiatoren in die Höhe geschnellt. Die ökonomische Bilanz heutiger Baghr-Initiationen läuft auf Null hinaus; das Ziel eines Initiators ist nicht die Anhäufung von Reichtum, sondern die Deckung der Unkosten bei möglichst effektivem Prestigegewinn (welcher indirekt allerdings auch ökonomischen Gewinn bedeuten kann).

Entsprechende Auskünfte erhielten wir auch von Initiatoren bzw. Leitern des Djoro, doch ist dieser Initiationskult grundsätzlich teurer und rigider strukturiert und scheint nicht zuletzt aufgrund seiner zentralistischen Organisation im Einzelfall sehr wohl die Akkumulation von materiellen Gütern zu ermöglichen; hier liegen uns jedoch noch keine konkreten Ergebnisse vor.  

Zur Situation und Popularität von Initiationskulten

Sowohl die Untersuchungen zum Baghr der Dagara und Birifor als auch zum Djoro der Lobi, Dyan und Birifor haben gezeigt, daß Bedeutung und Popularität dieser Kulte bis heute ungebrochen sind. Beim Baghr der Dagara haben sich die Teilnehmerzahlen in den meisten Fällen während der letzten drei Jahrzehnte verdoppelt bis verdreifacht, zugleich hat aber die Initiation an vielen Orten einen deutlich folkloristischen Charakter angenommen. Allenthalben sind Formen von schnellen und oberflächlichen Initiationen entstanden, die der veränderten Sozialstruktur und der Verschlechterung der Lebensbedingungen auf dem Land Rechnung tragen. Zum einen wollen mehr und mehr Initianden aus weniger wohlhabenden oder weniger prestigierten Familien initiiert werden. Zum anderen kommt es immer häufiger vor, daß gebildete und christlich getaufte Familienmitglieder für kurze Zeit in ihre Heimatorte kommen, um sich noch im Erwachsenenalter initiieren zu lassen. Daß die ersteren anstatt Hühnern und Ziegen nur noch Küken mitbringen, kann ohne weiteres toleriert werden, da die big men mit ihren finanziellen Beiträgen zur Initiation für Ausgleich sorgen. Mit dieser Entwicklung werden die zeremonielle Form und besonders esoterische Inhalt der Initiation oftmals geradezu nebensächlich gegenüber dem profan-festlichen Aspekt; Initiationsfeiern des Baghr sind vielerorts - um es neudeutsch auszudrücken - zu lokalen Events mutiert.

Das Foto zeigt übrigens einen jungen Initianden in den Baghr dewr - wörtlich: den 'schmutzigen Baghr' -, welcher sich im Gegensatz zum Baghr kaa, dem 'öligen Baghr' durch ein weitaus höheres Maß an Seklusion und der Vermittlung eines sehr umfangreichen Wissenbestandes auszeichnet. Der Junge, welcher mit niemandem sprechen durfte, wurde begleitet von einer älteren Frau, die in seinem Namen Naturalien und Geld entgegennahm. Die beiden waren bereits seit einigen Wochen unterwegs (Foto: Volker Linz, Dano, Dezember 1998).  

Neues zu den Birifor

Die im Untersuchungsgebiet siedelnden Birifor wiesen eine nicht in diesem Maße erwartete Flexibilität in ihrer Assoziation mit verschiedenen religiösen Institutionen auf. Aufgrund ihrer sprachlichen und ethnischen Mittlerposition zwischen Dagara und Lobi nehmen die meisten Familien sowohl am Baghr der Dagara als auch am Djoro "der Lobi" teil (s.o). Durch unsere Nachforschungen konnte mehr Licht in das Dunkel der Geschichte und der Ethnogenese der Birifor geworfen werden. Tatsächlich bezeichnen sich die Birifor im Untersuchungsraum in den meisten Fällen nicht als "Birifor", sondern ordnen sich je nach Situation und Fragestellung entweder größeren linguistischen bzw. territorialen Einheiten (Dagara, Lobr) zu oder entsprechend der Mitgliedschaft in Initiationskulten ("Mitglieder des Djoro").

Die Birifor im Untersuchungsgebiet haben generisch nichts mit dem Dagara-Patriklan namens "Birfuole" zu tun (wenngleich es unter den Birifor auch "Birfuole" gibt), sondern sind vielmehr aus Ehen zwischen Lobi-Müttern und Dagara-Vätern zur Zeit des gemeinsamen Aufenthaltes dieser Gruppen im Raum Lawra/Babile (Ghana) und Dapola/Boukoro/Hemkpa (Burkina) hervorgegangen. Die weitermigrierenden Lobi-Familien gaben den zurückbleibenden oder kurze Zeit später nach Nordwesten abwandernden Birifor-Familien ihren Namen (frz. Übersetzung: "souhaiteurs des condoléances"). Die populäre Etymologie der Bezeichnung "Birifor" geht auf eine oft berichtete Begebenheit zwischen einer Dagara-Frau und der Lobi-Familie, aus der der Vater ihrer Kinder stammt, zurück, darf jedoch weiterhin als umstritten angesehen werden. Festzuhalten ist, daß "Birifor" ein Exonym ist, welches in den wenigsten Fällen von den Beteiligten selbst verwendet wird. Die "Ethnogenese" der Birifor läßt sich auf der Grundlage der vorliegenden siedlungsgeschichtlichen Daten ungefähr auf den Beginn des 19. Jahrhunderts datieren. Intern differenzieren sich die Birifor im Untersuchungsraum nach ihren Lobi-Wurzeln, d.h. danach, ob sie Nachfahren von Verbindungen zwischen Müttern der Lobi paboulona (Lobi "der Ebene", über Lawra/Babile eingewandert) oder aber der Lobi gongodara (Lobi "der Berge", über Dobil/Batié-Nord eingewandert) sind, und dementsprechend auch danach, ob sie den Djoro von Nako oder den Djoro von Batié-Nord praktizieren.

Andererseits haben die Untersuchungen zu den religiösen Netzwerken bei den Dagara in der Gegend von Babile und Birifu gezeigt, daß es sich bei deren Bewohnern um Dagara-Wiile handelt, und zwar in der Majorität um Familien der Dagara-Klans Kusiele und Metuole. Die Bewohner von Birifu, an einem immens wichtigen Flußüberquerungspunkt gelegen, nennen sich entsprechend einer bei Dagara-Klans üblichen Bezeichnungsweise zwar "Birfuole", doch sind sie weder im Sinne der zuvor beschriebenen Gruppe "Birifor", noch nach ihrer Dagara-Klanzugehörigkeit "Birfuole". Dies beweist auch ihre von der erwähnten Etymologie abweichende Herleitung des Begriffes "Birifor", welchen sie mit ihrer Eigenschaft als "diejenigen, die gewaltsam eindringen" (birkpe bzw. birfuor) in Verbindung bringen.

Die gesamte bisherige ethnologische Diskussion darum, wer "die Birifor" seien, zeigt unseres Erachtens beispielhaft die Schwächen einer essentialistisch vorgehenden Klassifikation ethnischer Gruppen (auch wenn sie, wie in den Arbeiten Jack Goodys, von relativen, direktionalen Bezeichnungsweisen ausgeht). Unsere Untersuchungen bestätigen einmal mehr die Notwendigkeit, der großen ethnischen, linguistischen und religiösen Flexibilität und Mobilität der verschiedenen Gruppen im Südwesten Burkina Fasos Rechnung zu tragen. Gerade die Untersuchungen zu den Birifor haben ferner belegt, in welch effektiver Weise die Erforschung der flexiblen Umgangsweisen einer Gruppe mit den regionalen religiösen Netzwerken Aufschluß über deren historische Entstehung und heutige Zusammensetzung geben kann.

Beiträge zur Methodologie

Neben den bereits erwähnten Beiträgen, die das Projekt A8 zur methodologischen Diskussion geleistet hat, erwies es sich grundsätzlich als hilfreich, nicht-narrative Quellen für die Rekonstruktion von Siedlungsgeschichte, Gemeinschaftsbildung und Raumaneignung zu Rate zu ziehen. So stand von Anfang der Versuch, rituelle Wegstrecken, Kooperationsnetze und die Verteilung von Kulten und den beteiligten Gruppen im Raum in Form von Karten und Skizzen zu visualisieren, im Mittelpunkt unseres Interesses. Es hat sich gezeigt, daß diese Veranschaulichuung einen entscheidenden Beitrag zur systematischen Erforschung religiöser Netzwerke in ihrem Zusammenwirken mit dem Besiedlungsprozess leisten konnte. Das wechselseitige Abgleichen von Daten aus der oralen Tradition mit den Daten der kartographierten räumlichen Netzwerke bot bereits während der Forschungsaufenthalte einen idealen Zugang zu unserer Thematik.

Weitere Ergebnisse

Durch die zahlreichen Befragungen zur Siedlungsgeschichte und zu religiösen Netzwerken verschiedenster Dagara- und Birifor-Klans konnten, in Zusammenarbeit mit dem Projekt A9, linguistisch und ethnisch übergreifende Äquivalenzen zwischen einzelnen Klans ausfindig gemacht werden. Hierzu wurden umfassende Konkordanztabellen angelegt, die als Grundlage weiterer Forschungen dienen können. So stellten sich für zahlreiche Klans trotz ihrer heute unterschiedlichen Bezeichnungen und sprachlichen bzw. ethnischen Zugehörigkeiten ursprüngliche Gemeinsamkeiten heraus, die sich in gleichen rituellen Verboten, Preisformeln oder Exogamiegeboten äußern. Damit liegt nun eine weitere nicht-narrative Quelle zur Rekonstruktion der Geschichte des Südwestens von Burkina Faso vor, und es dürfte möglich sein, die Gesamtheit des Besiedlungsprozesses unter Einbeziehung von Ausdifferenzierungen und "ethnischen Konversionen" einzelner Klans besser zu verstehen.

Sonderforschungsbereich 268 "Kulturentwicklung und Sprachgeschichte im Naturraum Westafrikanische Savanne", Johann Wolfgang Goethe-Universität Frankfurt am Main. Verwendung von Texten, Bildern oder Karten (außer für private Zwecke) nur mit schriftlicher Zustimmung der Autoren.
Kontakt: Dr. Richard Kuba, Institut für historische Ethnologie, Grüneburgplatz 1, D - 60323 Frankfurt am Main, Tel. +49-69-79833066
Web-Design von Volker Linz/Karstkunst Webdienste Berlin.
Webmistress: Julia Weinmann
Letzte Aktualisierung 05/2002.