Projekt Homepage > Projektphase 1997-1999 > Teilprojekt A 8: Fragestellung

Fragestellungen
Arbeitsgebiete und Methoden
Ergebnisse
Religiöse Netzwerke
Der Djoro von Nako
Untersuchungsregion
Ökonomische Aspekte
Popularität von Kulten
Neues zu den Birifor
Literatur
Allgemeines
Stellung im SFB 268
Der Forscher

Als Leitlinien der Untersuchung religiöser Netzwerke waren ursprünglich folgende Themen vorgesehen:

der Einfluß geopolitischer und ökologischer Räume auf die Verbreitung und spezifische Gestalt der Kulte;
die lokalpolitische Bedeutung der Kulte für die Entstehung und Transformation von Herrschaftsstrukturen und die Zuteilung von Siedlungs-, Handels- und Anbaurechten
die Rolle der Kulte als Instrumente der politischen und ökonomischen Einflußnahme mandesprachiger Siedler in gursprachigen Milieus
das Verhältnis der Repräsentanten der "großen" Religionen Islam und Christentum zu den Betreibern der Kulte auf der Ebene der Mikropolitik.

Geopolitische und ökologische Faktoren

Der Begriff "geopolitische Räume" sollte das Zusammenwirken von unterschiedlichen gesellschaftlichen Organisationsformen, politischen Einflußsphären und deren Verteilung im Raum umschreiben. Vorgesehen waren vergleichende Betrachtungen zu Kulten in verschiedenen politischen Kontexten - in eher segmentären und eher hierarchisch strukturierten Gruppen, in von politischen Zentren entfernt lebenden Gruppen und Gruppen in der direkten Einflußsphäre solcher Zentren. Aufgrund der erwähnten Einschränkungen des räumlichen Radius der Forschungen verschob sich auch der Ansatz zu dieser Fragestellung hin zur Untersuchung von Erscheinungsformen und Wirkungsweisen religiöser Institutionen bei benachbarten segmentären Gruppen, die sich lediglich durch graduelle Unterschiede in der Betonung von Patri- oder Matrilinie oder durch unterschiedliche Residenzmuster voneinander unterscheiden. Damit trat die Bedeutung "geopolitischer Räume" in den Hintergrund.

Zum Komplex der Wechselwirkung der religiösen Institutionen mit verschiedenen ökologischen Räumen stellte sich zunächst die Frage, wie sich die naturräumlichen Bedingungen auf Entwicklung, Erscheinungsbild und politisch-ökonomische Aspekte der Kulte im Untersuchungsgebiet auswirkten. Die Untersuchungen im Projekt A8 gingen jedoch bald über diese Frage hinaus, da das neue Konzept der religiösen Netzwerke die Komplexität des Zusammenspiels von Religion, Siedlungsgeschichte und Naturraum besser zu erfassen erlaubt. Dieses komplexe Zusammenspiel zeigt sich beispielsweise in den rituellen Topographien und unterschiedlichen kosmologisch fundierten Repräsentationsformen von Gemeinschaft und Herkunft - Phänomene, die sich unter der Überschrift "kosmologisch begründete, rituelle Ausdrucksformen des kulturellen Gedächtnisses" zusammenfassen lassen.

Ökonomische und lokalpolitische Faktoren

Zur Frage der ökonomischen Dimensionen von Kulten gingen wir von der Hypothese aus, daß die Autorität über Kulte eine ökonomische Ressource darstellen, mit der generationenübergreifende Strategien zur Risikominimierung verfolgt werden können. Der Erwerb eines Kultes bzw. die oft recht kostspielige Initiation von Familienangehörigen erfordert für die aktuelle Generation teils erhebliche Aufwendungen an Geld- und Sachwerten. Dafür verspricht die zukünftige Funktion eines Familienangehörigen als Initiator oder ritueller Spezialist den kommenden Generationen schon bald Profit, da die zuvor investierten Güter - bei einer geschickt betriebenen "Initiationspolitik" sogar mit erheblichem Gewinn versehen - wieder in den Besitz der Familie zurückfließen.

Die geplanten Untersuchungen sollten auch Aufschluß über den Zusammenhang von rituellen und ökonomischen Transaktionen mit lokalen Migrationsprozessen geben. Interessanterweise zeigten bereits die vorliegenden Quellen, daß häufig gerade die von neu ankommenden Gruppen "vertriebenen" Lineages bis heute im rituellen Besitz des Kultwissens geblieben sind und mit dem Betrieb von Kulten und Initiationen vor allem innerhalb ihrer vormaligen Siedlungsgebiete erhebliche "Gewinne" erzielen, seien diese nun materieller oder politischer Art.

Ein Beispiel, dem in den Untersuchungen im vergangenen Forschungszeitraum verstärkt Aufmerksamkeit geschenkt wurde, sind die Pwo, die - so das gängige Geschichtsbild - in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts von nachrückenden Gruppen nach Nordwesten "verdrängt" worden sein sollen. Bei genauerem Hinsehen zeigte sich jedoch, daß diesem Prozeß offenbar Verhandlungen zwischen einzelnen Lineages zugrundelagen, in denen die vordergründig als "unterlegen" erscheinende Gruppe - gewissermaßen als Kompensation für ihren Wegzug - die Neuankömmlinge geschickt in ein Abhängigkeitsverhältnis zu sich brachten, indem sie ihnen lediglich einen Teil des Kultwissens, nicht aber die Vorherrschaft über den Kult als Institution übertrugen (vgl. dazu Der Djoro von Nako). Bereits an diesem Beispiel wird deutlich, wie unmittelbar eine historische Untersuchung religiöser Netzwerke zu einem umfassenderen Verständnis von Siedlungsmustern, Herrschaftsbildungen und interethnischen Austauschprozessen in der Untersuchungsregion beitragen kann.

Einflußnahme durch mandestämmige Siedler

Die ursprünglich geplante Untersuchung des Einflusses mandesprachiger Gruppen und ihrer Kulte auf religiöse Netzwerke in gursprachigen, segmentären Milieus im Südwesten Burkina Fasos konnte aufgrund der entstandenen Schwerpunktverlagerungen im Bewilligungszeitraum nicht mehr durchgeführt werden. Hierzu sei ebenfalls auf den Neuantrag des fusionierten Projekts A9 verwiesen, in dem auch diese Fragestellung weiter verfolgt werden soll.

 

Das Verhältnis von Christentum und Islam zu "traditionellen" Kulten

Der vierte geplante Untersuchungsschwerpunkt des Projekts A8,die Frage nach der Rolle der katholischen Kirche bzw. des Islam in der Entstehung "traditioneller" religiöser Netzwerke,konnte aus denselben Gründen nur teilweise bearbeitet werden. Mit Bezug auf den Baghr-Initiationskult der Dagara konnte in Befragungen und durch Archivstudien der Frage nachgegangen werden, welche Politik der katholische Klerus seit dem Einsetzen einer Massenkonversion der Dagara in den 1930er Jahren gegenüber den bestehenden religiösen Institutionen betrieb und welchen Einfluß diese Politik auf die Struktur religiöser Netzwerke bei den Dagara hatte.

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Letzte Aktualisierung 05/2002.