Sommersemester 2011 - Vorlesung

 

Etappen der lateinamerikanischen Lyrik

Der Beginn der lateinamerikanischen Literatur ist epischer Natur: Es sind die großen Eroberungsschilderungen von Columbus und Cortés, die erstmals Amerika in den Diskurs des Abendlandes einrücken. Die Lyrik, wie sie im Vizekönigreich von Mexiko unter der Feder von Sor Juana Inés de la Cruz einen ersten, nachgerade unerhörten Höhepunkt erreicht, geht hier den umgekehrten Weg: Nicht Amerika wird erschrieben, sondern die Dichtungskonventionen der Alten Welt werden importiert. Die damit verbundene Problematik, welche denn die Amerika angemessene lyrische Sprache sei, wird freilich erst nach der Independencia virulent, da nun ja auch die spanische Tradition nicht mehr zuhanden ist. Während sich die europäische Romantik also auf das eigene kulturelle Legat – etwa die mittelalterliche Tradition – rückbesinnen kann, müssen die Dichter der Unabhängigkeit ihren Blick auf das Andere richten; denn eine Rückkehr zur autochthonen Tradition – der Kultur der indios – ist für die weißen Kreolen kein gangbarer Weg. So kommt es auch, daß die Lyrik von der Romantik bis zum modernismo in je unterschiedlicher Ausrichtung von Anleihen bei den ,fortschrittlichen‘ Engländern und Franzosen lebt. Es wäre aber dennoch falsch, diese Lyrik nur als Abklatsch zu werten. Ebenso wie sich Sor Juana den europäischen Petrarkismus auf originelle Weise aneignet, nutzen die Dichter der Romantik und des modernismo ihre Vorlagen zu einer Herausbildung spezifisch lateinamerikanischer Lyrik. Diese Lyrik ist nicht nur ihrem Wesen nach hybrid, sie ist sich dieser grundlegenden Hybridität auch bewußt – auch wenn sie, wie im Falle Echeverrías, im Zeichen eines Homogenisierungsprojektes steht, in dem gerade die indios keinen Platz mehr haben werden. Der Aufwertung des Autochthonen werden sich erst die Avantgarden verschreiben. Im Zuge der mexikanischen Revolution und der in Frankreich begründeten Altamerikanistik rückt das indigene Legat zu einem prestigiösen Identitätsmerkmal Lateinamerikas auf, und so setzt die Lyrik des 20. Jahrhunderts – allen voran Octavio Paz – denn auch jenes ,wilde Denken‘ in sein Recht, das die kulturellen Eliten Lateinamerikas für vierhundert Jahre als ihr radikales Anderes betrachtet haben.

 

 

Sommersemester 2011 - Hauptseminar Spanisch

 

Liebeskonzeptionen auf der Schwelle zur Frühen Neuzeit

Erzählte, dramatische oder gedichtete Liebe ist seit jeher mehr als der Ausdruck jenes privaten Gefühls, das uns schlaflose Nächte bereitet. Sie ist vielmehr, wie es N. Luhmann formuliert hat, privilegierter Austragungsort des Sozialen und insbesondere von dessen „Veränderungstrends“. Aus dieser Warte wollen wir uns jener Schwellenzeit nähern, die sich in Spanien zwischen der vollzogenen Reconquista (1492) und dem Anschluß an das Sacrum Imperium unter Karl V. (ab 1521) auftut. Es ist die Zeit eines radikalen Umbruchs, der nicht nur in der Ablösung des weitgehend autochthonen Systems höfischer Liebe durch das des italienischen Petrarkismus besteht, sondern zugleich von der Emergenz dessen begleitet ist, was wir das moderne Subjekt zu nennen pflegen. Politisch ist mit dem Projekt der Katholischen Könige, das in die Herrschaft Karls einmündet, eine Homogenisierungsanstrengung verbunden, die zu Lasten der España de las tres culturas geht und die zugleich den Untergang des überkommenen Feudalsystems und der damit verbundenen Stratifikationen nach sich zieht.
            Wir wollen diesen Prozeß anhand dreier, auch heute noch kanonischer Ausprägungen nachvollziehen: Ausgangspunkt wird Diego de San Pedros allegorischer Liebesroman Cárcel de amor (1492) sein, der, noch weitgehend der höfischen Liebe verpflichtet, bereits das Konfliktpotential der neuen Epoche erkennen läßt. La Celestina (1499) von Fernando de Rojas ist bereits in einer völlig anderen Welt, der Welt des Geldes und des aufziehenden Frühkapitalismus, angesiedelt und zudem von einer ethnischen Dimension unterspannt, die deutlich dysphorische Züge trägt. Den Abschluß werden die ab 1530 entstehenden Canzonen und Eklogen Garcilasos de la Vega bilden, die nicht nur das zentrale Organon einer neuen Kulturpolitik darstellen, sondern in denen auch das problematische Verhältnis des spanischen Adels zum Kaiser verhandelt wird.

 

 

Sommersemester 2011 - Hauptseminar Französisch

 

Flüchtigkeit und Dauer: Baudelaire als Paradigma der Moderne

 

„La modernité, c’est le transitoire, le fugitif, le contingent, la moitié de l’art, dont l’autre moitié est l’éternel et l’immuable“ – so lautet Baudelaires berühmte Minimalpoetik im Peintre de la vie moderne. An Transitorischem und Flüchtigem ermangelt es dem Werk Baudelaires nun wahrlich nicht. Als „Dichter im Zeitalter des Hochkapitalismus“ (Benjamin) trägt Baudelaire jener ungeheueren Beschleunigung Rechnung, die Frankreich unter dem II. Kaiserreich erfaßt. Wo bei Hugo noch ansatzweise jene ,romantische Tiefenschau‘ möglich scheint, mit der sich die Epoche der Restauration rückversichern wollte, tritt bei Baudelaire Tod, Verwesung, Lärm, Verbrechen und radikales Unglück in den Blick. Paris, der Schauplatz der Fleurs du Mal, ist ein Ort des Diskontinuierlichen, der Kontingenz, an dem nichts lange bleibt, wie es war. Und doch ist Baudelaire kein Dichter der Trauer: Es ist vielmehr so, daß er – wie vielleicht kein anderer vor ihm – die Denkfigur der ,Schwelle‘ ausschreibt und damit ein wesentliches Paradigma der Moderne begründet. Diese ,Schwelle‘ ist aber nicht nur Flüchtigkeit, sondern zugleich der – wenngleich gebrochene – Rückbezug auf die Tradition. Baudelaire ist ein radikaler Erneuerer der Dichtung und dennoch Anhänger konterrevolutionärer Autoren wie Joseph de Maistre. Er vermag es, die literarische Tradition von den Kirchenvätern über Dante und Petrarca – also das, was er im Peintre als „éternel“ und „immuable“ bezeichnet – in seiner Kunst des Transitorischen aufscheinen zu lassen und damit gleichsam festzuhalten. Dieser geste double eignet nicht nur den Fleurs du Mal sondern auch den Petits poèmes en prose. Er ist das eigentliche Faszinosum eines Autors, ohne den die großen lyrischen Projekte der Moderne (Pessoa, Eliot, Pound und noch Paz) nicht denkbar gewesen wären.

 

Sommersemester 2011 - Kolloquium


Freud, die Literatur und der Film

 

In diesem Semester wollen wir uns der fruchtbaren Wechselwirkung des Werks Sigmund Freuds mit der Literatur, dem Film und der Kulturtheorie widmen. Dabei werden wir, von der Traumdeutung (,Verdichtung‘, ,Verschiebung‘) ausgehend, zunächst die drei großen Fallstudien (,Der Fall Dora‘, ,Der Wolfsmann‘, ,Der Gerichtspräsident Schreber‘) lesen und diese mit literarischen Entsprechungen (etwa bei den Realisten und den Surrealisten) sowie theoretischen Fortschreibungen (Derrida, Jameson) in Beziehung setzen. In einem zweiten Block wenden wir uns Freuds kulturanthropologischen Schriften (Der Witz und seine Beziehung zum Unbewußten, Totem und Tabu, Das Unbehagen in der Kultur, Jenseits des Lustprinzips, „Fetischismus“, „Trauer und Melancholie“) zu, deren Einfluß auf die Literaturwissenschaft wie auch auf die künstlerische Praxis ungeheuer vielfältig ist. In einem letzten Blick wollen wir schließlich Freuds eigene Überlegungen zur Literatur in den Blick nehmen. Von besonderem Interesse wird neben den allgemeinen Bemerkungen in „Der Dichter und das Phantasieren“ und den Einzelanalysen literarischer Wunscherfüllungen dabei „Das Unheimliche“ sein, das insb. für die literarische Phantastik, aber auch für den Film von wesentlicher Bedeutung ist.

 

 

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