Wintersemester 09/10 - Vorlesung

 

Leyendo el Quijote. Cervantes' epochaler Meisterroman im kulturellen Kontext des frühneuzeitlichen Spanien

Neben der Bibel, der Vergilischen Aeneis und den Metamorphosen des Ovid gibt es wenige Texte, die auf die europäische Literatur einen so großen Einfluß genommen haben, wie der in seinen zwei Teilen 1605 und 1615 erschienene Ingenioso hidalgo don Quijote de la Mancha. Die englische Tradition von Fielding bis Sterne ist ohne den Don Quijote ebensowenig denkbar wie Flauberts Madame Bovary, Dostojevskis Idiot oder die großen Vertreter des spanischen Realismus, und noch heute steht der Kampf gegen die Windmühlen paradigmatisch für die Ohnmacht des Individuums gegen die Übermacht der Wirklichkeit. Nichtsdestoweniger ist sein Autor, Miguel de Cervantes Saavedra, ein Kind seiner Zeit: Als junger Mann hat der wenig erfolgreiche Theaterautor an der letzten großen Seeschlacht des Abendlandes – der Schlacht bei Lepanto – teilgenommen, ist in deren Folge von Piraten nach Algier verschleppt worden, wo er mehrere Jahre als Sklave lebte, bis er schließlich von seinen Angehörigen ausgelöst wurde. Wieder in Freiheit hat er wiederholt um einen Beamtenposten in der Neuen Welt angesucht, dies jedoch vergeblich. Und so mußte er sich in seinen späteren Jahren den Lebensunterhalt als Steuereintreiber in den spanischen Provinzen verdienen, was ihm profunde Kenntnisse der Lebenswelt, aber auch einen längeren Gefängnisaufenthalt einbrachte. Der Don Quijote ist die Summa dieses Lebens in und zwischen den Kulturen – und dabei nicht zuletzt ein Plädoyer für irreduzible kulturelle Vielschichtigkeit. Dies zeigt sich bereits an der Rahmenpragmatik des Romans, wenn dort das aufgefundene und dem Roman zugrundeliegende Manuskript einem, wie es heißt, ,lügnerischen‘, arabischen Autor, Cide Hamete Benengeli, zugeschrieben wird und der Erzähler für die Erstellung seiner spanischen Fassung der Übersetzertätigkeit eines ebenso polyglotten, wie unzuverlässigen Mozarabers bedarf. Der solchermaßen inszenierte Streit um die Deutungshoheit der Welt hat auf der Ebene der Geschichte ihre Entsprechung in dem verrückten, sich einen fahrenden Ritter wähnenden Don Quijote, der die ihn umgebende Welt nach Maßgabe der spätmittelalterlichen Ritterromane interpretiert und dabei zu gleichermaßen komischen wie schwerwiegenden Fehleinschätzungen gelangt. Die Wirklichkeit, mit der Don Quijote nicht selten physisch zusammenstößt, obsiegt aber diesen Fehleinschätzungen nicht einfach, sondern wird gerade durch ihre Diskrepanz zu den wahnhaft-idealistischen Deutungen des Don Quijote ihrerseits befragt. In diesem Sinne ist der Don Quijote ein kritischer Roman: Er unterzieht die Lebenswelt der Zeit einer wahnsinnigen Gegenprobe, und wenn am Ende Don Quijote, vernünftig geworden, eben dieser Wirklichkeit im Tod zurückgegeben wird, ist das zwar ein christliches Ende, aber eben kein happy ending.

 

 

 

Wintersemester 09/10 - Hauptseminar Spanisch

 

Die argentinische Phantastik: Lugones, Borges, Cortázar

Betrachtet man die Lyrik der lateinamerikanischen Modernisten, so wird man bei ihnen eine Faszination für Gegenstände – insbesondere exotische, edle Gegenstände – feststellen, die in einem sonderbaren Spannungsverhältnis, wenn nicht im Gegensatz zu dem ansonsten immer wieder bekundeten Streben nach einem stets zurückweichenden, transzendenten Ideal steht. Die Literatur der argentinischen Phantastik, deren erster großer Vertreter Leopoldo Lugones ist, kehrt dieses Spannungsverhältnis dahingehend um, daß es nun die scheinbar desauratisierten Objekte sind, die sich unerwartet auf das Transzendente hin öffnen können und damit der Welt industrieller Massenproduktion eine gleichsam ,romantische‘ Tiefenperspektive rückerstatten. Für Jorge Luis Borges, der diese Bewegung weiterführt, kann dann auch – wie etwa in »Tlön, Uqbar, Orbis tertius« – selbst ein handelsübliches Lexikon zum Einfallstor einer ganzen Parallelgalaxie werden. Julio Cortázar, der dritte in unserem Seminar verhandelte Autor, bezeichnet die Phantastik schließlich als einen „puñetazo metafísico“, der es vermag, den in seiner banalen Alltagswelt befriedeten Leser abrupt mit einer unheimlichen Kopräsenz der anderen Art zu konfrontieren. Ziel des Seminars wird es sein, diese Bündelung phantastischen Schreibens auf ihre kulturspezifische Funktion hin zu befragen und aus dieser Warte mit älteren Formen des Genres in Deutschland und insbesondere Frankreich zu vergleichen. Es wird dabei darum zu gehen haben, die argentinische Phantastik nicht als einen gleichsam transkulturellen Beitrag zu einer epochenspezifischen ,Neuverzauberung‘ der Welt zu lesen, sondern vor allem auch zu bestimmen, welche Aporien und Konfliktlagen sie in ihrem historischen Kontext zu bewältigen hat. Fragen der in Argentinien stark verbreiteten Psychoanalyse oder aber das geschärfte Interesse der Autoren an der neu aufgekommen Quantenphysik sollen in diesem Zusammenhang ebenso berücksichtigt werden, wie jene postkolonialen Fragestellungen, die Argentinien seit der Dekolonisation beschäftigt haben.

 

 

 

Wintersemester 09/10 - Hauptseminar Französisch

 

Aufsteigersujet und Schriftmetapher: Stendhal, Balzac, Flaubert

Im Zuge der französischen Revolution fällt nicht nur der Kopf des Königs, sondern mit ihm auch ein über Jahrhunderte dominantes Modell monarchischer Legitimation – nämlich die Vorstellung von einer mystischen Verbindung von Königsleib und Staatskörper. Die Restauration wird den Versuch unternehmen, dieses Ereignis rückgängig zu machen und die Souveränität wieder an die Person des Herrschers zurückzubinden. Doch ist ihr nicht zuletzt deshalb kein dauerhafter Erfolg beschieden, weil nunmehr mit der Volkssouveränität ein alternatives Konzept an Kontur gewonnen hat und dieses Konzept von weiten Teilen der erstarkten Bourgeoise mitgetragen wird. Daß aber auch die Volkssouveränität nicht ohne weiteres an den Platz des Königs treten kann, belegt das stete Oszillieren zwischen Monarchie und Republik, von dem die französische Geschichte des 19. Jahrhunderts bis hin zur III. Republik gekennzeichnet ist. Die Literatur trägt diese epochale Aporie nun insofern aus, als sie mit der Figur des Aufsteigers ein solches Individuum entwirft, das seine Klasse zu überwinden sucht und sich gleichsam selbst souverän setzen will. In unserem Seminar wollen wir drei Beispiele dieser Konstellation untersuchen und uns dabei insbesondere die Frage nach dem Verhältnis von Aufsteigersujet und Schriftmetapher stellen. Den Anfang wird Stendhals während der Restauration entstandener Roman Le Rouge et le Noir bilden, worin die Schriftkundigkeit nicht nur eine wesentliche Rolle in der Aufstiegsbewegung des plebejischen Helden spielt, sondern dessen Tod durch Enthauptung zugleich auch das revolutionäre Gründungsereignis mit umgekehrtem Vorzeichen wiederholt. In Balzacs Romanpaar Illusions perdues und Splendeurs et misères des courtisanes ist die Schrift von Anfang durch die Druckerpresse thematisch, und der junge Lucien sucht in Paris auch durch die Dichtung den Weg in die höchsten Kreise zu erlangen. Letzteres gelingt ihm dabei allerdings vor allem mit Hilfe seines Mentors, des genialen Kriminellen Vautrin, der die Schrift ebenso leicht wie sein eigenes Aussehen manipuliert und der zum Ende hin als der über alle Gesetze erhobene, nachgerade souveräne Regisseur von ganz Paris erscheint. Flauberts Madame Bovary erzählt schließlich die Geschichte einer Frau, die wie Don Quijote zuviel gelesen hat, und die ob dieser Lektüre von einem Aufstiegsbegehren erfaßt wird, das sich in einer aristokratischen Liebes- und Luxussucht niederschlägt, die sich die Landarztgattin nicht leisten kann und die sie und ihre Familie zugrunde richten wird.

 

Wintersemester 09/10 - Kolloquium

 

Romantheorie und Erzählanalyse

Wie jedes Semester bietet das literaturwissenschaftliche Kolloquium Magister- und Staatsexamenskandidaten die Möglichkeit, ihre Projekte vorzustellen und zu diskutieren. Neben den laufenden Arbeiten, wollen wir uns dieses Semester darüber hinaus mit Fragen der Erzähltheorie und der Erzählanalyse beschäftigen. Die erste Hälfte des Kurses soll hier vor allem theoretischen und methodischen Texten vorbehalten sein, in der zweiten Hälfte wollen wir uns auf einer diachronen Achse über die je spezifischen, historischen Ausprägungen des Erzählens verständigen. Ein grundsätzliches Interesse für die Fragestellung sowie aktive Mitarbeit in Form von Themenpräsentationen sind Teilnahmebedingung. Der Kurs ist eine Wahlpflichtveranstaltung ohne Scheinerwerb.

 

 

 

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