Wintersemester 08/09 - Vorlesung Spanisch


“Escribiendo la independencia” – Literatur als Nation-Building im Lateinamerika des 19. Jahrhunderts


Es gehört zu den Paradoxien der Dekolonisation, daß es gerade der Einmarsch der napoleonischen Truppen in Spanien und die damit verbundene Absetzung Ferdinands VII im Jahre 1808 war, die den Anlaß für die lateinamerikanische Unabhängigkeit gegeben hat; denn die Revolución de Mayo, mit der sich das Vizekönigreich Río de la Plata 1810 von der Metropolis absetzt, ist vorderhand ein königstreuer Akt. Inwiefern damit aber auch das Saatgut der französischen Revolution amerikanischen Boden erreicht hat, zeigt sich vier Jahre später, als Ferdinand restauriert wird, Buenos Aires jedoch auf seiner einmal etablierten Unabhängigkeit beharrt. Der in Frankreich ausgebildete Venezolaner Simón Bolívar wird das Pendel noch deutlicher in diese Richtung ausschlagen lassen, wenn er sich bei seinem Panamerikanismus auf Napoleon beruft. Das Scheitern dieser Bestrebung ist charakteristisch für das Lateinamerika des 19. Jahrhunderts.

 

Es bilden sich so formal unabhängige Staaten heraus, die nicht nur schnell in den Einflußkreis des englischen Empire und des erstarkten Nachbarn, der USA, geraten, sondern auch ideologisch vor dem Problem stehen, auf welche Weise sich in diesem Kräfteverhältnis Unabhängigkeit überhaupt denken läßt. Dies gilt umso mehr, als in den jungen Staaten Lateinamerikas nicht die indigenen Bevölkerungen ins Recht gesetzt werden, sondern die spanischstämmigen Criollo-Eliten an die Macht gelangen, wodurch sowohl das koloniale Hierarchiegefüge als auch die spanische Sprache dominant bleiben. Statt zu einem radikalen Neuanfang kommt es daher auch zu einer Überkreuzung je unterschiedlicher, zumeist europäischer Diskurse, die nicht zuletzt die Literatur der Unabhängigkeit und näherhin solche Texte, die man gemeinhin dem literarischen Nation Building zuschlägt, auf aporetische Weise zum Ausdruck bringen. Ziel der Vorlesung ist es, dieser auf den ersten Blick oft versatzstückartig anmutenden Literatur nachzugehen, ihre historische Pragmatik, aber auch ihren eigentümlichen ästhetischen Reiz zu restituieren und damit nicht zuletzt eine bis in den boom des 20. Jahrhunderts nachwirkende Schreibweise in die Postkolonialismusdebatte einzurücken.

 

Wintersemester 08/09 - Hauptseminar Französisch

 

“Le Dieu caché”: Tragik und Moralistik im Kino des Jean-Pierre Melville


Jean-Pierre Melville(1917-1973), der große Außenseiter des französischen Kinos, ist ein änigmatischer Künstler. Wer seine Filme heute erstmals sieht, wird fasziniert sein von dem unerhörten Stilwillen, mit dem Melville seine Geschichten erzählt. Es sind sonderbare Geschichten: Geschichten von Widerstandskämpfern, die wie Gangster operieren, von Gangstern, die den Tragödien Racines entlehnt zu sein scheinen, Geschichten in denen Kategorien wie Gut und Böse oder Recht und Unrecht nicht mehr greifen wollen. Schon bei Melvilles erstem Film, Le silence de la mer (1947), weiß man nicht recht, was man denken soll, wenn dort der deutsche Besatzer, der wie ein in das französische Heim verirrter Heiliger erscheint, am Ende in einem Akt des Selbstopfers gleichsam zum Märtyrer wird.

 

In seinem ebenfalls während der Okkupation angesiedelten Bekehrungsdrama Léon Morin, prêtre (1961) wird Melville den entgegengesetzten Weg verfolgen: Hier blitzt unter der Strahlkraft des – von Jean-Paul Belmondo gespielten – katholischen Priesters auch eine Blindheit für das Schicksal der ,anderen‘ Franzosen auf, für die Melville als Abkömmling einer jüdischen Familie einen geschärften Blick hat. In L’Armée des ombres (1969) eignet der Résistance schließlich eine autodestruktive Dimension, die mit der Eliminierung eines Verräters aus den eigenen Reihen ihren Anfang nimmt und in dem (Bauern-)Opfer einer integren Widerstandskämpferin gipfelt, das sich in Anbetracht des Endes jedoch als völlig sinnlos erweist. Dieser Aspekt sinnlosen Handelns verstärkt sich noch in den späten Gangsterfilmen Le Samouraï (1967) und Le Cercle rouge (1970), die mit tragischer Präszision auf den Tod der Helden zustreben und die sich – ganz im Sinne des Pascalianischen Diktums – unter den Augen des der Welt entrückten, impassiblen Deus absconditus zu vollziehen scheinen.

 

In unserem Seminar wollen wir uns dem formal wie inhaltlich komplexen Filmen von Melville in einläßlichen Analysen zuwenden und diese u.a. vor dem Hintergrund der Arbeiten von L. Goldman (Le dieu caché) und R. Girard (La violence et le sacré) diskutieren. Arbeitsgrundlage sind die oben genannten fünf Werke, die sich bei dem englischen Internetanbieter play.com ohne Portozahlung beziehen lassen und deren Kenntnis zu Beginn des Seminars vorausgesetzt und gegebenenfalls abgeprüft wird.

 

 

 

Wintersemester 08/09 - Hauptseminar Spanisch

 

Hysterie – Trauma – Trauer: Das Kino des Pedro Almodóvar


Das Filmschaffen des mittlerweile durch die Verleihung eines Oscars endgültig kanonisierten Regisseurs Pedro Almodóvar beginnt weitab vom Mainstream-Kino als ein Angriff auf den guten Geschmack und die bürgerliche Sittenlehre. Der frühe Almodóvar ist camp: Schrille Transvestiten drängeln sich hier neben manisch ödipalen Nymphomaninnen, und wenn der Meister in diesen Filmen – wie sein großes Vorbild Hitchcock – selbst auftritt, so um in Damenkleidern Lieder von nicht jugendfreiem Inhalt zum Besten zu geben. Bei all dieser Tabuverletzung geht es Almodóvar jedoch von Anfang an um mehr als nur darum, Aufsehen (oder öffentliches Ärgernis) zu erregen. Bereits der frühe Trash-Klassiker Laberinto de pasiones (1982) kreist um das, was man als den obsessionellen Kern von Almodóvars Werk bezeichnen könnte: den Ausfall der Vaterfunktion und damit um die traumatische Besetzung von Väterlichkeit und Männlichkeit überhaupt. Almodóvar – das sei hinzugefügt – ist ein postfreudianischer Regisseur, der weiß was er tut. Daß er dies immer wieder, in immer neuen – manchmal hinreißend komischen, manchmal melodramatischen – plots tut, ist dabei nicht nur einem persönlichen Wiederholungszwang geschuldet, sondern Teil einer Rekonstitution der Geschlechterverhältnisse im postfranquistischen Spanien. Almodóvar – der ostentativ jeder politischen Botschaft entsagt – ist nirgendwo so politisch wie in ¿Qué he hecho yo para merecer esto! (1984), wo er die häusliche und sexuelle Misere einer geplagten Hausfrau vermittels Zarah Leanders Schlager »Nur nicht aus Liebe weinen« direkt an das verdrängte Legat des Franquismus zurückbindet. Gender ist hier – wie bei seinem großen Vorgänger, dem spanischen Barockdramatiker Tirsode Molina – immer auch politisch. Daß es dabei trotz allem – wenngleich vielleicht nicht für jeden – recht lustig zugeht, muß kein Schaden sein.

 

In unserem Seminar wollen wir uns dem formal sehr vielfältigen Werk Almodóvars in genauen Analysen nähern. Gegenstand werden die bereits erwähnten Filme Laberinto de pasiones (1982), ¿Qué he hecho yo para merecer esto! (1984) sowie Almodóvars kommerzieller Durchbruch Mujeres al borde de un ataque de nervios (1988) und der mit dem Oscar preisgekrönte Film Todo sobre mi madre (2001) sein. Die Filme lassen sich etwa bei dem englischen Internetanbieter play.com ohne Portozahlung beziehen. Ein Interesse an Fragestellungen der Gender-Studies wird vorausgesetzt.

 

 

Wintersemester 08/09 - Kolloquium

 

Theorie und Methodik der Filmanalyse


Wie jedes Semester bietet das literaturwissenschaftliche Kolloquium Magister- und Staatsexamenskandidaten die Möglichkeit, ihre Projekte vorzustellen und zu diskutieren. Neben den laufenden Arbeiten, wollen wir uns dieses Semester darüber hinaus mit Fragen der Filmtheorie und Filmanalyse beschäftigen. Studenten der beiden Hauptseminare zu Melville und Almodóvar können hier ihre methodischen Kenntnisse vertiefen und ihre hermeneutischen Fertigkeiten verbessern.

 

 

 

Wintersemester 08/09 - Sichttermin (Fr. / Sp.)

 

 

Filmanalyse

 

Fakultative Begleitung zu den Filmseminaren (3 WS)

 

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