Logo Johannes Gutenberg-Universität Mainz

Johannes Gutenberg-Universität Mainz



Weiterführende Links Medienresonanz

Aktuell DRS4-Interview mit Univ.-Prof. Dr. Carola Lentz (31.07.2010)
Abspielen
Pause
0:00

Download

© DRS4News

Aktuell SWR2-Interview mit Univ.-Prof. Dr. Thomas Bierschenk zur Internationalen Konferenz "Kontinuitäten und Brüche: 50 Jahre Unabhängigkeit in Afrika" (07.04.2010)
Abspielen
Pause
0:00

Download

© SWR2


Weiterführende Links Weiterführende Links


Kontakt Kontakt
Univ.-Prof. Dr. Carola Lentz
Institut für Ethnologie und Afrikastudien
Johannes Gutenberg-Universität
D 55099 Mainz
Tel +49 6131 39-22798
Fax +49 6131 39-23730
E-Mail
Homepage

"Afrika@50" - Ein Rückblick auf den Feier- und Erinnerungsmarathon des Jahres 2010

Abschlussbericht
Prof. Dr. Carola Lentz

 

Mit dem glanzvoll inszenierten Unabhängigkeitsjubiläum in Burkina Faso Mitte Dezember letzten Jahres ging das "afrikanische Jahr" zu Ende, in dem 17 Länder Afrikas den 50. Jahrestag der Erlangung ihrer Unabhängigkeit feierten. Längst stehen andere politische Ereignisse im Mittelpunkt der medialen Aufmerksamkeit: die Krise und de facto-Spaltung der Elfenbeinküste, deren einstiger Präsident sich vehement weigert, seine Abwahl anzuerkennen, und die bevorstehende "Geburt" eines neuen Staats im Südsudan, wenn denn das Referendum wie erwartet ausgeht. Doch auch im Sudan und in der Elfenbeinküste geht es, wie bei den Unabhängigkeitsfeiern, nicht nur um die nackte politische Macht, sondern ebenso um das Thema Nation. Die "Nation" ist nach wie vor die vorgestellte Gemeinschaft, denen sich afrikanische Regierungen gegenüber rechenschaftspflichtig sehen (oder sehen sollten, wie kritische Medien insistieren), und der Rahmen, in dem über Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft debattiert wurde und wird.

Plakat in Benin, Foto: Marie-Christin Gabriel

Der Feiermarathon des Jahres 2010 bot - kaum überraschend - in erster Linie eine Bühne für die Selbstinszenierung der jeweils amtierenden Regierungen und in einigen Fällen dienten die Jubiläen mehr oder weniger offen dem Wahlkampf. Aber sie boten auch Raum für kritische Bestandsaufnahmen jenseits parteipolitischer Spaltungen. In zahlreichen Konferenzen und Ausstellungen, in den Medien ebenso wie in Gesprächen unter Nachbarn, in Kneipen und lokalen Vereinstreffen wurde über die Geschichte der mit 50 Jahren noch immer relativ jungen Nationalstaaten, über gegenwärtige Herausforderungen und über Zukunftsträume debattiert. Die Jubiläen waren verdichtete Momente der nationalen Selbstvergewisserung - nicht unbedingt im gemeinsamen Stolz auf das Erreichte, aber doch in Erinnerung an gemeinsam Erduldetes und in oft scharfer Selbstkritik der frustrierenden Unzulänglichkeiten.

'Erzähl mir von der Unabhägigkeit' - Ausstellungspavillon in Benin, Foto: Marie-Christin Gabriel

Im März 2007 hatte Ghana den Auftakt zu den nationalen Jubiläen farbenfroh zelebriert und sich unter dem Motto "Championing African excellence" als historischer Pionier der Unabhängigkeit im subsaharischen Afrika und als Musterland der Demokratisierung seit 1990 präsentiert. Auf Ghana folgte 2008 Guineas Unabhängigkeitsjubiläum, das allerdings von politischen Krisen so überschattet war, dass jenseits der obligatorischen Militär- und Zivilparade in der Hauptstadt kaum gefeiert wurde und die Medien, soweit toleriert, eine sehr kritische Bilanz zogen.

Auch bei einigen der Jubilare von 2010 waren der Patriotismus nicht so parteiübergreifend und die Feiern nicht so populär wie in Ghana. In Gabun etwa sollten Kulturdarbietungen, große Rockkonzerte und kostenlose Cocktailparties in allen Stadtteilen der Hauptstadt das Unabhängigkeitsjubiläum zu einem volksnahen Fest machen und Ali Bongo, den Sohn des Jahrzehnte regierenden und 2009 verstorbenen Präsidenten Omar Bongo, als neuen populären Regierungschef in Szene setzen. Es wollte sich jedoch keine rechte Festtagsstimmung einstellen. V.a. an den enormen Kosten der Jubiläumsfeiern wurde massiv Kritik geübt - nachvollziehbar, wenn man bedenkt, dass trotz des Ölreichtums die Armut im Land eklatant ist.

In Kamerun hingegen schienen die Feiern von vornherein in erster Linie für Angehörige und Gäste der Regierung bestimmt. Die Bevölkerung ist offenbar daran gewöhnt - nach dem Motto: "Lässt der Präsident uns in Ruhe, lassen wir ihn auch in Ruhe" - und in Feierlaune waren v.a. Anhänger der Regierungspartei, denen das Cinquantenaire als Startschuss des Wahlkampfes galt.

Auch in Nigeria standen die unter dem Motto "Celebrating greatness" organisierten Unabhängigkeitsfeierlichkeiten letztlich ganz im Zeichen des Vorwahlkampfs. Sie wurden von einem Bombenattentat überschattet, mit dem die Sezessionsbewegung im Nigerdelta, die gegen Umweltschäden und Marginalisierung in der ölproduzierenden Küstenregion protestiert, ihren Forderungen Nachdruck verleihen wollte.

In der Demokratischen Republik Kongo zeigte der jähe Abbruch der Zivilparade und der anschließende unkontrollierbare Sturm der Zuschauer auf die Tribüne, um Plastikstühle, Wasserflaschen und Stoffbahnen zu ergattern, wie sehr das Land von Verteilungskämpfen und Armut beherrscht wird.

In der Côte d’Ivoire, einem nach dem Bürgerkrieg immer noch und nun nach der Wahl vom November erneut zerrissenen Land, versuchte Präsident Laurent Gbagbo, bei den Feiern v.a. die Erfolge seiner 10-jährigen Regierungszeit ins rechte Licht zu rücken und das Volk auf sich einzuschwören, nicht zuletzt durch seine lautstarke Opposition gegen die ehemalige Kolonialmacht Frankreich. Statt zur traditionellen Militärparade lud Gbagbo zu einer internationalen Konferenz ein, die über die notwendige afrikanische "Renaissance" jenseits europäischen Neokolonialismus und die "Neugründung" der Elfenbeinküste - natürlich unter seiner Führung - nachdenken sollte.

Länder wie Benin und Mali dagegen, die schon seit einigen Jahren für ihre relativ stabilen Demokratien gelobt werden, hielten selbstbewusster Rückschau auch auf Vorgängerregierungen und konnten sich größerer populärer Zustimmung zu den Jubiläumsfeiern gewiss sein. Ähnlich in Burkina Faso, das zwar kaum als Musterland der Demokratie gelten kann, in dem aber der amtierende Präsident Compaoré noch vor dem Höhepunkt der Feiern wiedergewählt wurde, weshalb er das Jubiläum gelassen unter das Motto des Aufbruchs zu neuen Fortschritten in Richtung Schwellenland ("un Burkina émergent") stellen konnte. Hier waren v.a. die Mobilisierung zahlreicher Vereine und Basisorganisationen sowie die bunte Selbstinszenierung als multikulturelle Nation beeindruckend.

In Madagaskar wiederum wird der Unabhängigkeitstag seit Jahren als populäres Volks- und Familienfest so regelmäßig gefeiert, dass selbst die andauernde Regierungskrise dem Jubiläum kaum Abbruch tat und der amtierende Präsident sich auf die Rolle des Schirmherrn einer Megaparty beschränken konnte. Gefeiert wurde im Namen von "Patriotismus und nationalem Stolz", nicht im Auftrag einer Regierung. Doch obwohl die Medien die politische Zurückhaltung des Präsidenten lobten und das Volk Rockkonzerte, Feuerwerk und Festessen durchaus goutierte, war die Kritik an der Regierung und halbherzigen Lösungsversuchen der Krise nur zeitweise suspendiert, um nach dem Fest um so heftiger zu entbrennen.

Gefeiert wurde in den verschiedenen Ländern also durchaus unterschiedlich, mehr oder weniger glanzvoll, parteipolitisch polarisiert oder übergreifend patriotisch, elitärer oder volksnäher, geschichtsversessener oder zukunftsorientierter. Und selbst in strapazierfähigen Demokratien wurde kritisch diskutiert, ob man überhaupt Grund zum Feiern habe und ob das Geld nicht besser für Schulen, Krankenhäuser sowie Straßen hätte ausgegeben werden sollen. Die Kontroversen, die sich um die Feiern als solche und um ihre Organisation, um Finanzierung und Rechnungslegung, Programmgestaltung und Protokoll, Diskurse, Bilder und Aufführungen bildeten, waren ein Spiegel dominanter gesellschaftlicher und politischer Konfliktlinien. Hier wurden konkurrierende politische Projekte, soziale Differenzen zwischen den Generationen, Klassen und Geschlechtern sowie regionale, ethnische und religiöse Diversität sichtbar.

'Dass die Vergangenheit uns dazu helfen möge, die Gegenwart zu bauen, für eine prosperierende Zukunft' - Banner beim Fest der Kulturen in Gabun, Foto: Christine Fricke

Allerorts versuchten sowohl offizielle Erinnerungspolitiker als auch oppositionelle oder marginalisierte Gruppen, die Gunst der Stunde der Jubiläumsfeiern zu nutzen, um die nationale Ahnengalerie in ihrem Sinne zu erweitern. Das Jubiläum bot durchaus auch eine Arena, nicht nur um staatstragende Nationalgeschichte zu schreiben, sondern auch um Widerspruch gegen die Regierungspolitik und alternative Anliegen wenigstens abseits der offiziellen Zeremonien zu Gehör und Gesicht zu bringen und der Vergessenheit zu entreißen. Nirgends gelang es den Regierungen, die Erinnerungen und damit verbundene Kritik an der Gegenwart und alternative Zukunftsvisionen ganz in ihrem Sinne zu kontrollieren.

In jedem Fall war und ist der Gedenktag ein symbolisch wichtiges Datum. Ob die Feierlichkeiten nun tatsächlich, wie meist intendiert, die nationale Einheit gefördert oder eher die Trennlinien und großen Debatten vor Augen geführt und vielleicht sogar noch vertieft haben, ist eine offene, eine empirische Frage. Generell müssen nationale Gedenktage nicht per se die Einheit fördern. Doch schaffen sie einen Raum der Debatte, stiften gemeinsame Themen und ermöglichen insofern Kommunikationsgemeinschaft - die Basis von Nationenbildung, wie Karl Deutsch und Benedict Anderson gezeigt haben.

Der Unabhängigkeitstag, der an die "Geburt" der Nation erinnert, ist ein besonders robuster "lieu de mémoire" (Pierre Nora), ein "Erinnerungsort" (eine Metapher, die Nora nicht nur auf Räume, sondern auch Zeitabschnitte und Gedenktage bezieht), gerade weil er Raum für gegensätzliche Erinnerungen und Zukunftskonzepte bietet und dadurch Einheit stiftet. Für Nora standen konsensuelle Erinnerungen, von den meisten als wichtig empfundene Orte und dadurch geförderte patriotische Loyalitäten im Mittelpunkt. Doch die jüngere Erinnerungsforschung hat den Begriff ausgeweitet und Erinnerungsorte auch dort ausgemacht, wo kontroverse Erinnerungen miteinander konkurrieren. In diesem Sinne sind die Unabhängigkeitsjubiläen "Erinnerungsorte", die ein Maximum von Bedeutungen in einem Minimum an "Zeichen" konzentrieren. Der Feiermarathon von 2010 zeigt dabei auch, dass die afrikanischen Länder ganz normale Nationen sind, die ebenso viel Patriotismus und Engagement wie Politikmüdigkeit, Kritik und Zweifel an der Einheit der Nation kennen wie die europäischen Nationalstaaten.

Mit dem Jahr 2010 gehen nun auch unsere online Vor-Ort-Berichte des Afrika-Spezials zu den Unabhängikeitsfeiern zu Ende. Die neun Magistranden und Magistrandinnen und fünf Doktorandinnen sind - bis auf Christine Fricke in Gabun - inzwischen alle nach Mainz zurückgekehrt. Wir sichten nun unser vielfältiges Material und stellen die Ergebnisse in kleineren Ausstellungen und auf dem Mainzer Wissenschaftsmarkt 2011 vor sowie auf Tagungen und im Institutskolloquium zur Diskussion.

Wir freuen uns nach wie vor über Rückfragen, Kritik und Kommentare. Teilen Sie uns Ihre eigenen Eindrücke von den Feiern mit, Ihre Ideen zum Thema "Nation" in Afrika, besuchen Sie uns persönlich im Institut oder virtuell auf der Institutswebseite. Wir danken für das Interesse, das Sie unseren Berichten und den Afrika@50-Feiern im letzten halben Jahr entgegengebracht haben.

 

Im Namen der Lehrforschungs- und der Doktorandengruppe

Prof. Dr. Carola Lentz

 
Johannes Gutenberg-Universität Mainz, 19.01.2011
  Zum SeitenanfangZum Seitenanfang
Zum Inhalt der Seite springen Zur Navigation der Seite springen