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Madagaskar

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 Unabhängigkeitstag  26. Juni 1960 (von Frankreich)
 Fläche  587.041 km²
 Bevölkerungszahl  20.653.556
 Amtssprache/n  Malagasy, Französisch, Englisch
 Hauptstadt  Antananarivo
 Staatsform  Republik

 

AKTUELL: Vor-Ort-Bericht vom 25. Oktober 2010
Mareike Späth
Begibt sich der Ethnologe auf die Suche nach dem, was die madagassische Nation eint, was alle Madagassen miteinander verbindet, stößt er immer wieder auf die Ahnen. Alle Gruppen Madagaskars glauben auf die eine oder andere Weise, dass die verstorbenen Vorfahren das Leben der Madagassen beeinflussen können. Daher bedarf es aufwendiger Rituale, um sich das Wohlwollen der Ahnen zu sichern.
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Hintergrundbericht vom 17. November 2010

Die große Insel im Indischen Ozean reiht sich in das Defilée der Jubiläen von 50 Jahren Unabhängigkeit von Frankreich ein, obwohl sie viel mehr als nur das Meer vom afrikanischen Kontinent trennt. Die Besiedlung Madagaskars erfolgte in mehreren Einwanderungswellen aus Anrainerstaaten des Indischen Ozeans, aus denen sich im Lauf der Jahrhunderte eine madagassische Bevölkerung mit einer gemeinsamen Sprache formte. Seit Ende des 18. Jahrhunderts gelang es der Herrscherdynastie der Merina, große Teile der Insel politisch zu zentralisieren und damit den Grundstein für eine gemeinsame Geschichte Madagaskars zu legen. In Madagaskar wird daher auch dieses Jahr das 50. Jubiläum der Wiedererlangung der Unabhängigkeit gefeiert und so betont, dass Madagaskar schon vor der Eroberung durch die französischen Kolonialherren ein souveräner Staat mit internationalen Beziehungen war.

Die Kolonialzeit verlief, nach der gewaltsamen Übernahme des Landes durch Frankreich, weitgehend unblutig. 1947 kam es jedoch zu einem Aufstand gegen die Kolonialherren, der brutal niedergeschlagen wurde. Die Umstände dieses Ereignisses, das als nationaler Gedenktag einen zentralen Platz in der Konstruktion madagassischer Geschichte einnimmt, sind bis heute umstritten. Sicher ist, dass in dessen Nachklang die Frankreich wohlgesonnenen Gruppierungen Ende der 1950er Jahre die Oberhand gewannen und die Unabhängigkeit im Jahr 1960 letztlich auf diplomatischem Weg herbeigeführt wurde. Seitdem haben sich die verschiedenen Regierungen bemüht, die durch ethnische Gruppen, soziale Hierarchie und Regionalismus gespaltene Nation zu einen. In der Tat haben die Madagassen ein ausgeprägtes Nationalbewusstsein entwickelt, nicht zuletzt durch die zeitweise starke Abgrenzung gegen Frankreich.

Seit Beginn des Jahres 2009 befindet sich Madagaskar in einer Regierungskrise. Unterstützt durch das Militär konnte der junge Bürgermeister der Hauptstadt Antananarivo Andry Rajoelina den amtierenden Präsidenten Marc Ravalomanana stürzen und die Regierungsgeschäfte an sich reißen. Seine Präsidentschaft ist jedoch bis heute international nicht anerkannt. Diese andauernde Krise führt zu einer Verschlechterung in allen Lebensbereichen: Die Wirtschaft stagniert, internationale Hilfen sind eingefroren, und die Bevölkerung beklagt eine Zunahme von Not und Kriminalität. Auch der Rückhalt des zuerst so gefeierten Rajoelina bröckelt.

International moderierte Verhandlungen konnten die Machtgerangel nicht schlichten. Daher wird gegenwärtig versucht, die festgefahrene politische Situation intern auf dem Verhandlungsweg zu lösen. Initiativen, die vier großen politischen Bewegungen des Präsidenten der Übergangsregierung Andry Rajoelina und der ehemaligen Präsidenten Marc Ravalomanana, Zafy Albert und Didier Ratsiraka sowie die über 100 politischen Parteien zusammenbringen, um gemeinsam eine Lösung für die Zukunft des Landes zu finden, sind gescheitert. In einer umstrittenen nationalen Konferenz wurde über eine neue Verfassung für die IV. Republik beraten.

Der Übergangsregierung um Rajoelina wird vorgeworfen, die Transition nicht wie gefordert unparteiisch zu lenken, sondern im Interesse des eigenen Machterhalts zu beeinflussen. Die Oppositionsparteien wehren aus genau diesem Grund alle Verhandlungsinitiativen der Übergangsregierung ab. Statt eines integrativen Dialoges erfährt Madagaskar in den letzten Wochen daher eine Verschärfung der politischen Krise im Vorfeld des Referendums, in dem die Bevölkerung über die neue Verfassung abstimmen soll. Während die Übergangsregierung in einer landesweiten Kampagne massiv für ein "Ja" zur Verfassung wirbt, ist das Gegenlager gespalten. Die "Nein"-Kampagne kämpft mit schwacher Stimme; andere rufen dazu auf, die Wahl zu boykottieren, um damit die Ablehnung des gesamten Prozesses zu bekunden. Versammlungen der Opposition wurden in den letzten Tagen immer wieder erschwert, und es kam zu Auseinandersetzungen mit den Sicherheitskräften in der Hauptstadt. Dabei wurden Oppositionsführer verhaftet, und die Presse berichtet über die ersten Unregelmäßigkeiten bei der Vorbereitung der Wahl.

Außerdem bekunden verschiedene Berufsgruppen ihren Unmut über die gegenwärtige Situation. Streiks in der Justiz und im Gesundheitswesen sowie eine Schließung der Universitäten legen immer wieder Teile des öffentlichen Lebens lahm. Die meisten Madagassen zeigen sich resigniert ob der politischen Verhältnisse, und die Atmosphäre in der Hauptstadt ist angespannt. Gleichgültig, welches Ergebnis das Referendum bringen mag, das ersehnte Ende der Krise wird es voraussichtlich nicht bedeuten.

 

Die Unabhängigkeitsfeiern

Die Regierungskrise warf ihren langen Schatten auch auf die Unabhängigkeitsfeiern. Man fragte sich, wie ein Staat ohne legitimiertes Oberhaupt überhaupt einen solchen Feiertag begehen soll. Rajoelina hat während der Feiertage die Position des Staatoberhauptes eingenommen, sich aber zur allgemeinen Zufriedenheit recht zurückhaltend gezeigt. Von allen Seiten wurde betont, dass das Fest im Namen von "Patriotisme et fierté national" begangen werden soll, nicht im Auftrag jedweder Regierung. In der Presse wurde dazu aufgerufen, den Tag der Unabhängigkeit als solidarische Nation im Namen kultureller Einheit und einer gemeinsamen Identität feierlich zu begehen. Ein Fest für das Volk, die Nation, oder bestenfalls für das Militär, das als konstituierendes Element eines souveränen Staates dieses Jahr auch sein 50. Jubiläum begeht.

Die offiziellen Feiern in der Hauptstadt wurden recht kurzfristig geplant. Am 24. Mai 2010 erst hatte Rajoelina eine neue Regierung einberufen. Diverse Minister derselben nahmen unter der Leitung des Präsidialbüros selbst umgehend die Planung auf; alle Arbeiten des seit Anfang des Jahres tätigen Vorgängerkomitees wurden verworfen. In Windelseile wurde ein großes Fest geplant, in wenigen Tagen die Stadt renoviert und ein Denkmal gebaut. Erst zwei Wochen vor den Feiern wurde das Programm des Jubiläums lanciert sowie Logo und Hymne für das Cinquantenaire vorgestellt.

Zum traditionellen Defilee des Militärs am Feiertag selbst blieben die befürchteten Demonstrationen aus. Die oppositionellen Gruppierungen blieben den Veranstaltungen fern und versammelten sich andernorts zu politischen Gegenveranstaltungen. Sie blieben in Ausmaß und Auswirkung hinter den Befürchtungen zurück und die öffentliche Sicherheit war zu jedem Zeitpunkt gewährleistet.

Die meisten internationalen Vertreter vermieden es, durch eine Präsenz bei den Feierlichkeiten der Regierung Rajoelinas ihren Segen auszusprechen. Nur wenige Diplomaten fanden den Weg ins Stadion. Neben den Botschaftern der Türkei, Pakistans und Senegals sorgte vor allem die Anwesenheit des französischen Botschafters und französischer Militärs für Aufsehen.

Die Festwoche selbst bestand insbesondere aus musikalischen Darbietungen madagassischer und internationaler Künstler, einem Volksfest für Familien und Kinder und allerlei Zerstreuung für das Volk. Das Jubiläum war also trotz aller politischen Differenzen auch ein Moment der Gemeinschaft, da sich zumindest zum traditionellen Lampionumzug mit anschließendem Feuerwerk am Vorabend des Unabhängigkeitstages Groß und Klein in allen Regionen des Landes versammelte.

Über das ganze Jahr hinweg gibt es darüber hinaus zahlreiche Ausstellungen, Konferenzen und Debatten rund um das Cinquantenaire, die kritisch über die vergangenen 50 Jahre nachdenken, die gegenwärtige Situation reflektieren und versuchen, einen besseren Weg für die kommenden 50 Jahre aufzuzeigen.

 
Johannes Gutenberg-Universität Mainz, 17.11.2010
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