Die Woche vor dem Unabhängigkeitsfest - dem größten Event dieses Jahres hier in Madagaskar - beginnt. Es soll eine Woche der Freude, Glückseligkeit und kostenloser Partys sein. So verspricht es zumindest der Fernseher, vor dem die Kinder des Projekts der "Freunde Madagaskars" und ich neidvoll sitzen. Dumm ist nur: Die Party steigt in Antananarivo, wir sind in Belo sur Tsiribihina.
Zwischen uns und Big Ali, Rossy und wie die Künstler alle heißen, die da beworben werden, liegen zwei Tagesreisen. Der Fernseher verspricht uns Feuerwerk, Wasserfontänen, Musik und Theater. "Alles umsonst, ihr müsst nur herkommen, feierlustige Bürger", ruft es aus dem Gerät. Aber die Vorstellung ist absurd hier in Belo, einem Ort, den Touristen "ooh" und "aah", seine Einwohner "langweiliges Kaff" nennen. Besucher kommen hauptsächlich, um sich an der Ruhe und Abgeschiedenheit zu erfreuen und sich in Pirogen durch das Tsiribihina-Delta zu den letzten Mangrovenwäldern des Landes schippern zu lassen. Die meisten Menschen, die hier leben, wollen entweder weg oder sind stolz auf ihre heldenhafte Willenskraft, es in dieser Ödnis auszuhalten.
Trotzdem: Im Vergleich zu vielen Dörfern, an denen ich unterwegs vorbeikam oder die man irgendwo am Ende meilenweiter Trampelpfade vermuten konnte, ist Belo eine pulsierende Großstadt. Und trotzdem fühlt man sich hier irgendwie ... ausgeschlossen. Politik ist eben Politik, der amtierende Präsident hat ein hübscheres Gesicht als der letzte, aber besser ist er auch nicht. Es gibt eine Krise, davon hat man gehört, das ist wichtig, aber es gibt immer eine Krise. Es wurde angeordnet, dass am Unabhängigkeitstag zu marschieren und eine neue Hymne zu singen sei, deshalb wird das eben geübt. Das sagen mir die meisten Menschen, mit denen ich spreche.
Momentan bin ich untergebracht im Projekt der "Freunde Madagaskars e.V.", einem Verein aus Deutschland, der sich für die Bildung von Kindern und Jugendlichen in Belo einsetzt. Sinn der Reise ist, die Vorbereitungen für den Unabhängigkeitstag fernab der Hauptstadt zu beobachten und eine Kamera für die Dokumentation des 26. Juni dazulassen. Mein Ansprechpartner ist Adolphe, studierter Mikrobiologe, Lehrer und hauptberuflicher Leiter des Projekts in Belo. "Hier unten", sagt Adolphe, "ist den Leuten die Unabhängigkeit egal, Hauptsache es gibt einen Grund zum Feiern. Auch diejenigen, die sich normalerweise nichts leisten können, kaufen Unmengen an Rum und Zebufleisch und essen und trinken, bis ihnen schlecht ist. Das ist der 26. Juni. Was die Politik angeht, haben wir resigniert. Wirklich mit dem Herzen dabei sind die Menschen eben nur bei den christlichen Feiertagen."
In dieser Woche gibt es in Belo eine Unabhängigkeits-Kirmes. Das bedeutet: Musik, Alkohol und Glücksspiel (auch für die Kinder), außerdem viele Essens- und Kleiderstände, um sich mit allem Nötigen für den Feiertag einzudecken. Die Kinder des Projekts üben in der Schule das Marschieren für die große Parade, die auch hier stattfinden soll. An vielen Häusern hängt die Nationalflagge, offizielle Gebäude sind besonders auffällig geschmückt. Im Fernsehen läuft in jeder Werbeunterbrechung die neue Unabhängigkeitshymne als Karaoke-Version, damit das Volk üben kann. Meistens singt eines der Kinder der Faszination halber mit. Gegen die aktuellen Fußballhymnen hat das neue Lied der Nation auf der Beliebtheitsskala jedoch nicht den Hauch einer Chance.