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Von Popmusik und Partyhütchen im madagassischen Jubeljahr - Pfingstmontag in Antananarivo

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Eintrag vom 28. Mai 2010
Céline Molter und Mareike Späth

 

Die erste Bilanz nach drei Wochen im Land der Lemuren: Unser Madagassisch reicht inzwischen, um zur richtigen Zeit am richtigen Ort aus dem Bus gelassen zu werden. Außerdem sind die Marktfrauen so sehr von uns erheitert, dass sie uns eines Tages zum Kilo Tomaten als "kleines Geschenk" eines ihrer Kinder in die Tüte packen wollten. Immerhin. Olombelo Ricky, der - wie es scheint - Lieblingssänger der Nation, hat uns unter seine Fittiche genommen, "Mama" Baovola vom Goethe-Institut sorgt als Vermieterin für unsere Sicherheit und unser Wohlbefinden, Mareike hat das Anthropologische Institut der Uni für unser Projekt gewinnen können und dem Gefühl nach kennt inzwischen halb Antananarivo die zwei "Vazaha", die Fremden, die ständig nach den Unabhängigkeitsfeiern fragen. So weit, so gut.

Pfingstmontag in Madagaskar (Foto: Mareike Späth und Céline Molter)Eine besondere Tür für unsere Forschung hat sich unerwarteter Weise am Pfingstmontag geöffnet und dies ist die Geschichte dazu. Sie beginnt damit, dass unser eigentlich geplanter Ausflug zum heiligen Palast von Ambohimanga am Vorabend kurzfristig von unseren madagassischen Freundinnen aus Angst vor zu viel Verkehr am Feiertag abgesagt wurde. Stattdessen sollten wir uns ein Musikfestival mit der Boygroup Oladad ansehen! Die Begeisterung war selbstverständlich groß, schließlich versprach man uns die Aussicht auf begabte und schöne junge Männer.

Darüber hinaus hatten wir auch ein fundiertes wissenschaftliches Interesse an dieser Unternehmung, bot sie uns doch die Gelegenheit, uns in die madagassische Feiertagskultur einzufinden. Allem Anschein nach werden Feiertage besonders gern für Ausflüge mit der ganzen Familie genutzt. Letzteres kommentierte eine unserer Begleiterinnen etwa so: "In Madagaskar spart man lieber für einen schönen Ausflug an einem Feiertag als für die Zukunft seiner Kinder!".

Diesen Gedanken im Hinterkopf geht es los mit dem Taxi-Bus durch die Stadt. Die großen Geschäfte haben alle geschlossen, aber die vielen kleinen Händler in den Holzbuden und auf der Straße können sich den freien Tag nicht leisten und betreiben "business as usual". Auffällig: Viele Straßenverkäufer haben heute glitzernde Partyhütchen und Tröten imPfingstmontag in Madagaskar (Foto: Mareike Späth und Céline Molter) Sortiment. Zuerst milde erstaunt ob des Anblicks dieses Zierrats außerhalb von Fastnacht und Silvester lassen wir uns schnell anstecken und tröten begeistert auf Pfingstmontag. Das Konzert findet unter freiem Himmel in einem Park statt, direkt neben einem hübsch anmutenden See. Einen kleinen Haken hat die Sache allerdings: Entstanden ist dieser See aus einem Sumpf, in den man die Abwässer der Stadt leitete. Am Horizont ist ein Boot zu erkennen. Vielleicht sind es todesmutige Fischer, vielleicht ein verliebtes Pärchen - wir wissen es nicht.

Der Park ist voller picknickender Menschen: Alte, Junge, hunderte Familien und eine Gruppe Senioren mit Erkennungsschildern um den Hals und einem Reiseleiter mit Megafon. Dazwischen überall Verkäufer mit Erdnüssen, Zigaretten und Keksen. Wir erregen offensichtlich besondere Aufmerksamkeit, sind uns aber bis zum Ende nicht sicher, ob es an unserem leckeren Kartoffelsalat oder an den Partyhütchen liegt. Die werden unseren Beobachtungen zufolge ansonsten nur von Kindern getragen. Außerdem sind Papphüte mit Aufschrift der individuellen Lieblingsband und maskenhafte Huldigungen an Zorro, Batman oder Spiderman vertreten.

Pfingstmontag in Madagaskar (Foto: Mareike Späth und Céline Molter)Auf dem Konzertgelände selbst beginnt die Party gegen 11:30 Uhr. Fünf Bands werden auftreten, Oladad als Höhepunkt zum Schluss. Da bleibt genug Zeit für ein zweites Picknick, beschallt von madagassischer Popmusik. Die Begeisterten unter den Zuhörern tanzen schon am Vormittag und jubeln ihren Stars zu, der große Rest sitzt faul im Gras. Überall toben immer schmutziger werdende Kinder. Gelegentlich gehen einige von ihnen verloren und werden von der Bühne aus an ihre Eltern zurückversteigert.

Unsere teilnehmende Beobachtung endet kurz vor dem Konsum des beliebten "Three Horses"-Biers, dem die meisten Konzertbesucher trotz knallender Sonne eifrig zusprechen. Besser so – finden wir schadenfroh, als sich die ersten Alkoholleichen auf der Wiese wälzen. "Three Horses" hat übrigens Anfang des Jahres selbst sein 50-jähriges Bestehen gefeiert. Diese Jahr ist, so hat es den Anschein, das Jahr der Jubiläen. Das Mineralwasser wird 40, diverse Künstler zelebrieren ihr Bühnenjubiläum und die einzelnen Gemeinden des Landes feiern ihre eigene Gründungsparty. Ein wahres Jubeljahr.

Auf der Bühne beeindruckt eine Popsängerin namens Malala das Publikum, indem sie jedes Lied in einem neuen Kleid vorträgt. Vor und zwischen den Konzerten fordert ein Animateur des Veranstalters und Sponsors "Moofball" Freiwillige aus dem Publikum zu Tanzwettbewerben auf der Bühne auf. Die Sieger erhalten "Moofballs", zu deutsch Milchbrötchen. Auch Geburtstagskinder werden mit "Moofballs" geehrt. Vor uns tanzt ein kleiner Junge mit Jeansjacke leidenschaftlich und ununterbrochen seit etwa zwei Stunden einen - wie unsere Begleiterinnen erklären - traditionellen Siegestanz, den man sonst eigentlich nach dem geglückten Diebstahl eines Rindes aufführt.

Pfingstmontag in Madagaskar (Foto: Mareike Späth und Céline Molter)Einige Stunden später ist der Alkoholpegel stark gestiegen, der kleine Junge tanzt immer noch und Spannung liegt in der Luft. Der Auftritt von "Oladad" steht bevor. Das Publikum wird noch einmal animiert, tosender Applaus, fünf gut frisierte junge Männer stürmen die Bühne und zack: Stromausfall. Lange Gesichter auf beiden Seiten. Nach einigen Minuten der Peinlichkeit löst der erste Klang der E-Gitarre die aufkommende Enttäuschung, die Party beginnt. Dumm nur, dass in der Zwischenzeit die Sonne untergegangen ist und die Verliebten unter den Fans ins Dunkle schmachten müssen, denn Scheinwerfer gibt es nicht.

Wir machen uns gegen 19:00 Uhr, kurz vor Schluss der Veranstaltung, auf den Heimweg, wohl wissend, dass die Stadt zu Rush-Hour-Zeiten im totalen Chaos versinkt. Ausflüge müssen gut geplant sein, sonst besteht die Gefahr, einfach nicht mehr nach Hause zu kommen. Dies führt in Kombination mit der Ausgehwarnung nach Einbruch der Dunkelheit zu ernsthaften Schwierigkeiten. Heute, am Feiertag, scheint ganz Antananarivo auf den Beinen zu sein. Menschenmassen pilgern auf beiden Seiten am Straßenrand entlang, vollgestopfte Busse rasen hupend vorbei, viele Leute sitzen neben ihren Autos auf den Leitplanken, schaukeln Babys im Arm und hören Musik aus dem Ghettoblaster. Es dauert lange, bis wir einen willigen Taxifahrer finden, der uns nach Hause bringt.

Inwiefern sich der Unabhängigkeitstag als politischer Gedenktag von einem christlichen Feiertag wie diesem unterscheiden wird, ist eine spannende Frage. Die jüngeren politischen Entwicklungen in Madagaskar bieten jedenfalls nicht viel Grund zum Feiern und werden von den meisten Befragten resigniert in den Hintergrund gestellt. Der 26. Juni wird ein Tag der Familie, ein Tag der Kinder sein. Geplant ist, wie immer, ein Lampionumzug, es wird gemeinsam gekocht und es werden Ausflüge zu Paraden oder Konzerten unternommen. Stolz auf die Unabhängigkeit scheinen nur diejenigen zu sein, die sich eine solche selbst geschaffen haben: ihre individuelle Unabhängigkeit von einer unberechenbaren Regierung. Aber das ist eine andere Geschichte.

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Johannes Gutenberg-Universität Mainz, 07.11.2010
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