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Flagge von Madagaskar

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Die Ökonomie des Festes - Teil II: Nationalflaggen in Heimarbeit

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Eintrag vom 22. Juni 2010
Mareike Späth

 

Seit Anfang Juni bereitet sich Antananarivo eifrig auf den bevorstehenden Nationalfeiertag vor. An allen Ecken und Enden werkeln fleißige Hände, damit sich die Hauptstadt an ihrem großen Jubeltag von ihrer besten Seiten zeigen und sich die Nation in ihrem Glanze sonnen kann. Überall in der Stadt werden die Straßen repariert, Zäune weiß gestrichen, Grünanlagen bepflanzt und verschönert und alle Mängel im Antlitz der Stadt beseitigt. Sogar die Stämme der Bäume der Stadt werden weiß angestrichen, um sie dem Auge gefälliger zu machen. Angeblich soll so auch vermieden werden, dass Betrunkene versehentlich dagegen laufen. Auf dem Platz der Demokratie, dem großen Spielplatz für die Kinder der Nation, werden die Karussells bunt angemalt. Alle Regierungsgebäude sind inzwischen üppig mit Flaggen und Bannern in den Nationalfarben dekoriert und bald baumelt wirklich an jedem Taxi der Hauptstadt ein Wimpel mit der Aufschrift "Anniversaire 50" am Rückspiegel.

ANTANANARIVO über dem Stadion der Stadt, davor das neue Denkmal im Bau. Auf dem Berg der ehemalige Königinnenpalast (Foto: Mareike Späth und Céline Molter)Vor dem großen Stadion der Stadt wird, durch Plastikplanen vor neugierigen Blicken geschützt, ein Denkmal zur Erinnerung an das Jubiläum errichtet. Hoch über den Dächern der Metropole leuchtet nun auch wieder in hellem Weiß der vollständige Schriftzug ANTANANARIVO, der diese Hauptstadt zu einem Hollywoodstar werden lässt. Manch einer betrachtet diese Maßnahmen mit einem kritischen Stirnrunzeln. Man könnte vermuten, dass die umstrittene Übergangsregierung durch diese zahlreichen Verschönerungsmaßnahmen versucht, ihr eigenes angestaubtes Image aufzubessern. Vielleicht lassen sich ja mit einem pompösen Auftritt in neuen Kleidern einige Wähler überzeugen, wenn man schon für die politischen Leistungen keine Lorbeeren mehr sammeln kann.

Im Zentrum der Stadt geht es ebenso festlich zu. Auf der Avenue de l'Indépendance grüßt täglich ein weiß-grün-rotes Fahnenmeer. Unzählige Straßenhändler erhoffen sich durch den Verkauf von Fahnen und Wimpeln, aus dem Feiertag der Nation auch eine persönliche finanzielle Erfolgsgeschichte zu machen. Im Geschäftszentrum lauern an allen Ecken Verkäuferinnen auf Laufkundschaft in Kauflaune und dort, wo sich täglich der Verkehr staut, versprechen sich fahnenschwenkende Jungen ein gutes Geschäft mit gelangweilten Wartenden.

Wir lassen uns von diesem Eifer anstecken und beschließen, eine kleine Umfrage durchzuführen, um mehr über den geschäftlichen Aspekt des Unabhängigkeitstages zu erfahren. Wir greifen also zu den üblichen Utensilien, also Block, Papier, Fotoapparat und Aufnahmegerät, damit wir alle gewonnenen Informationen dokumentieren und vor dem Vergessen bewahren können. Zwei Studentinnen begleiten uns, um uns bei den Interviews und beim Übersetzen behilflich zu sein.

Inmitten des Getümmels der Innenstadt suchen wir Informanten und stellen immer wieder dieselben Fragen: Wie geht das Geschäft dieses Jahr? Wer produziert diese vielen Flaggen? Wer streicht den Gewinn ein? Unser Vorhaben wird von vielen Augen beobachtet. Belustigte Straßenkinder und neugierige Passanten verfolgen unsere Umfrage aufmerksam. Einige andere Verkäuferinnen versuchen, meine Aufmerksamkeit weg von Fahnen und Wimpeln hin auf ihre Produkte zu lenken. Sie preisen ihre Vanilleschoten und Gewürzhäuschen so lautstark an, dass ich mich kaum auf meine Gespräche konzentrieren kann. Von rechts versuchen zwei Pfadfinder, mir einen Kuchen für einen guten Zweck zu verkaufen. Glücklicherweise habe ich in der Studentin Carolle eine gute Partnerin gefunden, die sich von diesem ganzen Trubel nicht beirren lässt und den Fahnenhändlern aufschlussreiche Informationen entlockt.

Foto: Mareike Späth und Céline MolterZuerst sprechen wir mit einer Flaggenverkäuferin, die sich erfolgversprechend mitten auf der Avenue de l'Indépendance positioniert hat. Neben ihr schneidet eine weitere Frau Stoffbahnen in kleine Stücke, während sie ihr Kind stillt. Ältere Mädchen und junge Männer kommen und gehen mit geschulterten Flaggen. Die Frauen sitzen hinter kleinen Verkaufstischchen, auf denen gefaltet Flaggen und Unabhängigkeits-Wimpel liegen. Es stellt sich heraus, dass die meisten im Familienbetrieb hergestellt werden.

Die Tochter kauft die roten, grünen und weißen Stoffbahnen auf dem Markt ein. Eine Schwester schneidet sie in der richtigen Größe zu. Eine Tante näht sie zusammen. Die Schwiegertochter verziert das Ganze mit dekorativen Fransen, während der Sohn auf dem Markt passende Fahnenstangen besorgt. Der Rest der Familie ist im Verkauf tätig. Die meisten der Flaggenverkäufer arbeiten in so einem Verbund oder kaufen, falls sie tatsächlich allein arbeiten, bei einer solchen Produktionsfamilie Flaggen in großer Zahl ein, um sie dann andernorts mit einem lukrativen Gewinn weiterzuverkaufen.

Aber das Geschäft läuft nicht so gut dieses Jahr. Als Grund dafür muss wieder einmal die Krise herhalten, die neuerdings Frankreich als nationalen Sündenbock abgelöst hat. Es wird vermutet, dass viele Madagassen, statt eine schöne neue Flagge zu kaufen, einfach die alte vom letzten Jahr wieder hervorkramen. Umso besser geht das Geschäft mit den bedruckten Wimpeln, sind sie doch mit ihrer Aufschrift ein einzigartiges Andenken an das 50. Jubiläum der Unabhängigkeit.

Viele der Händler beteiligen sich als Saisonverkäufer jedes Jahr am Flaggengeschäft vor dem Nationalfeiertag. Will dann keiner mehr was von Flaggen wissen, verkaufen sie eben, je nach Bedarf, Tücher, Weihnachtskugeln oder Silvesterkracher. Wir hören aber auch, dass es viele Verkäufer gibt, die sich dieses Jahr zum ersten Mal als Flaggenverkäufer betätigen, da sie zum Cinquantenaire ein besonders lukratives Geschäft wittern. Das ist den angestammten Verkäufern natürlich zuwider, die ungern neue Konkurrenz auf dem Markt sehen.

Wenn nicht gerade ein weißer Tourist mit Spendierhosen daherkommt, dem man dank seiner schieren Unwissenheit einen exorbitanten Preis abluchsen kann, sind die Gewinne nur leidlich. Wenn dann noch mit der ganzen Familie geteilt werden muss, bleibt am Ende des Tages nicht viel übrig, um sich selbst ein rauschendes Unabhängigkeitsfest zu finanzieren. "Aber es reicht", bekommen wir immer wieder als resümierenden Kommentar zu hören.

Durch unsere kleine Umfrage lernen wir wieder ein Stück mehr über das Leben und den Alltag in Madagaskar. Durch jedes Gespräch und jede Meinung erhalten wir einen neuen Einblick in das, was die Menschen an diesem Ort der Welt bewegt, und einen Denkanstoß für unsere weitere Arbeit. Besonders haben wir aber gelernt, dass das Cinquantenaire nicht nur eine politische und kulturelle Bedeutung hat, sondern auch die ökonomische Ebene bedacht werden muss. Was des einen Freud und Feier, ist des andern täglich Brot. Jedenfalls sind die Flaggen das wichtigste Utensil zur Nationalfeierei made in Madagascar und sie bieten den einheimischen Produzenten und Händlern die Möglichkeit, auf diesem Wege von 50 Jahren Unabhängigkeit zu profitieren.

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Johannes Gutenberg-Universität Mainz, 07.11.2010
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