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In der Alliance Française - Teil I: Jubiläumsausstellung - Madagaskar im weltgeschichtlichen Kontext

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Eintrag vom 14. Juli 2010
Mareike Späth

 

Der 26. Juni ist vorbei, langsam verschwinden Fahnen und Wimpel aus dem Stadtbild und das dominierende Gesprächsthema in allen Zeitungen ist nach der Unterbrechung durch den Unabhängigkeitstag und die Fußball-Weltmeisterschaft längst wieder der "Weg aus der Krise". Doch das Jubiläumsjahr geht weiter. Vom 12.-17. Juli war in der Alliance Française eine Ausstellung mit dem Titel "50 ans de l'indépendance: 'Depuis 50 ans…'" zu sehen. Auf 26 Plakaten luden Presseartikel und Bilddokumente, die im Nationalarchiv der Nationalbibliothek und in persönlichen Sammlungen recherchiert wurden, dazu ein, die vergangenen 50 Jahre madagassischer Geschichte Revue passieren zu lassen.

Im ersten Teil der Ausstellung boten sich dem Betrachter eine Vielzahl von Zeitungsartikeln vergangener Dekaden, die von den großen Jubiläen der Unabhängigkeitsfeier berichten. "La Grande Île au Jour I" - titelte der France-Madagascar am 23. Juni 1960. Detailreich wird hier von der Erklärung der Unabhängigkeit durch das erste Staatsoberhaupt Philibert Tsiranana im Stadion Mahamasina von Antananarivo berichtet. Das Hissen der Flagge und das erste Singen der neuen Nationalhymne begründeten symbolisch den Beginn einer neuen Ära. Das neu formierte Militär präsentierte sich mit einem Défilée dem Volk und die Soldaten der Weltkriege wurden mit Medaillen für ihre Dienste für das Vaterland geehrt. "Ihre Aufgabe ist es, die Unabhängigkeit zu bewahren" - "Votre mission est de sauvegarder l'indépendance": Mit diesen Worten wandte sich der neue Präsident an die Armee und lud anschließend zahlreiche Autoritäten des jungen Staates zum Empfang ein.

Am 21. Juni 1970 reflektierte Lumière poetisch über den 10. Jahrestag der Unabhängigkeitserklärung ("Dix ans après…"): Man stelle sich vor, jemand habe vor der Unabhängigkeit das Land verlassen und kehre nun, 10 Jahre später, wieder zurück. Er würde seine eigene Heimat kaumwiedererkennen, so rasant habe sich Madagaskar entwickelt. Euphorisch und hoffnungsvoll berichtet der Artikel über neue Schulen und neue Waffen, die zum Anlass der nun jährlich wiederkehrenden Militärparade von befreundeten sozialistischen Staaten finanziert worden waren.

Während ANTA am 27. Juni 1980 noch in derselben überschwänglichen Manier erklärt, ganz Madagaskar habe voller Glanz den 20. Jahrestag der Unabhängigkeit gefeiert - "Tout Madagascar a fêté avec un éclat particulier le 20ème anniversaire de notre indépendance" - wird wiederum 10 Jahre später in der Madagascar Tribune vom 23. Juni 1990 schon ein viel nachdenklicherer Ton angeschlagen: "6. Juin 1990. Fête pour tous?" - "6. Juni 1990. Ein Fest für alle?" Dieser Artikel schreibt pessimistisch und skeptisch über die Begnadigung politischer Gefangener anlässlich des Feiertags, die angesichts übereilter Verhaftungen und eines schlecht funktionierenden Rechtssystem kaum als großzügige Geste zum Fest gesehen werden könnten. Die Begnadigung sei eher die rechtmäßige Freilassung von Bürgern, die angesichts der restriktiven politischen Lage ohnehin eher als "captives, privés de liberté", der Freiheit beraubte Gefangene, anzusehen seien. Im selben Jahr wägt Midi Madagasikara am 23. Juni 1990 nachdenklich ab: "Dreißig Jahre nationale Souveränität. Eine Unabhängigkeit zwischen besser und schlechter" - "Trente ans de souveraineté nationale. Une indépendance coincée entre meilleur et pire" - und stellt angesichts des zunehmend totalitären Regimes von Didier Ratsiraka die Frage, ob das Militär dem Volk oder der Regierung dient. Eine ähnliche Frage stellte man sich in Madagaskar dieses Jahr erneut, als eine Delegation der madagassischen Armee zum 14. Juli in Paris defilierte: "Kann unsere Armee nicht mehr zwischen Freund und Feind unterscheiden?"

Zuletzt schlägt L'Express de Madagascar am 27. Juni 2000 wieder versöhnlichere Töne an und schreibt: "40ème anniversaire de l'Indépendance. La Fête a tenu ses promesses dans toute l'Île" - "40. Jahrestag der Unabhängigkeit. Das Fest hat seine Versprechen auf der ganzen Insel gehalten". Eine Übersicht der Presseartikel zum diesjährigen Cinquantenaire 2010 bleibt die Ausstellung schuldig, soll aber laut der Organisatoren noch angefügt werden. Man darf gespannt sein, welche Artikel aus dem reichhaltigen Angebot ausgewählt werden: Eher ein durchweg positiver Bericht über die Feiern und musikalischen Veranstaltungen in der Hauptstadt? Oder eine betrübte Reflexion über die anhaltende Abhängigkeit von Frankreich und internationalen Geldgebern sowie die Misswirtschaft der vergangenen Regierungen, die den madagassischen Staat periodisch immer wieder in die Krise stürzten?

Im zweiten Teil der Ausstellung in der Alliance Française wird über die wichtigsten madagassischen und internationalen Ereignisse der letzten 50 Jahre informiert. Nach Dekaden sortiert, hat man die historischen Höhepunkte der großen Insel in den Kontext herausragender Ereignisse in der restlichen Welt gestellt. Zunächst führen Fotos von Tsiranana während der Erklärung der Unabhängigkeit am 26. Juni 1960 noch einmal den Anlass der Ausstellung vor Augen. Porträts der ersten Regierungsmitglieder aus dem Jahr 1960, Bilder der Militärparade und der Einweihung eines Denkmals in der Provinzhauptstadt Mahajanga illustrieren den offiziellen Teil des Ereignisses. Sie werden von Fotos feiernder Madagassen ergänzt. Sie zeigen ein Vakodrazana, eine folkloristische Darbietung von Tänzen und Liedern, und eine tanzende alte Frau, die laut Bildunterschrift die gesamte Kolonialzeit durchlebt hat. Nun kann sie sich, so der Tenor der begleitenden Erklärung, vor Freude nicht mehr halten und tanzt trotz ihres hohen Alters ausgelassen zur Wiedererlangung der Unabhängigkeit. Im Folgenden werden jedem Jahrzehnt seit 1960 zwei Poster gewidmet. Eines berichtet jeweils über die weltgeschichtlichen Ereignisse der jeweiligen Dekade, ein zweites über die madagassischen Meilensteine derselben Periode. Alle Informationen werden übersichtlich kurz und knapp und mitsamt Fotos und Auszügen von Zeitungsartikeln präsentiert.

Die Unabhängigkeiten von 17 afrikanischen Staaten und das II. Vatikanische Konzil prägten die 1960er Jahre demnach ebenso sehr wie die Ermordung John F. Kennedys, die erste Mondlandung und der Erfolg der Beatles. In den 1970er Jahren sorgten fortschreitende Technisierung, aufkeimender Feminismus und die Ermordung Mao Tse-Tungs für genauso viel Aufmerksamkeit wie das letzte Spiel des Fußballgottes Pelé und der Tod von Elvis Presley. Globalisierung, weltweites Zusammenrücken für das gemeinsame Ziel des Umweltschutzes und das Erwachen eines humanitären Bewusstseins angesichts von Armut und Hunger in Afrika kennzeichneten die 1980er Jahre. AIDS, Tschernobyl und Mauerfall werden in einem Atemzug mit der Erfindung des Mobiltelefons und dem Tod von Bob Marley angeführt. Das Ende der Apartheid und der UdSSR, die Einführung des Euros und das Aufkeimen ethnischer Spannungen mit besonderem Verweis auf die Balkanregion sind wichtige Ereignisse der 1990er Jahre. Die erste Dekade des neuen Millenniums ist nach dieser Darstellung besonders gekennzeichnet vom Tod zweier bedeutender Menschen: Papst Johannes Paul II. und Michael Jackson.

Und was geschah derweil in Madagaskar? Neben dem Auf und Ab der Regierungen seit der Erlangung der Unabhängigkeit in Verbindung mit Aufständen, Brandschatzungen und Attentaten als Akte politischen Widerstands finden auch einige kulturelle und gesellschaftliche Höhepunkte der madagassischen Geschichte Erwähnung: die Einrichtung des nationalen Radios und Fernsehens sowie der Universität in den 1960er Jahren, die Eröffnung der Nationalbibliothek zum 29. Jahrestag der Unabhängigkeit, der Besuch des Papstes im Jahr 1989 und die Sonnenfinsternis im Jahr 2001. Wichtigste sportliche Ereignisse waren die "Jeux des Îles de l'Océan Indien" im Jahr 1990 sowie die "Jeux de la Francophonie" 1997. Als jüngstes Ereignis madagassischer Geschichte wird am Ende der Ausstellung die Machtergreifung des derzeitigen Übergangspräsidenten Andry Rajoelina am 21. März 2009 dargestellt.

Diese Ausstellung ist nur eine von vielen, die im Laufe des Jubiläumsjahrs in Antananarivo und den regionalen Hauptstädten gezeigt werden. So unterschiedlich die Veranstalter, so abwechslungsreich die Perspektiven, die auf die Unabhängigkeit Madagaskars geboten werden. Mal kritisch, mal humorvoll und mal kunstvoll setzen sich die meist gut besuchten Veranstaltungen mit der Frage nach der Unabhängigkeit und der madagassischen Nation auseinander.

Mitverantwortlich für die Ausstellung in der Alliance Française ist Julien Rakotonaivo, Vorsitzender des 1. Komitees zur Planung der Unabhängigkeitsfeierlichkeiten, Direktor des "Office national des Arts et de la Culture" sowie Vorsitzender des Verwaltungsrats der Alliance Française in Antananarivo. Vom Kontakt zu ihm, den wir inzwischen herstellen konnten, erhoffen wir uns neue Einblicke in die Arbeit des Komitees, das für die nächsten Wochen übrigens noch eine weitere Ausstellung vorbereitet. Darin soll die Unabhängigkeit vor der Abhängigkeit, also die Zeit der Königtümer auf Madagaskar, dokumentiert werden − ganz im Zeichen der "50 ans de retour de l'Indépendance", dem allgegenwärtigen Motto der diesjährigen Feierlichkeiten, mit dem die Madagassen stolz auf ihre vorkoloniale Geschichte als souveräner Staat verweisen.

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Johannes Gutenberg-Universität Mainz, 07.11.2010
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