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Verhandlungen, Versprechungen, Vertröstungen: Madagassisches Hochschulsystem im Ausnahmezustand

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Eintrag vom 4. September 2010
Mareike Späth

 

Seit einiger Zeit rumort es an den Hochschulen in Antananarivo. Die große politische und ökonomische Krise des Landes hat mit ihrem langen Arm nun auch das höhere Bildungswesen erreicht und lähmt mit eisernem Griff den akademischen Betrieb Madagaskars, das eigentlich dieses Jahr seine Souveränität und Unabhängigkeit feiern will.

Es ist ein offenes Geheimnis im krisengebeutelten Madagaskar, dass der Staatshaushalt seit langer Zeit gähnend leer ist. Seit der nicht legitimierten Machtübernahme Andry Rajoelinas im Frühjahr 2009 dreht die internationale Gemeinschaft die Daumenschrauben immer enger. In zahlreichen Verhandlungen wurden Vereinbarungen zur Lösung der politischen Krise beschlossen, doch die Übergangsregierung hält sich an keine der in Maputo oder Addis Abeba getroffenen Abmachungen. Dieses unkooperative Verhalten wird von der Weltgemeinschaft nun damit bestraft, dass alle Budgethilfen an den madagassischen Staat eingestellt wurden. Nun stellen aber internationale Zahlungen geschätzte 75% des Staatshaushalts und so ist es schlecht bestellt um die Finanzen im Inselstaat. Dies bekam jüngst auch die Universität zu spüren.

Die ersten Schlagzeilen machte die École supérieure polytechnique d'Antananarivo, die Fachhochschule in Antananarivo. Aus Protest gegen ausstehende Gehälter wurden dort am 24. Juni, kurz vor Ende des Semesters, der Unterricht und alle Prüfungen kurzerhand eingestellt (L'Express de Madagascar vom 2. Juli 2010). An verschiedenen Fakultäten waren insgesamt 138 Lehrer der Hochschule betroffen, die z.T. noch auf die Gehälter vergangener Semester warteten. Daher wurde die Lehre ausgesetzt und die Wissenschaftler beschränken sich auf ihre Forschungstätigkeit, bis das Bildungsministerium die benötigten 2 Mio. Ariary, das entspricht etwa 80.000 Euro, freigibt (Les Nouvelles vom 13. Juli 2010).

Mit diesem Schachzug hatten die Lehrenden den Unmut der Studenten geweckt, die nun ihrerseits mit Protesten gegen den ausbleibenden Unterricht drohten. Damit sollte der Druck auf die Regierung erhöht werden. Denn die Regierenden hatten nicht zufällig zuerst bei den Finanzen der Lehrenden gekürzt, während sie die Stipendien an die Studierenden weiterhin auszahlten. Zwar handelt es sich bei der finanziellen Zuwendung an die Studenten ohnehin nur um etwa 15 Euro im Monat, mit denen man auch in Madagaskar keine großen Sprünge machen kann. Aber die Studierenden dieses Landes haben sich in der Vergangenheit Madagaskars schon mehr als einmal einen Eintrag ins Geschichtsbuch erarbeitet, indem sie Revolutionen angezettelt und Staatsoberhäupter gestürzt haben. Sie zu erzürnen, fürchtet auch die jetzige Regierung und so fand man die Studierenden in jenen Tagen nicht in den Unterrichtssälen sondern in der langen Warteschlange an der Stipendienausgabestelle. Wenig später jedoch verbarrikadierten Studenten den Eingang der Fakultät und hissten eine Banderole mit den provokanten Worten "An die Hohe Übergangsregierung: Wir wollen studieren, löst die Probleme unserer Lehrer" (Madagascar Matin vom 15. Juli 2010).

Es folgten Wochen der Verhandlungen, Versprechungen und Vertröstung und die Proteste zogen immer weitere Kreise. Anfang August schloss sich das administrative und technische Personal (PAT) der Universität dem Streik an (Les Nouvelles vom 3. August 2010). Seit diesem Zeitpunkt blieben die Türen und Tore auf dem Universitätshügel geschlossen. Am Schwarzen Brett der verlassenen Fakultät prangte auf einer Veranstaltungsankündigung die große Frage, die als Leitmotiv für das goldene Jubiläum auserkoren war: "Qu'avons nous fait de notre Indépendance?" − "Was haben wir aus unserer Unabhängigkeit gemacht?" Daneben hing nun ein kleinerer Zettel, der verkündete, dass die universitären Veranstaltungen zu Ehren des Jubeljahrs aufgrund des Streiks leider auf unbestimmte Zeit verschoben werden müssen.

Das Blatt schien sich bald zu wenden und der Sprecher der PAT verkündete: "Wir können uns freuen, wir werden heute noch unseren Lohn erhalten. Nehmen wir die Arbeit wieder auf. Wir haben keine weiteren Forderungen, die Türen sollen wieder geöffnet werden!" (L'Express de Madagascar vom 6. August 2010); auch dem Lehrpersonal wurde immerhin eines der ausstehenden Gehälter gezahlt. Doch schon zogen neue dunkle Wolken über der Hochschule auf.

Die alten Streikbanner wurden durch neue Plakate ersetzt, auf denen zu lesen war: "Alle administrativen und pädagogischen Aktivitäten sind bis auf Weiteres eingestellt." Diesmal waren leere Kassen der Grund für die Schließung. "Wir haben keine finanziellen Ressourcen mehr, um den Betrieb unserer Fakultät zu gewährleisten", erklärte ein Verantwortlicher der geisteswissenschaftlichen Fakultät, der Faculté des Lettres et Sciences Humaines, die diesmal im Zentrum der Aufmerksamkeit stand. Die Universität hatte seit langer Zeit keine Zahlungen vom Staat mehr erhalten und das laufende Budget war erschöpft. Kein einziger Ariary mehr, um Material für die Lehre bereitzustellen. An dieser Uni konnte schlicht kein Blatt beschrieben und keine Kreide mehr gekauft werden. Alle Beteiligten hatten in den letzten Monaten alle möglichen Reserven aktiviert und trotz der erschwerten Bedingungen die Arbeit aufrechterhalten, um das laufende Semester zu Ende zu führen. Nun aber, da alle dringenden Arbeiten abgeschlossen waren, blieben die Türen angesichts des finanziellen Bankrotts wieder geschlossen. Lediglich die Forschung und Arbeiten im kleinen Kreis mit fortgeschrittenen Studierenden und Doktoranden wurden noch weitergeführt. Allerdings mussten auch hier wichtige Arbeiten unverrichtet bleiben. Einige Ethnologen hatten seit langer Zeit eine viertägige Studienreise geplant, um das zentrale religiöse Fest der Sakalava im Norden Madagaskars zu dokumentieren. Das sog. Fitampoha wird nur alle 2 Jahre gefeiert und von den erhofften Daten hingen Dissertationsarbeiten und die Einrichtung eines Museums ab. Angesichts leerer Geldbeutel gab es statt Forschung aber nur resigniertes Schulterzucken.

Inzwischen geht der Unterricht an der Uni wieder weiter. Irgendwoher hat das zuständige Ministerium genügend Mittel aufgetrieben, um die Universität zumindest mit einem Teil des Budgets zu versorgen, so dass wenigstens für einen Monat der Betrieb gesichert ist. In Windeseile werden nun die ausgesetzten Examen nachgeholt und in den Hörsälen wird Alltag vorgetäuscht. Keiner mag so recht darüber nachdenken, was nächsten Monat passieren könnte.

Dies ist nicht die erste Krise im Staate Madagaskar und es war auch nicht der erste Streik, den die Universität erlebte. Aber die Lehrenden zeigen sich dieses Mal ernsthaft besorgt. Die zyklischen Krisen, die mit auffallender Regelmäßigkeit das Land beuteln, sind als endemisches Phänomen inzwischen sogar Gegenstand universitärer Forschung, leider bislang ohne praktisch anwendbare Lösungsvorschläge. Aber dieses Mal, so der allgemeine Tenor, ist der Ausnahmezustand so lange und so gravierend wie nie zuvor.

Dennoch ist auch dieser Streik der Uni nur ein kleineres der vielen Problem, die es gegenwärtig zu lösen gibt. Täglich finden Gespräche und Konferenzen mit verschiedenen Parteien, Interessengruppen und regionalen Vertretungen statt, um in einem mühsam schleichenden Prozess einen Konsens über Ausweg aus der Krise zu finden. Leider ist bislang kein Ende in Sicht. Ganz im Gegenteil: Jüngst wurden die Neuwahlen wieder verschoben. Neuer Stichtag für das neue Madagaskar ist nun der 26. Juni 2011, denn schließlich könne ein 51. Nationalfeiertag der Unabhängigkeit ja nicht ohne legitimierte Regierung begangen werden.

Die Universität, traditionelle Schmiede unabhängiger Vorreiter und kritischer Freigeister, der Zukunft des Landes, kämpft um ihre Existenz. Grund dafür ist - angeblich - das Ausbleiben internationaler Finanzzuschüsse zum Staatshaushalt. In diesen Tagen scheint es mir fast lächerlich, meine Forschungsfragen zur Unabhängigkeit zu stellen.

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Johannes Gutenberg-Universität Mainz, 07.11.2010
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