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Brot und Spiele - Teil I: Ein Zebu für das Volk

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Eintrag vom 14. Juni 2010
Mareike Späth

 

Zwei Wochen vor dem großen Tag wurde offiziell das Programm für die bevorstehenden Feiern verkündet. Der Präsident hatte sich etwas Besonderes ausgedacht und lud 3.500 Fünfzigjährige zu einem gemeinsamen Mahl ein. Schon vor der Kolonialzeit teilten die Könige im damals noch unabhängigen Madagaskar zu feierlichen Anlässen das Fleisch eines Zebus mit den Untertanen. An diese Tradition wollte der Präsident der Übergangsregierung wohl anknüpfen, um die Feier zur wiedererlangten Unabhängigkeit ganz nah am Volk zu begehen.

Zur administrativen Abwicklung dieses Jubiläumsessen wurden an mehreren Stellen in der Stadt und in den Regionen des Anmeldung zum Jubiläumsessen, Foto: Mareike SpäthLandes Pavillons eröffnet, in denen sich diejenigen, die zwischen dem 1. Januar und dem 31. Dezember 1960 geboren wurden, für das Ereignis im Staatspalast anmelden konnten - gratis, versteht sich. Unzählige Menschen standen schon seit 5 Uhr morgens in der Schlange, um dabei sein zu können, wenn der junge Präsident mit seiner schönen Frau sich die Ehre geben würde. Ordentlich aufgereiht warteten Madagassen aller Gesellschaftsschichten geduldig Seite an Seite, bis sie ihre persönliche Einladung in den Händen hielten. Alle waren in froher und erwartungsvoller Laune und sehr diszipliniert. Die sonnenbebrillten Sicherheitskräfte von Polizei und Gendarmerie, die vorsichtshalber Position bezogen hatten, wippten im Takt zur Musik, die vom nahen Markt herüberwehte. Die Verantwortlichen freuten sich über den regen Andrang und rechneten dies als Beweis dafür, dass die Menschen sich trotz Krise auf das Fest freuen und zu feiern bereit und willig sind.

In der Presse wurde später zynisch bemerkt, dass erstaunlicher Weise diejenigen mit einer Einladung geehrt worden seien, die ja eigentlich nichts zur Unabhängigkeit beigetragen hätten. Sie seien lediglich ohne ihr eigenes Zutun am richtigen Tag geboren worden. Die eigentlichen Helden, die nämlich aktiv für ein freies Madagaskar gekämpft hatten, seien aber nicht bedacht worden.

Die ganze Woche lang hatte ich versucht, eine Einladung zum Empfang des Präsidenten im Palast zu bekommen. Erfolglos. Am Abend vorher beschlossen meine Forschungspartnerin Baholy und ich, einfach zum Palast zu marschieren und um Einlass zu bitten. Eigentlich war nicht viel los, ich habe mich die ganze Zeit gefragt, wo wohl die 6.500 geladen Gäste sein mochten. Die Dame am Empfang telefonierte für uns mit allen mehr oder weniger zuständigen Personen. Nach einigem Warten tauchte dann tatsächlich eine Dame auf, die uns Zutritt zum gelobten Land gewährte. Eine kurze, wenig gründliche Taschenkontrolle und die Anweisung, unsere Handys auszuschalten, trennten uns noch von unserem erklärten Ziel: Zutritt zum Präsidentenpalast.

Im Park des Palastes, von wo aus man einen wunderbaren Blick über die Stadt hat, waren unzählige Tische gedeckt. Eine Bühne war aufgebaut und ein Pavillon, in dem der Präsident sitzen sollte. Den rechten Rand der Veranstaltungsfläche säumten Organisationszelte, in denen großes Treiben herrschte. Das vorbereitete Essen wurde in großen Töpfen angekarrt und eine ganze Armee von Servicekräften stand bereit. Die letzten Teller wurden verteilt und Getränke an die Tische gebracht. Im Pavillon wurde noch ein weiterer roter Teppich ausgerollt und trotz viel Sonne ein Heizpilz installiert. Das erwies sich als größeres Projekt, wollte dieser doch einfach nicht so recht unter das Zeltdach passen. Unter großem Applaus Im Garten des Präsidentenpalastes, Foto: Mareike Späthwurde schließlich eine riesige Sahnetorte "Cinquantenaire" von vier Helfern herbeigebracht und, begleitet von einem Blitzlichtgewitter, neben dem Tisch des Präsidentenpaares aufgestellt.

Die Gäste waren schon angereist und hatten ihre Plätze eingenommen. Alle hatten die besten Kleider gewählt und sich schick gemacht für diesen einzigartigen Anlass. Beim Betreten des Geländes erhielten sie alle einen Strohhut, verziert mit einem Band in den Nationalfarben. Das führte dazu, dass die vielen Köpfe ein einheitliches, hübsches Bild ergaben.

Baholy und ich wurden von einer Organisationskraft an die nächste weitergereicht, bis wir bei jemandem ankamen, der entweder so wichtig oder so unwichtig war, dass er nichts anderes zu tun hatte, als all unsere Fragen zu beantworten. Baholy unterhielt sich mit allen ganz angeregt und machte Notizen, während ich meine Aufpasserin für einen Rundgang über das Gelände zur Seite gestellt bekam. Ich durfte alles fotografieren - freilich außer den Palast, der hoch über dem Geschehen thronte. Wir erhielten noch einige Anweisungen, wo wir uns aufhalten dürften während des ganzen Prozedere, und taten dann, was die meisten im Garten auch taten: Warten auf die Ankunft des Präsidenten.

Foto: Mareike SpäthDer Präsident sollte die Treppe vom Palast herunterkommen und dann über den roten Teppich durch die Menge zu seinem Pavillon schreiten. Daher war der rote Teppich nur dem Präsidenten und seiner Gattin vorbehalten. Das führte zu dem ulkigen Umstand, dass in dem ganzen Gewusel der letzten Vorbereitungen alle immer einen großen Schritt oder eine kleinen Hüpfer über den etwa 1,20 Meter breiten Streifen machen mussten. Alle hielten sich gewissenhaft an dieses ungeschriebene Gesetz. Trotzdem wurde eine junge Dame damit beauftragt, den Teppich doch besser in seiner vollen Länge noch einmal zu fegen. Während dieser ganzen Vorbereitungen gab es bereits diverse Darbietungen auf der Bühne. Die Stimmung war so schon vor Ankunft des Präsidenten so gut, dass erste Hüte im Takt der Musik geschwenkt wurden.

Ankunft von Präsident Andry Rajoelina und Gattin, Foto: Mareike SpäthUnd dann kam er, der junge, schöne Präsident mit seiner Gattin. Winkend und lächelnd schritten sie über den frisch gefegten Teppich. Zu diesem Anlass hatten sich selbstverständlich alle erhoben und begrüßten den Präsidenten, Beifall klatschend. Die Veranstaltung wurde mit dem gemeinsamen Singen der Nationalhymne und der Hymne des Cinquantenaire eröffnet. Danach erkämpfte ich mir einen Platz unter den Journalisten auf dem Pressepodium, um von dort aus besser Bilder machen zu können. Das Foto-Fieber hatte mich nun doch auch gepackt, und ich wollte gerne ein ganz nahes und schönes Bild vom Präsidentenpaar ergattern.

Nach einigen Grußworten seitens der Organisatoren, der Gäste und des Präsidenten selbst breitete letzterer galant seine Cinquantenaire-Serviette auf seinem Schoß aus. Noch ein Dankesgebet, und das Schlemmen konnte beginnen. Die Menüfolge entsprach sicher nicht dem klassischen Zebu-Teilen, sondern hatte von Shrimpscocktail bis Sahnetorte alles zu bieten. Interessant war, dass es zumindest am Journalistentisch, dem Baholy und ich schließlich zugeteilt wurden, gar kein Zebufleisch zu essen gab. Der Hauptgang bestand aus Reis, Hühnchen und einem Bohnen-Karotten-Gemüse. Das entsprach zwar durchaus dem, was wohl in fast allen madagassischen Haushalten heute als Festessen serviert wird. Aber das groß angekündigte Zebu, das Tier, das die Nation im Innersten zusammenhält, das madagassische Maskottchen, blieb uns vorenthalten.

Foto: Mareike SpäthNach der Vorspeise brach Feierlaune aus. Der erste Hunger war gestillt, und die Gäste hielt bei all der guten Unterhaltung und Musik nichts mehr auf den Stühlen. Innerhalb kürzester Zeit wurde in allen Gängen ausgelassen getanzt. In Windeseile bildete sich eine lange Polonäse, die sich wie ein Lindwurm durch die Tischreihen schob. Das Pressepodium wurde kurzerhand erobert und zum Tanzpodest umfunktioniert. Wie Baholy bemerkte, vergaßen wohl einige der Anwesenden heute, dass sie eigentlich schon fünfzig sind. Damit spielte Baholy einerseits auf das überschwängliche Tanzen und Feiern an, aber auch auf einige Röcke der anwesenden Damen, die sie unangemessen kurz fand, wenn auch kombiniert mit einer fast blickdichten Strumpfhose und hohen Stiefeln - wie sie einigermaßen versöhnt anmerkte. Ich bekam im Laufe der Ereignisse die Rolle eines Fotografen zugewiesen. Viele Menschen kamen auf mich zu und baten mich, ein Erinnerungsfoto zu schießen. Als Hintergrund waren besonders das Präsidentenpaar im Pavillon oder der Kuchen beliebt.

Kurios war außerdem noch der gemeinsame Toilettengang. Zwar war etwas abseits ein Toilettenhäuschen eingerichtet, aber es gab noch eine andere Möglichkeit, hier gleich zwei Fliegen mit einer Klappe zu schlagen: die Toilette im Palast. Das Notwendige konnte also noch mit dem Angenehmen verbunden werden: Es ergab sich so die einzigartige Gelegenheit, einen Blick ins Innerste des Staates zu werfen. Aus Sicherheitsgründen durfte das aber nur als geführte Tour vonstattengehen. So ergab es sich, dass sich in regelmäßigen Abständen eine Traube von Frauen sammelte, um streng bewacht zur Pinkelpause zu schreiten.

Als am späten Nachmittag immer noch der Kuchen ausstand und die Menge wieder das Tanzbein schwang, beschlossen Baholy und ich, vor Ende der Veranstaltung aufzubrechen. Schließlich erwarteten uns noch einige andere Programmpunkte an diesem denkwürdigen Tag. Wir dankten unserer Fürsprecherin noch einmal dafür, dass sie uns diese einzigartige Gelegenheit ermöglicht hatte und wurden dann von ihr durch den bewachten Hinterausgang geschleust und wieder zurück in die Wirklichkeit gespuckt. Als sich das Tor hinter und schloss, standen wir einfach in einer verlassenen Straße.

 

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Johannes Gutenberg-Universität Mainz, 07.11.2010
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