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Die Ökonomie des Festes - Teil I: Von Jahrmärkten und Fußballturnieren

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Eintrag vom 22. Juni 2010
Céline Molter

 

Mit Pauken und Trompeten sollte das große Jubiläum eröffnet werden, doch zu hören war: nichts. Bei der festlichen Eröffnungsgala, bei der der geladenen Elite des Landes Logo und Hymne der bevorstehenden Nationalfeiern vorgestellt werden sollten, streikten die Lautsprecher. Schadenfrohes Gelächter hörte man am nächsten Tag von allen, die vom exklusiven Festakt ausgeschlossen geblieben waren. Und auch die Presse verteilte Seitenhiebe: "Démarrage en catastrophe" ("Eröffnung war eine Katastrophe") und "Fausses notes sur toute la ligne" ("Falsche Töne auf ganzer Linie") titelten die Tageszeitungen L'Express und Les Nouvelles. Im Vorfeld war die Veranstaltung gar nicht öffentlich angekündigt worden und es schien so, als wolle die Regierung schlicht ihr privates Jubiläum feiern.

Insgesamt sind die Vorbereitungen geprägt von Chaos und Improvisation. Das ursprüngliche Planungskomitee wurde in den vergangenen Wochen aufgelöst und sämtliche bisherigen Pläne wurden verworfen, wie etwa der Bau eines Pantheons zur Repatriierung verstorbener Berühmtheiten. Der Grund: Es fehlt das Geld. Die abgeänderten Pläne, so ließ die neue Ministerin für Kultur verlautbaren, sind geheim: Sie sollen eine Überraschung werden. Was allerdings bisher an die Öffentlichkeit drang, ließ erstaunen: Céline Dion soll bei den Feiern singen, verkündete Les Nouvelles am 8. Juni. Auch Britney Spears, Christina Aguilera und Whitney Houston sollten angeblich beim Jubiläum dabei sein. Dabei lautet das Motto doch: "La fierté nationale" ("Der nationale Stolz"). Das kann, wer will, wunderlich finden. Inzwischen ist man jedoch − ebenfalls aus Kostengründen − auch von diesen Vorhaben abgerückt und will sich auf lokale Künstler beschränken.

Foto: Mareike Späth und Céline MolterAuch das Logo des Cinquantenaires ist nicht unumstritten. Es zeigt zwei ausgebreitete Handflächen, die eine grün, die andere rot. In der Mitte der Handflächen prangt ein Umriss Madagaskars mit der großen Zahl 50. Die Meinungen über den Sinn dieser Geste variieren stark und sind abhängig vom Grad der Begeisterung für das regierende Regime und vom verbliebenen Maß an Hoffnung trotz Krise. Stimmen, die wir aufgeschnappt haben: "Madagaskar soll angeschubst werden", "In die Hand nehmen muss man es, unser Schicksal!", "Rausschubsen, alles Fremde rausschubsen!" oder "Madagaskar winkt einfach 'ne Runde! Hallo, rufen wir! Oder Tschüss...?"

Der Großteil der Bevölkerung interessiert sich eher wenig für Logo, Hymne und Staatsempfang. Vielleicht liegt das daran, dass der 26. Juni hier normalerweise in erster Linie das Fest der Kinder ist. Am Vorabend ziehen Lampionumzüge durch alle Stadtviertel. Überall stehen jetzt schon Verkäufer bereit und bieten ihre Waren an: Lampions in allen Farben und Motiven sind erhältlich, knallbunt, mit Comicfiguren, oder patriotisch in grün-rot-weiß. Am Nationalfeiertag selbst kochen dann die Kinder mit winzigem, buntem Kochgeschirr für ihre Eltern. Doch auch wer in diesem Jahr nicht bekocht wird, kann Glück haben: Wurde er zufällig im Unabhängigkeitsjahr 1960 geboren, kann er sich in der Stadt ein Stückchen Gratis-Jubiläums-Zebufleisch abholen. So feiert der Staat gemeinsam mit seinen Söhnen und Töchtern Geburtstag.

Foto: Mareike Späth und Céline MolterAuch außerhalb von Antananarivo geht die Partyplanung los. Um das zu beobachten, waren wir am Wochenende in Tsiroanomandiy, der Hauptstadt der Region Bongolava im westlichen Hochland. Dort sahen wir uns auf einem Jahrmarkt um. Dieser war anlässlich der Unabhängigkeitsfeiern extra von September auf Juni vorverlegt worden, damit die Bürger der Region schon mal feierlich für das kommende große Ereignis "sensibilisiert" werden konnten, so wird kolportiert. Außerdem bekamen sie so die Möglichkeit, sich mit schicken Kleidern, Lampions und Fähnchen für das Fest einzudecken. Schon viele Kilometer vor der Stadt konnten wir die Ströme der Pilger betrachten, die zu Fuß aus ihren Dörfern kamen. Bongolava rühmt sich, die produktivste Region des Landes zu sein, und vom Spielzeughändler bis zum Hutverkäufer war beinahe jeder bemüht, das Beste aus der vorfreudigen Kauflaune der Marktbesucher herauszukitzeln.

Mit unserer Reise wollten wir herausfinden, inwieweit die Jubiläumsfeiern zentral von der Regierung organisiert sind. Zu diesem Zweck lauschten wir mehrere Stunden lang der berühmtesten Kunst der Madagassen: Reden halten. Die große Eröffnungszeremonie fand inklusive Fahnenappell, Militäraufmarsch und beflaggter Ehrentribüne statt, zu unserem Leid allerdings mit Reden nur auf Madagassisch. Glücklicherweise begleitete uns Baholy, eine Doktorandin vom Ethnologischen Institut aus Antananarivo, die in dieser Gegend geboren ist und deren zahlreiche Verwandte wir im Laufe des Wochenendes kennenlernen durften. Dank ihrer Vermittlung brachten wir es sowohl zu einem spannenden Gespräch mit dem Repräsentanten der Region Bongolava als auch zu zwei äußerst günstigen und gut aussehenden Strohhüten, die uns auf der Rückfahrt vom Jahrmarkt konkurrenzfähig gegenüber allen anderen stolzen Strohhutbesitzern machten.

Ökonomisch gesehen war die Vorverlegung des Jahrmarkts wahrscheinlich ein kluger Schachzug. Den einzelnen Regionen stellt die Regierung jeweils 10 Mio. Ariary (etwa 4.000 Euro) für die Gestaltung der Feiern zur Verfügung. Das ist für die Umsetzung der anspruchsvollen zentralen Vorgaben nicht gerade viel. Das Jubiläum muss aufwändiger und auffälliger werden als in den vergangenen Jahren. Damit ist jedes Ereignis wertvoll, das sowieso stattgefunden hätte, in diesem Jahr aber unter das Logo der Unabhängigkeitsfeiern gestellt werden kann. So kann sich Bongolava nun mit einem Unabhängigkeits-Jahrmarkt rühmen.

Wir stellen unseren euphorisch erworbenen Ramsch zu all den anderen Festutensilien, zu deren Erwerb wir uns in Feiertagslaune schon haben hinreißen lassen, und sind damit sicher nicht allein. Und in wenigen Wochen ziehen die Menschen wieder los in Bongolava, in Erwartung des in diesem Jahr besonders einzigartigen Unabhängigkeits-Fußballturniers.

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Johannes Gutenberg-Universität Mainz, 07.11.2010
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