Ethnische Implikationen staatlich gelenkter Migration: Das Umsiedlungs-Projekt A.V.V. (Katja Werthmann)Neben der bereits beschriebenen vorkolonialen Mobilität verschiedener Bevölkerungsgruppen ist der Südwesten Burkina Fasos in jüngerer Zeit vor allem auch durch die Immigration von Mossi und Fulbe aus anderen Landesteilen geprägt. Dabei ist die Auswanderung von Mossi aus ihren Kerngebieten auf dem Zentralplateau keine neue Erscheinung; schon zu Beginn des Jahrhunderts kamen einzelne Mossi-Händler und -Bauern in den Südwesten. Besonders aber seit den Dürreperioden in den 1960er und 1970er Jahren haben sich viele Mossi in südlicheren Landesteilen angesiedelt. Von den bereits ansässigen Gruppen wird dieser Expansionsprozeß der Mehrheitsbevölkerung Burkina Fasos als nicht nur demographische, sondern auch politische "Mossifizierung" aufgefaßt. Darum kommt es gelegentlich zu Konflikten zwischen den Alteingesessenen und den Einwanderern. In den sechs untersuchten Dörfern, die seit Ende der 1970er Jahre in der Provinz Bougouriba im Rahmen eines großen landwirtschaftlichen Entwicklungsprojektes gegründet wurden, handelt es sich jedoch nicht um eine spontane, sondern um eine staatlich gelenkte Ansiedlung von Mossi-Bauern. Diese administrative Schaffung von Dörfern, in denen Angehörige verschiedener ethnischer Gruppen per Vertrag angesiedelt wurden, fügte der ausgeprägten Siedlungsdynamik der Region eine neue Facette hinzu. Das Projekt A.V.V. (Aménagement des Vallées des Voltas) war ein zu über achtzig Prozent aus internationalen Entwicklungsgeldern (darunter auch bundesdeutschen) finanziertes Vorhaben zur wirtschaftlichen Erschließung der Volta-Täler, die vormals aufgrund der Flußblindheit (Onchozerkose) trotz ihrer fruchtbaren Böden nur dünn besiedelt waren. Im Projektabschnitt Pô-Est (Provinz Bougouriba), auf den sich die folgenden Ausführungen beziehen, wurden zwischen 1977 und 1979 sechs Projekt-Dörfer etabliert, in denen 238 Mossi- und Dagara-Haushalte angesiedelt wurden. 1989/90 wurde die A.V.V. aufgelöst und die Projektaktivitäten in Pô-Est eingestellt. Seither verfällt die Infrastruktur, die Rentabilität des Baumwollanbaus ist zurückgegangen, und der Lebensstandard in den Projektdörfern gleicht sich dem der Herkunftsdörfer an. Dennoch gibt die Mehrheit der Bauern an, daß ihr gegenwärtiger Landbedarf gedeckt und die Ernährungssicherheit in den Projektdörfern größer ist als in den Herkunftsdörfern (vgl. Bericht D1). Die Untersuchungen in den A.V.V.-Dörfern von Pô-Est, die sich auf die beiden Dörfer V3 (Dioumouon) und V4 (Badone) konzentrierten, beschäftigten sich mit den innerdörflichen Entwicklungen seit Beendigung der Projektkontrolle. Dabei ging es insbesondere um intra- und interethnische Beziehungen sowie um unterschiedliche Auffassungen von Bodenrecht. In Gruppengesprächen mit Dorfkooperativen wurden zunächst kulturelle Unterschiede zwischen Mossi und Dagara sowie Streitigkeiten um Land betont, doch ließen sich auch viele Beziehungen und Gemeinsamkeiten zwischen den beiden Gruppen beobachten. Wirtschaftliche und soziale Beziehungen reichen über die ethnischen Grenzen hinweg. Mossi- und Dagara-Bauern bewirtschaften nebeneinanderliegende Parzellen und können sich gegenseitig Felder für eine Anbausaison leihen. Man trifft sich auf denselben Märkten, kauft landwirtschaftliche oder Handwerksprodukte voneinander und feiert zusammen Feste. Mossi-Katholiken und Dagara-Katholiken besuchen gemeinsam Messen. Die Sprache ist kein Hindernis für die Verständigung untereinander, da Moore und Dagara relativ eng miteinander verwandt sind, und vor allem die jüngere Generation der Dagara in der Regel Moore als Verkehrssprache spricht. Heiratsbeziehungen erfolgen allerdings nur in eine Richtung: Zwar haben etliche Mossi-Männer Dagara-Frauen geheiratet, es gibt aber keine Ehen zwischen Mossi-Frauen und Dagara-Männern. Begründet wird dies u.a. damit, daß viele Mossi-Mädchen schon als Kinder verlobt oder zur Heirat ins Herkunftsdorf zurückgebracht werden, so daß bei den Mossi Frauenmangel herrsche. Angeführt wird auch, daß die Heiratsbräuche der Mossi vorsehen, in der Herkunftsfamilie auf dem Plateau um die Hand des Mädchens anzuhalten, was die Dagara abschrecke. Aussschlaggebend scheint aber vor allem für die Frauen ein ökonomischer Grund zu sein: Mossi-Frauen haben in der Regel Felder oder Gärten, deren Erträge sie auf eigene Rechnung vermarkten; in der Ehe mit einem Dagara-Mann wäre diese wirtschaftliche Tätigkeit nicht möglich, da in Dagara-Haushalten allein das männliche Familienoberhaupt Anbau und Verteilung von Feldfrüchten kontrolliert. Die von der A.V.V. rekrutierten Mossi-Bauern haben sich mittlerweile auf Dauer in den Projektdörfern niedergelassen. Daß sich auch die Dagara zunehmend mit den Projektdörfern identifizieren, zeigt sich beispielsweise daran, daß ihre Beerdigungen und Totenfeiern nicht mehr nur in den Herkunftsdörfern, sondern immer öfter in den Projektdörfern stattfinden. Anders als es die räumliche Trennung zwischen Dagara- und Mossi-Vierteln zunächst vermuten läßt, sind die jeweiligen Gruppen nicht unbedingt homogene Interessensgemeinschaften. Dies wurde unter anderem daran deutlich, daß die ursprünglich auf Anregung von Projektberatern und -beraterinnen gegründeten Kooperativen zur Bewirtschaftung von Gemeinschaftsfeldern nach Beendigung der A.V.V. teilweise in kleinere Gruppen zerfielen, die nicht nur Gegensätze zwischen, sondern auch innerhalb der ethnischen Gruppen widerspiegelten. Während beispielsweise der Vorstand des groupement villageois im Mossi-Viertel von V3 (Dioumouon) die Funktion eines Führungsgremiums für die gesamte Mossi-Gemeinschaft übernommen hat, gibt es im Dagara-Viertel mehrere groupements, die sich auf ihren wirtschaftlichen Zweck beschränken oder nur noch pro forma existieren. Hier wird deutlich, daß sich in den staatlich angeregten oder verordneten dörflichen Organisationen unterschiedliche Auffassungen gesellschaftlicher Ordnung (hierarchisch versus segmentär) niederschlagen. Die Präferenz der Mossi für eine hierarchische Organisationsform schließt jedoch nicht aus, daß es zu grundlegenden Änderungen von Machtpositionen - zum Beispiel zu einem Generationswechsel in den Führungspositionen der Kooperativen - kommen kann. Dabei ist die Möglichkeit, ein seit der Gründung des Dorfes fast unverändertes Führungsgremium abzuwählen, in den A.V.V.-Dörfern eher gegeben als in den Herkunfts-Dörfern der Mossi-Bauern. Eines der von der A.V.V. avisierten Ziele wurde in den Projektdörfern nicht erreicht: das Aufbrechen "traditioneller" Siedlungsstrukturen. In vielen A.V.V.-Dörfern bildeten sich mit der Zeit in den neu gegründeten Dörfern Viertel heraus, die nach der ethnischen oder regionalen Herkunft der Siedler gegliedert sind. Bereits in den ersten Projektjahren gaben etliche Familien in Pô-Est die ihnen zugewiesenen Hausparzellen auf und suchten sich einen anderen Siedlungsplatz, was zum Teil mit der ungünstigen Lage der Parzellen (Überflutung während der Regenzeit) begründet wurde. Durch diese Umzüge bildeten sich nicht nur getrennte Mossi- und Dagara-Viertel heraus, sondern auch Viertel, die sich nach den Herkunftsorten oder Verwandtschaftsgruppen innerhalb der jeweiligen ethnischen Gruppen konstituierten, wie beispielsweise in V4 (Badone). Hier kam es im Lauf der Zeit zu einer sozialräumlichen Gliederung, in der sich deutlich die Bindungen an Herkunftsorte und Klanzugehörigkeiten niederschlagen. Außer einem Mossi-Viertel existieren heute dort zwei Dagara-Viertel, die sich jeweils unterschiedlichen Erdherren der Region (Libiele und Kankani) verpflichtet fühlen (vgl. auch 3.4). Trotz mancher Streitigkeiten bilden die A.V.V.-Projektdörfer eine Art "Schonraum", in dem sich eine weitgehend friedliche Koexistenz zwischen Mossi- und Dagara-Bauern gefestigt hat. Die Projektbauern haben gegenüber Spontansiedlern und Fulbe-Hirten sowie gegenüber den Ansprüchen verschiedener Erdherren gemeinsame Interessen. Taktische Allianzen zwischen Mossi und Dagara sind möglich, und ernsthafte Konflikte konnten bisher durch interne Verhandlungen oder durch Intervention von außen geregelt werden. |
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