Wintersemester 2011/12 - Hauptseminar Spanisch

 

Pikareske Autofiktionen: Lazarillo de Tormes, Cabeza de Vaca und Fray Servando Teresa de Mier           

Es gehört zu den Grundbedingungen abendländischer Selbstsorge, daß der, der über sich in der ersten Person spricht, immer auch zu einem Anderen, zu Gott, spricht. Das Paradigma hierfür sind die Confessiones des Augustinus, die sich insbesondere dadurch auszeichnen, daß das Gott zugewandte Subjekt sein altes heidnisches Selbst aus der Rückschau als ein von sich abgekoppeltes Wesen beschreiben kann. Für die pikaresken Autofiktionen, die in Spanien in der Frühen Neuzeit mit dem Lazarillo de Tormes (1552) ihren Anfang nehmen, gilt das ebenfalls, wenngleich hier der Andere, an den sich das Subjekt bei seiner Selbstdarstellung wendet, nicht mehr jenseits sondern bereits in der Welt angesiedelt ist. Das Gattungsmuster ist dabei bürokratischer Natur: Es handelt sich um die sog. relaciones de servicios y méritos, die es abzufassen galt, sofern man ein Amt oder eine Pfründe anstrebte. Letztere sind eine Form des Lebenslaufs, die strengen Konventionen unterworfen war und die – ganz ähnlich dem heutigen CV – in der Pflicht stand, etwaige Zweifel an der Befähigung des Bewerbers auszuräumen. Der Lazarillo de Tormes ist nun diesem Modell insofern verpflichtet, als es dort ja für das sprechende Subjekt vorderhand darum geht, den Vorwurf der Vorteilsnahme als marido paciente auszuräumen. Gleichwohl ist der Lazarillo natürlich ungleich mehr als nur eine Mimikry an der bürokratischen Form: Als beißende Ständesatire ist er gegen die ständische Hierarchie gewandt, als Selbstreflektion eines infamen Subjekts gewährt er dem ansonsten aus den Diskursen Ausgeschlossenen – dem zum Ritter spiegelverkehrten pícaro – Eingang in die Literatur. Dieses Modell bedient auch der spanische Aristokrat Álvar Nuñez Cabeza de Vaca in seinen Naufragios (1555), wenn er dort seine gescheiterte Florida-Expedition vor dem Kaiser zu rechtfertigen sucht und damit zugleich die pikaresken Irrungen eines sich für acht Jahre allein auf indianischem Gebiet Durchschlagenden schildert. Wie der Lazarillo eine Entfremdung an der eigenen Gesellschaft zum Thema hat, ist Cabeza de Vacas pikareske Odyssee eine Verhandlung mit einer ihm fremden Welt, in der er nicht nur seiner Kleidung – dem Identitätszeichen des Spaniers – verlustig geht, sondern wie Lazarillo auch diversen – hier indigenen Herren – zu dienen hat. Zugleich – und auch das teilt Cabeza de Vaca mit dem Lazarillo – entsteht auf diese Weise ein Bild einer fremden, ansonsten nicht diskursiven Gesellschaft, die zugleich als Reflektor und Korrektiv der spanischen dient. Der letzte Text, dem wir uns in unserem Seminar zuwenden wollen, sind die Memorias (1818) des mexikanischen Dominikanerpaters Fray Servando Teresa de Mier. Auch hier haben wir wiederum das Rechtfertigungsmoment der relación de servicios y méritos. Der Adressat ist dabei die spanische Inquisition, denn der widerständige Kreole hatte 1794 die Guadalupe-Tradition und damit die Legitimation der spanischen Kolonialherrschaft in Frage gestellt. Inhaltlich sind die Memorias dabei den beiden anderen Texten durchaus vergleichbar. Fray Servando beschreibt darin in schonungsloser und satirischer Manier eine fremde und bizarre Welt: Europa und allem voran ein Spanien, das von pygmäischen Zwergen bewohnt wird, gleichermaßen triebverfallen wie steril ist und eigentlich zu Afrika gehört. Was das Moment der Subjektivität angeht, sind die Memorias freilich dem Lazarillo näher als den Naufragios, geht es hier doch darum – teils mit Rückgriff auf die Rousseauschen Confessions – ein dezidiert amerikanisches Subjekt zu entfalten, das dann seinerseits zur Gründungsfigur eines unabhängigen Mexiko werden kann.   

 

 

Wintersemester 2011/12 - Hauptseminar Französisch

 

Rousseau: Les Confessions und Les Rêveries du promeneur solitaire

 

„Voici le seul portrait d’homme, peint exactement d’après la nature et dans toute sa vérité, qui existe et qui probablement existera jamais.“ Diese wenig bescheidenen Worte stellt Rousseau seinen Confessions voran und wenn er im Haupttext nachschickt, er würde dereinst beim jüngsten Gericht mit dem Buch in der Hand vor seinen Schöpfer treten, so artikuliert sich darin nicht nur die aufklärerische Gewißheit eines sich selbst gegenüber transparenten Subjekts, sondern bereits auch der schonungslose Umgang, den Rousseau mit sich selbst pflegt. Die Confessions werden diesem Postulat nun in der Tat gerecht, denn Rousseau thematisiert darin seine Schwächen in einer Weise, wie sie selbst den an die gegenwärtige Bekenntnisliteratur gewöhnten Leser zuweilen zu erstaunen vermag. Zugleich – und das ist nicht minder bedeutsam – dient ihm aber die unablässige Selbstreflektion auch dazu, die benannten Schwächen zu entschuldigen und sein einzigartiges Selbst im Durchgang durch die Schrift für sich überhaupt erst erfahrbar zu machen. Die Confessions sind dennoch weit mehr als peinliches Geständnis und supplementärer Selbstgewinn: Über das Gattungsmuster des Schelmenromans modelliert und aus dem Blickwinkel der französischen Moralisten des 17. Jahrhunderts heraus entworfen zeichnen sie – nicht selten mit satirischer Schärfe, immer jedoch mit einem gehörigen Maß an Selbstironie und Komik – ein gesellschaftliches Panorama, das in dieser Form in der Romanliteratur der Aufklärung nicht zum Tragen kommen kann. Es ist der phänomenologische Blick eines Beteiligten, der begehrt, was er sieht, und der diesem Begehren doch niemals auf direktem Weg nachgeben kann. Der Detailreichtum, den Rousseau selbst ephemeren Zufallsbekanntschaften angedeihen läßt, ist dieser Abfuhrhemmung geschuldet und verweist voraus auf Prousts Recherche, die ohne die Confessions nicht denkbar gewesen wäre. Die solchermaßen gehemmte Beteiligung bringt es allerdings auch mit sich, daß die Confessions gegen Ende hin von deutlich paranoiden Zügen gekennzeichnet sind und der gleichermaßen narzißtische wie von Selbstzweifeln und Inkontinenz gepeinigte Autor sich als das Zentrum einer gegen ihn in Gang gebrachten, geradezu universellen Verschwörung begreift. In den späten Rêveries verkehrt sich diese Paranoia dann immer wieder auch ins Glück – ein Glück weniger an den äußeren Lebensumständen denn an einer réécriture des Selbst, in der die Schrift zu einer Heterotopie gerät, die nicht mehr supplementär zum Erlebten steht, sondern das Erlebte erst eigentlich in Lust verwandelt.

 

 

Wintersemester 2011/12 - Kolloquium


Formen des Komischen

 

In diesem Semester wollen wir uns den diversen Theorien des Komischen und dessen Ausprägungen in der Romania widmen. Dabei werden wir neben kanonischen Texten der Dramenliteratur, der Satire und des Romans auch die kleinen Gattungen in Betracht ziehen und – wie immer in diesem Format – mit dem Film abgleichen. Lubitschs Komödien haben uns also ebenso zu interessieren wie Lope de Vega, Molière, Marivaux und das absurde Theater. Es wird uns dabei nicht zuletzt darum gehen, die Form selbst auf ihre Ideologizität hin zu befragen und also wissen zu wollen, was das Komische in seiner jeweiligen sozialen Pragmatik zu leisten hat, inwiefern es subversiv sein kann und inwiefern es – im Sinne einer strategy of containment – irreduzible soziale Widersprüche zwar liminoid erfahrbar macht, diese jedoch zugleich mit Blick auf die Alltagswelt in der Form selbst bewältigt bzw. stillstellt.

 

 

 

Wintersemester 2011/12 - M.A./Graduiertenkolloquium

 

 

Vorstellung von Masterarbeiten und Dissertationen

 

   

 

 

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